Geschichte
Fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine Idee umgesetzt, die bis heute nachwirkt. Angelegt an den Ansichten Immanuel Kants über den Menschen als freies Wesen mit weltweit gültigen Menschenrechten wollten die Gründer diejenigen auszeichnen, die sich mit Wort und Tat dem entgegenstellen, was den Frieden, die Verständigung und die Gleichberechtigung unter den Völkern gefährdet. Bis heute beeinflusst der Friedenspreis mit seiner bewegten Geschichte die gesellschaftlichen Debatten.
Als mir Max Tau das Buch zugeschickt hatte, schrieb ich ihm heftig bewegt zurück: „Wenn ich einen Friedenspreis zu vergeben hätte, DU würdest ihn zuerst bekommen.“ Max Tau schrieb ein bißchen wehmütig und sehr humorvoll zurück: „Vielleicht hast Du einen Friedenspreis zu vergeben?“ (Hans Schwarz)
Bewegte Geschichte
Am Anfang des Friedenspreises stand eine Idee. Im Jahr 1949 schlug der Schriftsteller Hans Schwarz einer Gruppe von deutschen Verlegern und Buchhändlern vor, eine Stiftung für einen Friedenspreis zu gründen. Der Preis sollte erstmalig an Max Tau und anschließend im jährlichen Turnus an andere Humanisten und Schriftsteller vergeben werden.
Die Gründer erhofften sich, dass der Preis dazu beitragen würde, Deutschland aus seiner kulturellen Isolation herauszuholen und das humanistische Gedankengut wieder in die Gesellschaft einzubringen. Im Statut des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels formulierten sie ihren Anspruch: „Die Stiftung dient dem Frieden, der Menschlichkeit und der Verständigung der Völker. Dies geschieht durch die Verleihung des Friedenspreises an eine Persönlichkeit, die in hervorragendem Maße vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat. Der Preisträger wird ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Bekenntnisses gewählt.“
Die Formulierung orientiert sich an den Ansichten Immanuel Kants über den Menschen als freies Wesen mit weltweit gültigen Menschenrechten und den in seinem Werk „Zum ewigen Frieden“ aufgezeigten Thesen für ein friedliches Zusammenleben der Staaten.
Im Mai 1950 wurde Max Tau in einem Privathaus in Hamburg-Alsterdorf mit dem „Friedenspreis Deutscher Verleger“ geehrt. Diese erste Preisverleihung, bei der der Rundfunkintendant Adolf Grimme die Laudatio hielt, traf nicht nur im Inland, sondern auch in Skandinavien und anderen Ländern auf unerwartet großes Interesse. Auf Vermittlung des späteren Börsenvereins-Vorstehers, Friedrich Wittig, wurde aus der privaten Stiftung von Hans Schwarz und den fünfzehn Verlegern und Buchhändlern eine Sache des gesamten Buchhandels: Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels nahm den Preis in seine Obhut.
Im September 1951 erhielt Albert Schweitzer den Preis – erstmals in der Frankfurter Paulskirche und mit dem neuen Namen „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“. Dank der in aller Welt bekannten und geschätzten Persönlichkeiten des Preisträgers und seines Laudators, Bundespräsident Theodor Heuss, konnte sich der Friedenspreis schon in seinem zweiten Jahr zum wichtigsten deutschen Friedens- und Kulturpreis entwickeln, dessen Verleihung seitdem im Fernsehen und im Radio übertragen wird. Der Friedenspreis galt fortan für das isolierte, durch seine eigene Geschichte schwer belastete Deutschland als ein Zeichen der Hoffnung, um in kritischer Reflexion ein wieder entstehendes Selbstbewusstsein zu unterstützen.
So ist der Friedenspreis seit seinem Beginn in 1950 für die ausgezeichneten Intellektuellen und Künstler*innen zu einem wichtigen Forum für die Auseinandersetzung zu Frieden und Verständigung geworden. Im Laufe seiner bewegten Geschichte hat er in der Gesellschaft große Debatten ausgelöst.
Große Debatten
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels lebt von der Botschaft und den Persönlichkeiten der Ausgezeichneten. Ihre Namen stehen für die wichtigsten Strömungen der Kultur- und Geistesgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts. Mit ihren Reden, die sie bei den Friedenspreisverleihungen halten, sorgen die Preisträger*innen für eine intellektuelle und künstlerische Auseinandersetzung über die aktuelle politische Lage, friedenspolitisches Engagement und historischer Verantwortung. Wiederholt führten die Verleihungen dabei zu größeren gesellschaftlichen Debatten. Dies zeigt die Dankesrede von Martin Walser im Jahr 1998 über den Umgang mit der deutschen Geschichte genauso wie die kontrovers geführten Auseinandersetzungen um die Verleihungen an Karl Jaspers (1958), Ernst Bloch (1967), Léopold Sédar Senghor (1968), Ernesto Cardenal (1980) und Annemarie Schimmel (1995). Auch Laudator*innen können leidenschaftliche Diskussion auslösen, wie es Günter Grass mit seinen Worten auf Yasar Kemal (1997) getan hat. All das hat den Friedenspreis geprägt: Bis heute wird er als bedeutende, wenn nicht gar wichtigste Plattform für die Diskussion über den Frieden und über die Verständigung zwischen den Menschen und Völkern angesehen.
So hat Jürgen Habermas im Oktober 2001, drei Wochen nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington, versucht, ein erstes Erklärungsmodell für den religiösen Fanatismus zu finden. Susan Sontag vermittelte 2003 ihre Ansicht über den „Zusammenstoß der Kulturen“, der zu den „Modernen Kriegen“ geführt habe. Claudio Magris warnte 2009 vor dem anwachsenden Populismus in der Politik und davor, Kriege als selbstverständlich anzusehen.
Viele der Preisverleihungen bewegten: 2007 verlas Saul Friedländer die letzten Briefe seiner Familie vor ihrer brutalen Ermordung in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten. David Grossman sprach in seiner Friedenspreisrede 2010 über den Tod seines Sohnes im Krieg zwischen Israel und dem Libanon und begründete zugleich, warum er sich dennoch für eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern einsetzt. „Die Bürgerkrone der Menschlichkeit“, wie Carlo Schmid, der ehemalige Bundesminister und Laudator für Gabriel Marcel (1964), den Friedenspreis genannt hat, ist aufgrund der hohen Bedeutung der gehaltenen Reden einzigartig in der Welt. Für den Börsenverein des Deutschen Buchhandels als dessen Stifter ist der Friedenspreis ein Bekenntnis für die Freiheit des Wortes und für den Frieden in der Welt.
Sieben Jahrzehnte
1950 – 1959: Die Anfänge des Friedenspreises im Zeichen atomarer Kriegsdrohung
Der Friedenspreis steht in seinem ersten Jahrzehnt im Schatten des Zweiten Weltkriegs und der Verbrechen des NS-Regimes. Doch auch der Kalte Krieg zwischen den Supermächten spielt in den Reden der zehn männlichen Friedenspreisträger eine wachsende Rolle. Dem geteilten Deutschland kommt dabei eine Schlüsselfunktion in der Auseinandersetzung um eine neue Weltordnung zu, die von den Preisträgern und ihren Laudatoren immer wieder aufgegriffen wird.
Der Blick auf die Gruppe dieser ersten Preisträger verdeutlicht, dass der Friedenspreis von Beginn an als eine Auszeichnung für Menschen verstanden wird, die in unterschiedlichen Positionen für Frieden, Freiheit und Verständigung wirken. Durch das hohe Ansehen, das die Preisträger in der Öffentlichkeit haben, und die enge Verbindung des Friedenspreises zum Bundespräsidenten entwickelt sich der aus einer privaten Initiative entstandene Preis rasch zu einem international anerkannten Kulturereignis.
1960 – 1969: Die Internationalisierung des Friedenspreises
Das zweite Jahrzehnt des Friedenspreises ist geprägt von der Öffnung in die Internationalität. Das betrifft sowohl die Auswahl der Preisträger*innen, als auch die in den Reden angesprochenen Themen. Die Diskussionen über die Vergangenheit und ihre Konsequenzen für die Gegenwart – Kuba-Krise, Kalter Krieg, Wettrüsten, Verletzung der Menschenrechte – stehen dabei im Mittelpunkt.
Das Jahrzehnt endet für den Friedenspreis mit der – keineswegs freiwillig – herbeigeführten Auseinandersetzung mit der Studentenbewegung, den von ihr propagierten Werten und den von ihr geforderten gesellschaftlichen Veränderungen. Die zum Teil heftige Kritik am Preis und an der Wahl der Preisträger führt zu Änderungen des Statuts sowie des Ablaufs der Verleihungs-Zeremonie. Der Stiftungsrat wird unabhängiger und die Reden der Preisträger*innen und der Laudatoren werden noch stärker in den Mittelpunkt gestellt.
1970 – 1979: Die Etablierung des Friedenspreises
Die 1970er Jahre sind in den Erinnerungen vieler Menschen vor allem bunt – und irgendwie gilt das auch für den Friedenspreis. Die Heterogenität der zehn Preisträger*innen zeigt, dass der Friedenspreis in der Gegenwart angekommen ist und sich mit aktuellen Themen und Problemen befasst: mit Entwicklungspolitik, mit ökologischem und religiösem Denken, mit der Emanzipation der Frauen, mit Jugendlichen und Kindern und deren Erziehung, mit Terrorismus und der damit einhergehenden Politisierung der Gesellschaft.
In diesem Jahrzehnt sorgt die Unterzeichnung der Ostverträge für eine politische Entspannung zwischen den beiden deutschen Staaten und in Europa. Die Formel „Mehr Demokratie wagen!“ prägt die westdeutsche Innenpolitik. Zugleich erreicht der Terrorismus der RAF 1977 mit dem „Deutschen Herbst“ einen traurigen Höhepunkt, der auch Auswirkung auf die Friedenspreisverleihung hat.
1980 – 1989: Neue Konflikte
Die Friedensbewegung mit Aktionen wie Menschenketten, Ostermärschen und Großdemonstrationen steht in den 1980er Jahren im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatten. Die Friedenspreisträger*innen machen in ihren Reden auf das Ungleichgewicht aufmerksam, das durch die technischen Entwicklungen und das spannungsgeladene Wettrüsten der Supermächte gegenüber der gesellschaftlichen Entwicklung in der Welt entstanden ist. Der Super-GAU im Kernkraftwerk von Tschernobyl, das Waldsterben, die steigenden Ansteckungszahlen mit dem HI-Virus und erste bedrohliche Meldungen zum Klimawandel bestärken das Bewusstsein dafür, wie verletzlich die Welt und die Menschheit sind.
Mit der Wahl von Persönlichkeiten aus Osteuropa Anfang und Mitte des Jahrzehnts reagiert der Friedenspreis auf die ersten Anzeichen eines politischen Umbruchs in den Ländern des Ostblocks. 1989, wenige Monate ehe dieser Umbruch die bisher zweipolige Welt radikal verändert, trifft der Stiftungsrat mit der Wahl Václav Havels zum Preisträger eine hochaktuelle und politisch brisante Entscheidung.
1990 – 1999: Europa im Umbruch
Im fünften Jahrzehnt des Friedenspreises sorgen die Auswahl der Preisträger*innen und deren Reden für große gesellschaftliche Diskussionen über das Verständnis und Miteinander der Religionen und Kulturen, über den Umgang mit Ausländern und Asylbewerbern in Deutschland sowie über das Zusammenwachsen von Deutschland und Europa.
Mehr als vier Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden in Europa wieder Kriege geführt. Das geeinte Deutschland muss seinen Platz in der Weltgemeinschaft finden, auch durch die Beteiligung der Bundeswehr an Einsätzen in den Krisengebieten der Erde. Ende der 1990er Jahre erreicht die sogenannte „Schlussstrich“-Debatte über den Holocaust und die Verbrechen des NS-Regimes, zu dem auch die Friedenspreisträger*innen Stellung nehmen, ihren Höhepunkt.
2000 – 2009: Die globalisierte Welt
Das erste Jahrzehnt im neuen Jahrtausend steht im Zeichen der Globalisierung, einer rasanten technologischen Entwicklung und – am Ende des Jahrzehnts – einer weltweiten Wirtschaftskrise, deren Folgen nicht abzusehen sind. Die Anschläge vom 11. September 2001 gegen die Machtzentren in den USA verdeutlichen, dass Gewalt alle Grenzen überschreitet. Religion und Politik werden auf gefährliche Weise miteinander vermischt und somit zu einem zentralen Thema für die Friedenspreisträger*innen. Zudem entsteht eine neue, zweite Realität in einer virtuellen Welt, in der es keine physikalischen Grenzen mehr gibt. Die Reaktionen darauf werden ein wichtiges Thema der Zukunft sein.
Die Wahl der zehn Preisträger*innen aus acht Ländern verdeutlicht diese Entwicklung und zeigt, dass es auf der Erde keine isolierten Kulturen mehr gibt. Das Verständnis füreinander und das Lernen voneinander sind für den Frieden in der globalisierten Welt von wachsender Bedeutung.
2010 - 2019: Menschenrechte im digitalen Zeitalter
Die technologischen Entwicklungen bringen zahlreicher Erneuerungen, sorgen aber auch für eine Auflösung bestehender gesellschaftlicher Strukturen und eine starke Veränderung in der Arbeitswelt. Zugleich macht sich ab 2010 weltweit eine wachsende Polarisierung in der politischen Landschaft bemerkbar - die extremen Ränder der Gesellschaften gewinnen an Einfluss und die terroristische Gewalt steigt an. Unter anderem durch Kriege im Nahen und Mittleren Osten entstehen große Fluchtbewegungen, auf die Europa mit zunehmender Abriegelung reagiert. Zugleich schwächen Machthaber wie Wladimir Putin, Viktor Orbán, Recep Tayyip Erdoğan, Jair Messias Bolsonaro, aber auch Donald Trump die demokratischen Rechte ihrer Bevölkerungen.
Der Friedenspreis reagiert darauf mit der Wahl von Menschen, die sich für Demokratie einsetzen, die die kulturelle Erinnerung in den Vordergrund stellen und die eine größere Humanität in der digitalen Welt einfordern. Immer stärker rückt zudem die Gefährdung unseres Planeten in den Vordergrund – eine der drängendsten Herausforderungen der Menschheit für die Zukunft.
Verantwortung aus der Geschichte
Dass eine Preisverleihung eine derart wichtige Bedeutung erhalten konnte, liegt auch in dem Anspruch seiner Initiatoren begründet: Nach der schrecklichsten Episode in der Geschichte der Menschheit sollte mit der Verleihung eines Friedenspreises ein Streben geehrt werden, das versucht, den Ansichten Immanuel Kants über „Ewigen Frieden“ und den Menschen als frei handelndes Wesen mit weltweit gültigen Menschenrechten gerecht zu werden.
Der Stiftungsrat des Friedenspreises wählt als unabhängige Jury den Preisträger oder die Preisträgerin aus den von der Öffentlichkeit vorgeschlagenen Kandidat*innen aus. Die feierliche Zeremonie in der Frankfurter Paulskirche, bei der ein Laudator oder ein Laudatorin die gesellschaftliche Bedeutung des oder der Geehrten und seines bzw. ihres künstlerischen Werkes würdigt, wird durch Radio und Fernsehen live übertragen. Der oder die Ausgezeichnete erhält nach der von ihm oder ihr gehaltenen Friedenspreisrede ein Preisgeld in Höhe von 25.000 €, das von den Mitgliedern des Börsenvereins, den Verleger*innen und Buchhändler*innen in Deutschland, aufgebracht wird.