Carl Jacob Burckhardt
Heimat
Dankesrede
Ich bin hier, um zu danken. Danken zu dürfen in der eigenen Sprache ist für denjenigen, der oft von ihr getrennt ist, eine Freude eigener Art; diese Freude wird noch vertieft, wenn die Stätte, an der man sich zu diesem Danke einfinden darf, einen so vertraut empfängt. In der Tat, wenn ich den Boden der alten Stadt Frankfurt betrete, erfüllt mich heimatliches Empfinden. Unzählige Male seit der Knabenzeit habe ich im Geiste den »Osterspaziergang« mitgemacht, und immer hat er mich durch die Gassen Ihrer Stadt und vor ihre Tore an den Main geführt.
Heimat ist ein Wort, das unser Sprachgeist geschaffen hat, das in andern Sprachen nicht zu finden ist und das völlig andere Gefühle weckt, stillere, stetigere, zeit- und geschichtslosere, als das leidenschaftliche Wort Vaterland. Wir verlassen die Heimat, um uns hinaus in die Fremde zu begeben. Wo endet Heimat, wo beginnt das Unvertraute, das andere? Bei jedem neuen Menschen, der uns begegnet, stellt sich die Frage: Wie weit reicht seine Heimat, wo vermag er wirklich zu Hause zu sein? Jede Bemühung um Selbsterkenntnis wie um Kenntnis der andern schließt diese Frage ein. Ihre Beantwortung lehrt uns, daß gerade dort, wo das Heimatgefühl das allerweiteste ist, die Grenzen des wirklich Fremden und Nichtentsprechenden am deutlichsten gezogen sind.
Wie berührt uns die milde Gewalt der Heimat in der Odyssee, im Beginn unseres europäischen Lebens, in dem Gedicht, durch dessen Geschehen sie als zwingende Mitte hindurchwirkt und wo alles, was geschieht, durch das Streben nach Heimat ausgelöst wird, durch Überwindung der Widerstände, die sich dem Heimkehren entgegensetzen. Und doch will es der Tiefsinn dieses Gedichtes, daß Odysseus am Ende seiner Fahrten aus der Erfüllung der Heimkehr als endlich Zurückgekehrter ganz zuletzt wieder aufzubrechen hat, um sich eine neue Heimat zu schaffen. Woraus wird er sie schaffen? Aus dem unbeirrbaren Sinn für das Heimatliche, für das Gemäße, das er in sich trägt. Im Gemäßen fest zu wurzeln und zugleich das Gemäße ständig zu schaffen, ist das Wesen der Persönlichkeit. Jede wahre Persönlichkeit besitzt ein schöpferisches Heimatgefühl, auch wenn sie ihre ursprüngliche Heimat längst verlor. Wie unvergleichlich ist dieses schöpferische Heimatgefühl gegenwärtig in Virgils Aeneis, der Dichtung, welche die ungeheure Epoche unserer Geschichte abschließt, die mit Ilias und Odyssee beginnt. Der Held Virgils, Aeneas, zieht mit seinen Larengöttern von Ländern zu Ländern, dem Fremden, dem Nichtgemäßen wird er immer wieder entrissen, auch wenn es noch so lockend wirkt, er wird geführt dorthin, wo seine Götter das ihnen gemäße Erdreich für die Schaffung jener größeren Heimat finden werden, aus welcher das Römische Reich hervorwachsen wird. Diese führenden Götter sind ein Teil von Aeneas' Seele. Indem sie ihn führen, nicht irgendwohin, sondern an vielem vorüber und zu einem ganz bestimmten Ziele, befreien sie ihn vom Zufall und schenken ihm die Freiheit der Wahl. Er wählt den Ort, der seine Heimat sein wird, und somit den Ort des tiefsten Vertrauens, der tiefsten Ruhe, den Ort, der die Ruhe des Vertrauens schenkt. Wohl demjenigen, der das Maß und die Freiheit des Aeneas besitzt, den untrüglichen Sinn für das ihm Zugehörige, das ihm Entsprechende, eben das Heimatliche. Auf unserm Lebenswege liegt vorerst alles drüben, jenseits der Hügelkämme und der Gebirge, die zu übersteigen sind. Dort liegt das Wunderbare, das Furchtbare, die Öde und die fruchtbare Erde. Später dann hat man auf seinem Wege vieles hinter sich gebracht, und der Wanderer hat sich angeeignet, was ihm entspricht. Vieles, wenn er mutig ist, wenig, wenn die Angst ihn am Wählen hindert. Eng ist die Heimat desjenigen, der sich durch die Furcht beraten läßt, durch das Mißtrauen. In der Tat, für wieviel Armut und Enge, für wie viele Untaten und Friedensbrüche ist die Furcht verantwortlich, wie endgültig vermag sie es, unser Vertrauen zu zerstören, es in Enttäuschung und Zorn umzuwandeln und durch Fehlleistungen unsere Heimat endgültig aufs Spiel zu setzen. Dem Menschen, der ohne es zu wissen in der Furcht lebt, ist alles fremd, was ihn umgibt, wenn seiner aber viele werden, so stehen sich zwei fremd empfindende Gruppen gegenüber, und schon heben Furcht und Mißtrauen an, die Abwehr wird vorbereitet, und alsbald erscheint diese Vorbereitung der Abwehr als Drohung, wie von doppelten Spiegeln wird die Furcht hin- und zurückgeworfen in drohenden Bildern. Einst war die Welt sehr weit und voll von unbekannten Gefahren. Heute ist die äußere Welt überblickbar, die Gefahren sind nicht kleiner geworden, sondern größer. Aber auch diese Gefahren sind uns jetzt bekannt, sind unserm Vorstellungsvermögen zugänglich geworden, und auch mit diesen Gefahren können wir somit vertraut werden. Dieses Vertrautsein mit der Gefahr aber ist nichts anderes als das Wesen des wirklichen Mutes, im Unterschied zu der blinden Kühnheit, die die Gefahr nicht sehen will, oder gar zur Tollkühnheit, die die Ausgeburt der Furcht ist. Der wahre Mut und sein Vertrautsein mit allen Schrecken ist die Grundbedingung besonnenen Handelns, Besinnung heißt Freiheit und wiederum richtige Wahl im Nehmen und im Geben. Wahl vor allem der Mittel, durch welche wir die eine wie die andere unserer Haltungen für die andern verständlich und annehmbar machen. Besonnener Mut ist ebensosehr Grundbedingung jedes sittlichen Handelns wie Grundbedingung jedes reifen Umgangs mit Menschen und somit Bedingung der schwersten und verantwortungsvollsten aller Künste, der Politik.
Nun ließe sich ein Zustand denken, der hin und wieder den Verfassern der großen Utopien vorschwebte, ein Zustand, in welchem keine Politik mehr nötig wäre, weil die Welt so vertraut, so offen, so heimatlich geworden wäre, keine Furcht und kein Mißtrauen mehr kennen würde. Aber dies wäre das wiedergewonnene Paradies, und wir sind weiter denn je von ihm entfernt. Weiter denn je, weil wir die Gewohnheit angenommen haben, durch äußere Gegensätze und Spannungen zu leben, weil wir meinen, Kraft und Leistung ließen sich nur aus der sichtbaren Spannung gewinnen. Dies ist eine eminent europäische Haltung, aus europäischen Erfahrungen gewonnen, und sie wird heute auf die ganze Welt übertragen. Indem wir aber gelernt haben, das Hervorspringen jeder Kraft nur aus äußerlich Gegensätzlichem zu erwarten, haben wir die allerhöchste Kraft verloren, jene, die aus Einklang und Übereinstimmung entsteht. Die Kraft, welche sich nicht an äußeren Widerständen bildet, sondern an der Überwindung unserer inneren Gegensätze, der Gegensätze in uns selbst, die entspannte Kraft auf den höchsten Stufen, die Kraft der Weisheit, von welcher Heraklit gesagt hat, daß sie in uns entstehe durch das Zusammenwirken des Gegensätzlichen in uns selbst wie bei Bogen und Saite der Leier. Wenige haben den Preis dieser Weisheit, haben dieses entspannte, vertrauensvolle Offensein vor dem angeblich Fremden in so vollständiger Weise erreicht wie der größte Sohn der Stadt Frankfurt, welchen wir sagen hören: »Es gibt eine Stufe, wo man gewissermaßen über den Nationen steht und man ein Glück und Wehe seines Nachbarlandes empfindet, als wäre es dem eigenen begegnet.« So kann nur einer reden, der unendlich sich andrängenden Stoff, das Fremde überwindend, sich einverleibt hat, ihn heimatlich werden ließ. Wir können ihm nur von ferne nachstreben, jeder in seiner Weise.
Jeder von uns tritt seinen Weg unter Voraussetzungen an, die alles Spätere mitbestimmen. Am heutigen Tage darf ich vielleicht in diesem Zusammenhang ein kurzes Wort über mich selbst sagen: Ich bin in freier Landschaft, auf der Flanke eines der letzten Ausläufer des Jura über der weit aufgetanen Rheinebene aufgewachsen, vor dem täglichen Blick auf den fernen Stromlauf, auf Schwarzwald und Vogesen. Im Jahre 1896 sagte mein Großvater einmal zu mir, als wir das Versinken der Sonne hinter den Vogesen-Kämmen betrachteten: »Dort läuft die Grenze.« Das war damals ein harter Schnitt in die heimatliche, tiefvertraute Landschaft täglichen Anblicks, der Einbruch geschichtlicher, unheimlicher Mächte in eine übergeschichtliche seelenhafte Einheit frühester Lebenszeiten.
Zum anderen Teile bin ich in einer ehemaligen Reichsstadt aufgewachsen, in welcher das Herkommen ungebrochen wirkte, weil sie durch ihre schon vierhundertjährige Zugehörigkeit zu meinem Vaterland, der Eidgenossenschaft, dem Drängen und Zerren gewaltiger, aus den Abgründen des Fremdseins einander entgegenwirkender Weltkräfte entrückt war. Das war der geschichtliche Zufall meiner Voraussetzung.
Immermann hat einmal gesagt, überall, wo er noch auf Spuren des alten Reiches gestoßen sei, habe es ihm das Herz bewegt. So erging es auch mir lebenslang. Jenes alte Reich, das sich niemals völlig verwirklicht hat, ist nicht mehr, und wir sollen nicht zurückschauen und sollen ihm nicht nachtrauern, wir dürfen jedoch an die Kraft des Gedankens glauben, der einst jene ehrwürdige Form entworfen hatte, um uns die Mahnung zu hinterlassen, immer wieder nach neuen Formen friedlicher Gemeinschaft zu streben.
Bisweilen vernehmen wir diese Mahnung wie den tiefen Ton kontrapunktischer Klangsetzung: Im September 1939 war ich in Reval, ungewiß über den Weg, den ich zu meiner Rückkehr in mein Vaterland würde einzuschlagen haben. Angesichts des unmittelbar drohenden Einbruchs des Ostens in die baltischen Länder saß ich eines Tages voller Unruhe auf der die Stadt krönenden Terrasse vor dem Dom. Am Tage des Kriegsbeginns, am 1. September, hatte ich Danzig verlassen, Hoffnung und Vertrauen waren gebrochen worden, und dennoch, an jenem Tage in Reval, aller schmerzlichen Erfahrung, harten Einsicht und tiefen Befürchtung entgegen, umfing mich plötzlich auf jenem unvergeßlichen, hochgelegenen Kirchplatz mit unwiderstehlicher Kraft das Gefühl des Heimatlichen: Ich befand mich in einer alten Reichsstadt.
Reichsstädte: Mein Großvater mütterlicherseits lebte in Genf und somit in einer anderen einstigen Reichsstadt. In Genf traf für denjenigen, der die nach den Tiefen hin getürmten Schichten jahrtausendalten Geschehens zu spüren vermag, französische, germanisch-burgundische und sardisch-italienische Welt zusammen. Von Kind auf wurde mir in Genf unsere andere Landessprache, das Französische, vertraut, fast so vertraut wie die eigene, die mir auf dem an Überraschungen und Geschenken so reichen Umweg über die alemannische Mundart, die Sprache Johann Peter Hebels, zufloß.
Mit den ersten Worten begann für mich das Gespräch. Über die segensvollen Möglichkeiten seiner Wirkung wurde vor einem Jahr, hier an dieser Stelle und in Ihrer Mitte Unvergeßliches ausgesagt: Das Gespräch, das alles an uns heranträgt, alles anbietet und auch das Gegenteil von allem, und in dessen Mitte wir zu bestehen haben, innerhalb der Grenzen unseres Vertrauens, der strengen Freiheit unserer Wahl. Worte, gesprochene und geschriebene, vermitteln uns die Kenntnis der Natur, gewesenes und zeitgenössisches Denken, vergangenes und gleichzeitiges Geschehen und auch vorerst totgesagtes, unvertrautes Sprachgut, das für jeden von uns auch heute noch zu einer weiten Heimat zu werden vermag. Durch Anschauung werden wir gebildet, durch Worte erzogen, zwischen dem »Du sollst« und dem »Dir ist versagt«, das uns von außen zugerufen wird, wirkt unsere Erziehung nur bis dort, wo wir ihr Angebot annehmen, und damit wären wir wieder beim Gemäßen angelangt. Aus dem uns Gemäßen bauen wir unser Wesen, bauen wir unsere innere Heimat auf, aus unserer Wahl sind wir zu erkennen.
Einst sprach ein nach Europa Zurückgekehrter sich mir gegenüber aus: Er hatte lange in New York gelebt, aber er stammte aus einer größeren, norddeutschen Stadt; zum erstenmal betrat er den alten Kontinent nach dreißig Jahren wieder, er landete in Genua. Abends, in den engen Gassen des Hafenquartiers, saß er vor einer Schenke, und um ihn herum rauschte die Menge, von den Schiffen her und eilig getrieben wieder nach andern Schiffen hin - die Menge, so wie sie Nietzsche in Genua einst gesehen und in seinen Gedanken an den Tod im Aphorismus 278 des IV. Buches seiner »Fröhlichen Wissenschaft« begriffen und beklagt hat; plötzlich, in dieser Menge, zogen drei junge Burschen vorbei, sie sangen, und sie sangen Verse aus Ariosts »Orlando furioso«. In jenem Augenblick, so erzählte mir dieser Heimkehrer, habe er sich, mit einem Male bis zu Tränen überwältigt, wieder in der Heimat gefühlt, in dieser Fülle sei das Heimatliche nie wieder in ihm ausgebrochen, auch nicht als er die Straße, in der er einst seine Kindheit verbracht, und das Haus, in dem er bis zu seinem zwanzigsten Jahre gewohnt hatte, wieder betrat.
Es ist uns vieles gelehrt worden, aber wir wissen das Gelernte, ohne es zu lieben. Das historische Denken, das so viele Europäer veranlaßt, aus einem Arsenal falsche Argumente zu entleihen, sich an längst verklungenem Pathos frostig zu steigern, ist jenem erschütternden Begegnen uralter Heimat, wie es dieser Zurückgekehrte erlebte, völlig entgegengesetzt, denn bei ihm handelte es sich nicht um Kenntnisse, sondern um ein Wiedererkennen auf den Wellen stärksten Gefühls, um eine Offenbarung der Zugehörigkeit.
Wer von uns hätte dieses Wiedererkennen nicht erlebt, das Wiedererkennen des Tiefvertrauten, des Zugehörigen: einst trat ich zu früher Stunde aus einem ostpreußischen Wald, vor die nebelbrauende Ebene, aus welcher dunkel zwischen den Schilfgärten eine schwarze Seefläche spiegelte. »Dort liegt Mohrungen«, sagte plötzlich der Mann, der mich begleitete, und er streckte die Hand ins Ungefähre des Nebelmorgens. Mit einem Male waren mir Wald und östliches Flachland vertraut und liebenswert für immer. Mohrungen, das war Herders Geburtsort, und ich glaubte in jener Morgenstille die »Stimme der Völker in Liedern« zum Chor vereint zu hören, jene herrliche Weltoffenheit eines unserer großen Geister auf Sekunden leuchtend zu erfahren, und von diesem Augenblicke an ist mir jenes ostpreußische Land auch zur Heimat geworden. So war es je und je, auch damals, als ich zum erstenmal in die goldene Schale, die fruchtbare Ebene der Champagne hinunterstieg und mir wie mit einem Schlage alles gegenwärtig war, was jemals aus dieser großen Landschaft kommend auf mich eingewirkt hatte: die Fabliaux, der höfische Roman, die Chansonniers, sodann Villehardouin und Joinville, die herrlichen Memoiren von Fleurange, Jacques Gillots Pamphlete und der quellklare Lafontaine. Damals dachte ich auch an die katalaunischen Felder, die Felder von Châlons, auch an jene Jungfrau, die ihren König zur Krönung nach Reims führte, aber auch an Cäsar und den Prinzen Eugen.
Wie oft erfuhr ich dies in Italien, in Spanien, wo ich das mir so vertraute Österreich schon spürte, und die portugiesische Erde hätte ich gerne umarmt wie Wilhelm der Eroberer die englische, als ich während des letzten Krieges von einem Flug über den Atlantik auf unserm Kontinente landete.
Unlösliche Bindungen der Treue und Dankbarkeit lassen uns unserm Vaterlande angehören. Dies steht als ein Bestandteil unseres Schicksales fest. Unsere innere Heimat aber können wir in Freiheit täglich erweitern und vertiefen, immerzu können wir das Fremde und scheinbar Feindliche auflösen und mit seinem Wesen vertraut werden. Jeder wirklich große Gedanke, der innerhalb der Nation gedacht wird, je reiner, je ungetrübter sein heimatlicher Ursprung ist, wird universal werden. Universal ist das philosophische Denken, die wahre Wissenschaft, die Musik und die große Kunst, und das schöpferische Wirken des Geistes ist das einzige, dem Menschen gegebene Mittel, in alle Weiten vorzudringen, diese Weiten mit unserer eigensten Art, mit unserm heimatlichen Wesen zu durchdringen. Mit den heimatlichen Werten, den uns völlig vertrauten, die, wenn wir irgendwo in der Welt auf sie stoßen, uns ergreifen, wie dies jenem Zurückgekehrten in den Gassen Genuas geschah.
Dieses Vordringen durch Erlebnis, Erfahrung und Vergeistigung ist nichts anderes als dasjenige, was Goethe unter lebendiger Bildung verstand, die so ferne ist von dem toten Herbeibringen ungeliebter Begriffe, ungeliebten Materials, die nutzlos gehäuft oder schließlich nur zur Beschwerung kurzlebender, polemischer Argumente und gegensätzlicher Theorien gebraucht werden. Gemeinsamer geistiger Besitz, immer wieder neu begonnen, nach strenger Wahl erlebt, erfahren ohne Anhauch trügerischer, sentimentaler Verständigungsformeln, lebende Bildung als ein gemeinsamer Lebensstrom mit seinen Schroffen und Wasserstürzen, dahinströmend in Licht und Dunkel, unter den Wettern und unter gestillten heitern Himmeln, aber immer strömend und an seinen beiden Ufern eine Heimat schaffend für jene, die es wagen, diesen Strom zu befahren.
Genug der Bilder von der schon langen Fahrt. Indem ich es wage, hier an dieser Stätte meinem Dank und meiner Verbundenheit Ausdruck zu verleihen, indem ich das große Gefühl einer uns allen gemeinsamen Heimat aufrufe, weiß ich, Herr Bundespräsident, daß Sie nicht nur als unser nächster Nachbar, als Württemberger, die Sprache der Denker und Dichter und auch die nüchterne Alltagssprache, den reinigenden, befreienden Humor verstehen, der zu unserer ursprünglichsten Heimat gehört, daß wir uns somit fast ohne Worte heimatlich verständigen, nein, ich weiß auch, daß Sie in der schweren Geschichte Ihres Landes dastehen als einer, der die Sprache der andern vernimmt, ihr Wesen erkennt auf dem Wege jener wirklichen, jener erlebten Erfahrung, jener Vergeistigung, die uns die weise Gabe der Geduld verleiht, bisweilen auch durch das Mittel des Humors.
Und Sie, meine verehrten Damen und Herren von der deutschen Verlegerschaft und vom deutschen Buchhandel, Ihnen habe ich zu danken: einmal weil Sie mir die große und unverdiente Vergünstigung zuteil werden ließen, am heutigen Tage an dieser Stelle zu stehen, und sodann weil Sie selbst an vorderster Stelle am Erschließen jener geistigen Heimat wirken, deren Grenzen immer weiter werden sollen, ohne daß jemals das Ungemäße, das wirklich Fremde, das Wesen des Unbehausten, des »Heimatlosen ohne Zweck und Ruh« einzudringen vermöge.
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