Richard Benz
Auf den Preisträger 1955
Laudatio auf Hermann Hesse
Das Reich des Geistes ist geendet,
zerstört die alte Herrlichkeit,
die Schönheit weinend abgewendet -
so gnadenlos ist unsre Zeit.
...
Der Dichter kann nicht mit verarmen;
wenn alles um ihn her zerfällt,
hebt ihn ein göttliches Erbarmen -
der Dichter ist das Herz der Welt.
Diese Worte Eichendorffs dürfen wohl über unserer Feier stehen. Wenn die erste Strophe die Welt-Situation malt, mit Worten, die uns heute begründeter scheinen als zu Eichendorffs eigener Zeit: Verlust der alten Bindungen, Entwendung der Schönheit, Zerstörung so vieles Herrlichsten außen und innen; so verheißt uns die andere Strophe die Wiederbringung alles Entschwundenen, Zerstörten; seine Wiedergeburt aus dem Herzen der Welt: das immer wieder im Dichter lebt und liebt und leidet.
Wir feiern und ehren einen Dichter als Wahrer des Friedens.
Aber für den Frieden wirken heißt nicht nur für ihn kämpfen, wie es Hermann Hesse mit dem Einsatz seiner Person getan hat. Es heißt: ihm Sinn geben; wie nur der Dichter es vermag.
Und dies ist seine größere Mission gewesen, die Höheres verbürgt, als nur ungestört von feindlicher Macht zu existieren.
Frieden auf Erden kommt nicht als Geschenk von außen; er will errungen sein, Kampf geht ihm voraus: Kampf in der eigenen Brust. Lebenslang muß ihn gerade der Friedensbringer kämpfen und leiden.
Was verleiht ihm dazu die Kraft? Gewiß kein bloßes friedfertiges Ja-Sagen zur vorgefundenen Gestalt der Welt.
Ihr wird er vielmehr entgegensetzen, was Hesse die größte Tugend genannt hat: den Eigensinn - wer diesen hat, gehorcht dem Gesetz in sich selbst: dem »Sinn« des »Eigenen«. »Würde die Mehrzahl der Menschen diesen Mut und Eigensinn haben, so sähe die Erde anders aus.«
Hier gibt es Gegner; und es gibt Verbündete. Beides erlebt schon das Kind. Dem Pietismus des Elternhauses verdankt Hesse den religiösen Sinn, den er immer wieder als den eigentlichen Antrieb seines Schaffens bezeichnet hat. Aber in der überlieferten Form kann er den Glauben nicht annehmen - sein Eigen-Sinn revoltiert gegen das, was hinter dem Pietismus steht, die Brechung des Willens, das Dogma von der Sündhaftigkeit alles Weltlichen, Natürlichen.
Hier kommt ihm zu Hilfe ein anderes Element seiner Herkunft: das Aufwachsen in volk- und naturhafter Umgebung schwäbischer Schwarzwaldlandschaft. »Ich hatte ein gewisses Rüstzeug für das Leben mir längst schon vor Beginn der Schuljahre erworben. Ich wußte Bescheid in meiner Vaterstadt, in den Hühnerhöfen und in den Wäldern, in den Obstgärten und in den Werkstätten der Handwerker, ich kannte die Bäume, Vögel und Schmetterlinge.«
Aus diesem unschuldig-vertrauten Schauen der Welt, aus diesem Einklang in Natur erwächst ihm frühe Ahnung seiner Berufung.
»Von meinem dreizehnten Jahre an war mir das eine klar, daß ich entweder ein Dichter oder gar nichts werden wolle.«
So scheitert, bei aller Begabung, die Bildung durch die Schule; und das »Garnichts« ist oft lebensgefährlich nah. Er nimmt zuletzt seine Erziehung selbst in die Hand; und hier hilft ihm die gewaltige großväterliche Bibliothek, »ein ganzer Saal voll alter Bücher, der unter anderm die ganze deutsche Dichtung und Philosophie des 18. Jahrhunderts enthielt«.
Als er sich für einen Beruf entscheiden muß, wird er Buchhändler, um auf diese praktisch-reale Weise der Welt des Geistes nahe zu sein.
Er stürzt sich in das, was der Tag an ihn heranträgt, die reichaufschießende moderne Literatur. Es ist wie ein Rausch, aber es befriedigt ihn nicht - die Erkenntnis geht auf, »daß im Geistigen ein Leben in der bloßen Gegenwart, im Neuen und Neuesten unerträglich und unsinnig ist; daß die Beziehung zum Gewesenen, zur Geschichte, zum Alten und Uralten ein geistiges Leben überhaupt erst ermögliche«.
Man hat diese Wendung des Dichters zur Tradition darin erschöpft gesehen, daß er als Schaffender seinen Ausgang von der Romantik nahm: sein erstes Gedichtbuch trägt den Namen Romantische Lieder, eine frühe Novelle heißt Der Novalis, sein erstes Märchen, Lulu, ist in der Art von E. T. A. Hoffmann geschrieben und ausdrücklich ihm gewidmet. Aber die Beziehung liegt tiefer. Mit der epigonalen Fortsetzung ist es bald vorüber - »es war im Grunde unnütz«, sagt er, »diese holden Vorbilder nachzuahmen.« Dennoch bleibt die letzte große Epoche, zu der ja auch die Musik von Bach bis Schubert gehört, für ihn von kanonischer Geltung.
Für seinen religiösen Instinkt war hier die ersehnte Ergänzung: die Einbeziehung der Natur in eine Heiligung und Vergeistigung, wie sie das überlieferte Christentum nicht kannte oder nur in einzelnen, wie Franz von Assisi, erlebt hatte, dem Hermann Hesse ja auch früh ein Denkmal setzte, in der Nacherzählung seiner Legende.
Im deutschen 18. Jahrhundert aber hatte sich die erlöschende Frömmigkeit am Erlebnis der Natur neu entzündet - in Herders Gott-Natur, in Goethes Liedern und Hymnen, Haydns Naturseligkeit, Mozarts Weltfrömmigkeit, in der Dichtung Jean Pauls und der Romantik - war immer die »große Mutter«, wie Goethe die Natur zuerst nannte, mit ihrer Sinnen- und Seelenmacht dem Geiste gesellt worden zu unendlicher Schöpfung.
Das waren die helfenden Mächte, Natur und Tradition, die den Dichter Hesse auf seine Bahn geleiteten. Aber auch die Widerstände wurden jetzt mit gewecktem Sinn gespürt.
Es ist die Gegenwart, die eigene Zeit, die er bekämpfen, die er verneinen muß, in den Formen, in denen sie sich ihm darbietet: als Massenzivilisation, als Technisierung und Mechanisierung auch im Geistigen, im fremden sinnentleerten Betrieb der Stadt.
In mythischer Größe richtet er dagegen eine noch vorhandene Urwelt auf, wie sie ihm im Hochgebirge der Schweiz zum Erlebnis geworden war - sein Peter Camenzind, der vom Gebirge herabsteigt und die ganze Modernität mit Kunst und Literatur durchlebt, kehrt zuletzt der Zivilisation den Rücken, findet bewußt zu Berg und See der Heimat zurück.
Auch das zweite große Erzählungswerk Unterm Rad ist, aus selbsterlebter Kindheitsqual, vernichtendes Urteil über die Zeit, ihre herrschenden Bildungs- und Erziehungsmächte.
Es gehört zu dieser Stellung zur Welt, wenn der Dichter damals selber eine ländlich-bäuerliche Existenz, am Bodensee, zu verwirklichen sucht. Aber ein solcher Friede war nicht sein Los. »Um Distanz und Überblick zu gewinnen«, geht er auf Reisen, zuletzt nach Indien. Rechenschaft über sich selbst und seine künstlerische Spannweite scheinen auch die beiden Romane Gertrud und Roßhalde zu bedeuten. Aber wenn er hier den Beruf des Musikers oder des Malers zu Ende denkt, so probt und stimmt er im Grunde nur sein Instrumentarium. Zwar wird wirkliche Musik immer die Heimat seiner Seele sein, und eignes Malen wird ihn noch spät beglücken. Aber in seiner Dichtung sind von jeher die beiden äußersten Pole, mit denen sie an den anderen Künsten teilhat, zusammengebogen: im sinnlichen Erklingen bildgesättigten Worts. Diese Klangmacht und Gestalthaftigkeit müssen wir uns immer gegenwärtig halten, wenn wir von ihm nur wie von einem Denker und Deuter zu sprechen scheinen, um ihn vor allem als geistigen Verwandter der Welt zu fassen - sie lebt im kleinsten Gedicht, in der schlichtesten Erzählung, als etwas, was wir nicht nur als artistisches Wunder bestaunen, sondern als geheimnisvolles und doch so vertrautes Fluidum erleben, das uns einhüllt wie in ein liebendes Einswerden mit den Dingen, die er anrührt.
Nur läßt sich leider nicht in Begriffen davon sprechen; das erklingende Dichterwort selber kann es allein uns weisen; wie wir es hier ja noch vernehmen werden.
Wir vergessen es nicht, das immer im gleichen Rhythmus schlagende Herz der Welt - über den Stürmen und Kämpfen, die es bewältigte. Und diese Stürme und Kämpfe brachen nun mit dem Krieg erst ganz über den Dichter herein. Sie kosteten ihn fast die Existenz, sie brachten ihm fast den Bruch mit der alten Heimat.
0 Freunde, nicht diese Töne - mit diesen Worten war er 1914 auf den Plan getreten, um der Geistesverwirrung Einhalt zu tun, die in allen Völkern die kulturellen Werte und Leistungen der Gegner herabzusetzen, ja zu boykottieren begann. Das Echo, das aus Deutschland kam, war erschreckend und entmutigend. Aber es gab auch beglückende Erfahrung.
Es ist eine wundersame Fügung, daß der eine unter uns weilt, der damals ihm zu Hilfe kam, und in einem »vehementen Aufsatz«, wie er es selber nennt, das Ethos von Hesses Persönlichkeit und das Recht auf seine Gesinnung verteidigte, Theodor Heuss, heute unser allverehrter Bundespräsident, dem dafür auch in dieser Stunde unser Dank gilt, jetzt, da er durch sein Erscheinen bei unserer Feier nicht nur unter eine alte Freundschaft, sondern auch unter das schöne Paradoxon einer »Friedens-Kampfgemeinschaft« das Siegel setzt.
Im Dichter aber bewirkte der Krieg eine tiefe Wandlung.
Er litt unsäglich; was über der Lyrik jener Jahre steht, Musik des Einsamen, das könnte man als Titel auch über die Folge seiner großen Prosa-Dichtungen setzen; deren Sinn aber zugleich ein andrer Name zusammenfaßt, den ein späteres Gedichtwerk trägt: Krisis.
Die neue Einsicht brach sich Bahn: daß man die Ursache alles Zerstörerischen und Chaotischen nicht bei den andern, sondern in sich selber suchen müsse; allerdings, wie er sagt, mit dem Gefühl, »als handle es sich dabei um alles Menschenlos überhaupt«.
Der Demian ist von dieser Einkehr das erste Zeugnis. In ihm ist bohrende Psychologie und Selbstanalyse, wie auch die Zeit sie kennt. Er aber hob, was er fand - und das ist der große Schritt - ins Urtümliche, Mythische.
Wie bei Bachofen wird ihm die väterliche, die männlichkriegerische Welt überstrahlt von der Gestalt der Mutter, die ja in Urzeiten das einige Friedensreich verkörpert. Sie ist ihm Eva, Urmutter und Geliebte zugleich; dämonischrätselhaft, und doch sinn-spendend-erlösend.
Sie ist auch die Schutzgöttin der Freundschaft; der friedlich-geistigen Beziehung von Mann zu Mann. Solche Freundschaft zieht sich fast durch alle Schöpfungen des Dichters; in Sinclair und Demian tritt sie unter den Zauber magischer Vorbestimmung.
Aber für die Einsamkeit, in welche der schöpferische Mensch eingekerkert ist, gibt es noch einen anderen Trost als gedichtete Freundschaft - den Aufblick zur Höhe, den Glauben an eine offenbare Geisteswelt - das Verhältnis zur Tradition wird jetzt erst ganz bewußt und ganz fruchtbar. Der Dichter wird zum großen Wiederbringer, zum Wahrer der Tradition, indem er sie mit den Nöten der Zeit konfrontiert, unsern Weltzustand mit ihr erhellt, durchleuchtet.
Im Steppenwolf istder Gegensatz des Geistmenschen zum Irdisch-Bürgerlichen auf die furchtbare Formel des ausbrechenden schweifenden Tieres gebracht; der Zwiespalt scheint unheilbar.
Da steigt, unmittelbar aus der Realität, das Märchen, das Kühnste, was Hesse gedichtet hat: Das Magische Theater öffnet seine Pforten, auf überwirklicher Bühne lehrt Mozart in Person durch alle Verhüllungen und Verzerrungen barbarischer Zivilisation hindurch den Geist und das Göttliche erkennen. Der Dichter hat dazu selbst gesagt: »Es ist aber damit nichts getan, daß man Krieg, Technik, Geldrausch, Nationalismus etc. als minderwertig ankreidet. Man muß an die Stelle der Zeitgötzen einen Glauben setzen können. Das habe ich stets getan: im Steppenwolf sindes Mozart und die Unsterblichen und das magische Theater, im Demian und Siddharta sind dieselben Werte mit anderen Namen genannt. Man kann mit diesem Glauben leben, dessen bin ich sicher. Man kann mit ihm nicht nur das Leben ertragen, sondern auch die Zeit überwinden.«
Der Dichter hat mit diesem Werk die Zeit überwunden. Die Dimension der Gegenwart, unsres Weltaugenblicks, ist für ihn vorüber. Es bleiben die andern beiden Dimensionen: Vergangenheit und Zukunft. Es ist das Mittelalter, mit aller goldgrundierten Bild- und Farbglut, darin die Geschichte von Narziß und Goldmund spielt. Was im Demian fast fehlt, wird sichtbar: die Welt des reinen Geistes, hier des Klosters, wird Ausgangspunkt und Heimfindung auch für Goldmund, den Vertreter der Gegenwelt des Mütterlichen, Erdhaft-Sinnlichen. Noch einmal siegt die Mutterwelt; denn der den Frauen und der Liebe Verfallene ist zugleich der Schöpferische, der Künstler, der mitten im rastlosen Schweifen sein Schauen der Welt zum plastischen Bilde formt. Und der Geist steht vor dieser Herrlichkeit und vor dem Glauben an Leben und Liebe ratlos und erschüttert.
Die Freundschaft, aus welcher auch dieses Werk der größten Polaritäten lebt, weitet sich dem Dichter zur Sicht einer Gemeinschaft, in welcher jene Gegensätze versöhnt sind: der zeitlosen Gemeinschaft aller Geistigen und Schöpferischen, die es im irdisch begrenzten Augenblick so selten gibt.
Was so manchem Einsamen nur zehrende Sehnsucht ist, nach den Geistverwandten in fernen Zeiten und Zonen, das wird in der Morgenlandfahrt zur tröstlichen Vision einer Bruderschaft, die zu einem gemeinsamen Ziel sich findet. »Wir zogen nach Morgenland, wir zogen aber auch ins Mittelalter oder ins goldene Zeitalter ... unser Morgenland war ja nicht nur ein Land und etwas Geographisches, sondern es war die Heimat und Jugend der Seele, es war das Überall und Nirgends, war das Einswerden aller Zeiten.«
Diese Fahrt kommt gleichsam zu Ruhe und Ziel am Gestade Kastaliens im Glasperlenspiel. Aus dem Einswerden der Zeiten im Durchwandern der Geschichte wird beharrender Raum.
Der Begriff des Architektonischen, seit dem Barock als Bauen aus geistigem Grunde verloren, wird angewandt auf unsre letzte Tradition; gibt ihr erst das Abschließende, Verpflichtende, Erzieherische. Wenn dazu Voraussetzung ist »ein sehr weitgehender Verzicht auf das Hervorbringen von Kunstwerken«, so bedeutet dies nicht, wie man gemeint hat, eine asketische Absage an Schöpfung überhaupt - wie könnte ein Dichter sie vollziehen! Es ist nur Schöpfung andrer Art: baumeisterliche, ordnende, wertsetzende; und zugleich dienende, wie schon der Name seines Helden, Josef Knecht, es ausspricht. Er löscht damit weder aus, was er in seiner reinen Lyrik und Epik uns gegeben hat; noch opfert er der Wendung zum Dienst am Geist die Erkenntnisse, die er mit der Welt der Mütter gestaltete.
Was uns Stufen zu ihm hinauf sind, von denen uns immer nur eine nach der andern bewußt wird: das ist bei ihm allgegenwärtig und auch in der pädagogischen Provinz um ihn versammelt zu denken: wenn auch nicht mehr ausdrücklich davon die Rede ist.
Mag ihn seine Kunst andern großen Künstlern gesellen - die Einsicht in die Notwendigkeit des Dienstes an einem Höheren stellt ihn zuletzt auch an die Seite der »Erzieher des Menschengeschlechts«, die dann hervortreten, wenn die Werte wanken, wenn die Gefährdung des Welt-Sinns es notwendig macht.
Und da geht es auch um das Schicksal der Musik. Sie entstammt ja, die Unsichtbare, dem Mütterlichen, der Nacht. Und als ihr dunkles orakelhaft zweideutiges Wesen einmal, in jener hohen Zeit, geistdurchleuchtet ward; da hat es doch bei vielen wieder nur Gefühlsübermächtigung, Rausch und Traum bewirkt und Verschleierung der Wirklichkeit.
In Kastalien, der pädagogischen Provinz, wird Musik gleichsam statisch, als die am ernstesten gepflegte Kunst. Statt belangloser Fortsetzung und an Stelle eines »Virtuosentums ohne Hierarchie« erwächst ihr Deutung und Anwendung: Verfestigung in der strengen Gesetzlichkeit des Kosmischen durch Mathematik; Spiegelung in den andern Künsten und Geisterkenntnissen. Das ist der Sinn des geheimnisvollen Glasperlenspiels:Begehung der Einheit des Geistes in immer neuer Wandlung und Verknüpfung des einzelnen.
Der kastalische Orden gibt sich als Utopie, ins künftige Jahrhundert hineinprojiziert. Aber Utopie ist niemals willkürliches Phantasma, sondern Geheimlehre: Mahnung für die Wissenden und Ahnenden der eigenen Zeit.
Was unsre Zukunft daraus entnehmen wird, wissen wir nicht. Vielleicht tröstet sich ihre Trägheit damit, daß auch der Dichter-Denker solche Verwirklichungen des Geistes für endlich erkennt: den Mächten der Geschichte irgendwann verfallen; wie der Benediktinerpater Jakobus, diese wundersame Re-Inkarnation Jacob Burckhardts, aus tausendjähriger Erfahrung es den Josef Knecht gelehrt hat. Gleichsam dem zuvorzukommen, treibt es diesen, sein Amt niederzulegen, den Orden zu verlassen, um sich in der bisher ausgeschlossenen fremden Welt draußen zu bewähren. Mit dem Opfer seines Lebens besiegelt er sein pädagogisches Ethos an einem noch unreifen, schwer zu gewinnenden Zögling; dessen Erschütterung in eine weitere, Geschichts- und Geistwelt vielleicht versöhnende Zukunft weist. -
Wir verstehen, wenn der Dichter über diese Gipfelung hinaus, trotz weiter bezeugter Schaffenskraft, wie in seiner hohen Alterslyrik, keine große Planung mehr in Angriff nimmt. Hier geht es kaum weiter. Hier bleibt auch ihm nur die Bewährung: für sein Werk und Wesen im Leben einzustehen.
Er hat es seit langem geübt in der pädagogischen Provinz seiner Briefe; da er Zahllosen, direkt und indirekt, Rede und Antwort steht; aus letzter Verantwortung für Zeit und Welt auf seine Weise sich opfert.
So darf er eigene Briefe und Leserbriefe der Öffentlichkeit überlassen, da sie über das Persönliche hinausgewachsen sind und davon Zeugnis geben - wie er es in einem Briefe formuliert -, »daß Dichterwort in schweren und schwersten Zeiten nicht nur schönes Spiel, sondern Brot und Wein der Seele sein kann, Stärkung, Rettung, Hilfe beim Leben und Sterben«.
Mit dem Dank für das große, wahrende, einweihende, auferbauende Werk seiner Dichtung dürfen wir in dieser Stunde auch den Dank sagen für diese Seelen-Tröstungen aus dem Herzen eines großen Liebenden. Der Dichter ist das Herz der Welt.
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