Adolf Grimme

Im Zeitalter des Unmenschen ein Mensch

Laudatio auf Max Tau

Wenn nun auch ich in diesem Kreis ein paar Worte sagen darf, dann geschieht das nicht aus eigener Vollmacht, wiewohl es mir zugleich ein persönliches Anliegen ist, ein klares Ja zu dem Akt zu sagen, der sich heute und hier vollzieht. Es sind vielmehr die Stifter des Friedenspreises deutscher Verleger, die mich beauftragt haben, Ihnen, Herr Dr. Max Tau, die Verleihungsurkunde zu überreichen, Ihnen, der Sie ein Beispiel dafür sind, daß in unserem Zeitalter der Herrschaft der Massen die Persönlichkeitswerte keineswegs in Pension geschickt sind. Sie sind es weder bei dem, der die innere Kraft besitzt, diese Werte in seinem eigenen So-Sein zu verkörpern, noch bei denen, die diese Worte sehen und achten und in ihrer Aufgeschlossenheit auch nach außen durch eine Tat dokumentieren, noch bei denen, die dem Träger dieser Werte eine Zuflucht vor dem Zugriff derer gewährt haben, die den Geist haben austreiben wollen, anstatt, wie es uns Menschen aufgegeben ist, ihn auszugießen. Wir denken dabei an Norwegen und danken diesem Lande, daß es in den zurückliegenden Entsetzensjahren nach der Einsicht gehandelt hat, daß sich Persönlichkeitswerte nicht entfalten und zur Sicht gebracht werden können, wenn nicht zunächst einmal die Voraussetzung gegeben ist, daß deren Träger müssen existieren können. Denn folgendes geschah: ein Mensch mußte vor Unmenschen fliehen und fand eine neue Heimat in einem Land, dessen Einwohner von jeher das Recht des Menschen heilig hielten. Norwegen rettete den Menschen Max Tau. Das ist für uns mehr als eine einzelne Hilfeleistung. Es ist die Bestätigung dafür, daß es möglich ist, den Menschen zu retten.

So ist an Ihnen als an einem Beispiel, Herr Tau, zweierlei zur Anschauung gebracht, einmal, daß es Länder gibt wie dieses Norwegen, für die der Humanismus mehr als eine Vokabel ist, mit der man sich wohl gelegentlich in einer Feierstunde schmückt, daß dort der Humanismus eine lebendige Kraft ist, daß das Humanum von einem ganzen Volke vorgelebt werden kann. Und zum andern sind Sie selbst ein lebendiger Zeuge dessen, daß es auch für den einzelnen möglich ist, in einem Zeitalter teuflischer Inhumanität dem Humanen menschliche Gestalt zu geben. Dieser skeptisch belächelte, wenn nicht verachtete Imperativ des „Glaube an den Menschen", Sie haben ihn zum Gesetz Ihres eigenen Lebensweges gemacht und haben sich nicht bestimmen lassen, wie es wohl gefährlich nahe gelegen hätte, von dem Gesetz der bösen Mächte, die den zurückliegenden Jahren ihren grausigen Stempel aufgepreßt haben. Deshalb sind Sie ohne Verbogenheit und unverkrampft durch diese verkrampfte Zeit als das hindurchgeschritten, was wir alle sein sollten, als ein Mensch und sind so unwillentlich dem Heer aller bloßen politischen Taktiker zum Trotz in den Beziehungen zwischen unserem Land und Ihrem Gastland, ohne im politischen Tagesraum zu stehen, das Muster eines echten Realpolitikers geworden, der Brücken schlägt, und haben so auch eine politische Mission erfüllt.

Und geworden sind Sie es deshalb, weil der Grundzug Ihres Wesens das Vertrauen ist. Wenn mehr Menschen so wären wie Sie, Herr Tau, dann stünde es besser um uns alle und würden die Nationen friedlich miteinander leben. Daß Sie so sind, wie Sie sind, ist nur möglich, weil Sie gegen das Gift des Mißtrauens immun geblieben sind, jenes Mißtrauen, daß in unserer Zeitlage zu jener Weltkrankheit geworden ist, die den Menschen in seiner nackten Existenz bedroht. Fragen wir nach dem Antitoxin gegen diese Seuche, dann decken wir zugleich das Geheimnis Ihres So-Seins und damit Ihrer uns alle beglückenden Wirkung auf. Es liegt ganz schlicht darin, daß Sie der neutestamentlichen Forderung nachgelebt haben „Widerstrebe dem Bösen!" Denn nur so ist es möglich, daß wir uns das Gesetz des Handelns nicht vorschreiben lassen von eben diesem Bösen selbst.

Sie ließen alles hinter sich, was das Bild des Geschöpfes Gottes so hat trüben und verzerren können, und hielten das Leitbild fest im Blick: den Menschen als das edelste Geschöpf der Schöpfung, und stehen so nun vor uns als ein Beispiel des Menschen, wie er sein soll, als ein wesenhafter Mensch, Max Tau, das heißt, im Zeitalter des scheinbaren Triumphes des Unmenschen ein Mensch.

Das ist es, was Ihnen in dieser Stunde deutsche Verleger mit der Verleihungsurkunde und diesem darin festgehaltenen Text bekunden möchten:

„Um den Frieden und einer neuen völkerverbindenden Kultur zu dienen, haben die Unterzeichneten einen Friedenspreis deutscher Verleger gestiftet und verleihen ihn mit dieser Urkunde Herrn Dr. Max Tau in Oslo. Sie würdigen damit seine umfassenden Verdienste in Leben und Literatur und danken ihm für seine Haltung gegenüber der alten Heimat, die ihm seinen Einsatz oft schwer genug machte.

Indem sich die Unterzeichneten beglückwünschen, ihre Stiftung mit seinem Namen verknüpfen zu können, empfinden sie zugleich die Verpflichtung des Datums der Verleihung. Denn der 22. April ist der Geburtstag Immanuel Kants, auf dessen Schrift „Zum ewigen Frieden" noch heute alle Bestrebungen zurückgreifen, die in einem Herzensbund zwischen Frömmigkeit und Vernunft den einzigen Weg sehen, das zertrümmerte Bild des Menschen wieder aufzurichten und neues Blutvergießen zu verhindern."

Wenn ich Ihnen, verehrter und lieber Herr Tau, nunmehr die Urkunde des Ihnen verliehenen Friedenspreises der deutschen Verleger überreiche, dann gesellt sich dem Glückwunsch unser aller Dank dafür zu, daß Sie es vermocht haben, Leid in Segen zu verwandeln und der vom Menschen gequälten Kreatur ihren Schöpfungssinn wiederzugeben.

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Max Tau

Die Friedensbücherei

Dankesrede

Der Friedenspreis deutscher Verleger erreicht mich in einer Stunde, wo den Menschen der Untergang der Welt eher vor Augen zu stehen scheint als der Aufbau des Lebens.

»Ich kann nicht mehr.« »Ich kann nicht mehr.« Täglich dringt der Hilfeschrei zu uns. Es ist nicht die Arbeitslast, die die Menschen drückt, es ist die Sinnlosigkeit, die sie oft zur Verzweiflung treibt. Alle Konfessionen haben das gleiche Gebet. Sie bitten, daß der Geist des Friedens die Menschen segnen möge. Oft haben die Menschen dieses Gebet mechanisch nachgesprochen. Nur in den Augenblicken der Not hat sie der Sinn dieses Gebetes erleuchtet. Sie suchten nach Frieden für sich selbst. Aber der Friede ist unteilbar. Keiner kann ihn allein erreichen. Alle müssen versuchen ihn zusammen zu finden. Der Krieg ist sinnlos. Keine Macht kann den Frieden diktieren. Nur die geistigen Kräfte vermögen ihn zu sichern.

Hätten wir die Wahl, den Frieden geschenkt zu bekommen oder ihn durch unser eigenes Streben zu erreichen, wir wählten den Weg zum Frieden. Der Weg zum Frieden führt zur Erkenntnis der Wahrheit. Nur aus ihr kann ein neues Verständnis erstehen. Wir müssen verzichten lernen, damit wir verstehen können. Der Friedenspreis deutscher Verleger ist mehr als eine persönliche Ehrung. Er ist eine Huldigung an den ganzen Norden, wo das Menschliche sich noch in seinem Reichtum entfalten kann, wo Hilfsbereitschaft selbstverständlich und Lebensrettung Pflicht ist.

Von hier aus geht der Dank zu den deutschen Verlegern, die in der Zeit größter wirtschaftlicher Not einen Friedenspreis stiften konnten. Dadurch haben sie die Treue zu ihrer alten Tradition bewiesen. Die Verleger sind Kulturpioniere, die durch ihren eigenen Glauben, durch ihre eigene Arbeit ihren Einsatz tun. Sie bringen ihre Opfer selbst und wissen nie, wann sie ernten können.

Die deutschen Verleger waren die Wegbereiter zum Ruhme der großen nordischen Dichter. Ohne sie hätten Björnstjerne Björnson, Henrik Ibsen, Knut Hamsun, Olav Duun, Johan Falkberget, um nur einige aus Norwegen zu nennen, und August Strindberg und Selma Lagerlöf, Martin Andersen Nexö und I. P. Jacobsen, nie das große Echo der Welt erreichen können.

Die deutschen Verleger, die den Geist des Friedens zu erneuern versuchen, wissen, daß nichts mehr in der Welt gelingen kann, wenn nicht überall die guten Kräfte zueinanderfinden. Daher ist ihr Friedenspreis gleichzeitig eine Aufforderung, einen praktischen Beitrag zur Friedensbereitschaft zu leisten.

Der Mensch ist einsam geworden. Er kann alle technischen Verbindungen in einem Augenblick herstellen, aber die einzige Verbindung, die ihm unentbehrlich ist, die Verbindung zum Menschen, ist abgebrochen. Die mechanisierte Welt erschwert, was die menschliche fordert. Zu Menschen kann man nur hinwachsen. Wer den Frieden will, muß erst den Frieden in sich selbst schaffen.

Jeder Mensch wird mit einem Traum geboren. Er will das Wesentliche seines Eigenen in der Welt verwirklichen.

Immer sind es Kinderaugen, und in diesem Augenblick erleben alle die Ehrfurcht vor dem Leben. Darum müssen wir versuchen, den Geist des Friedens in den Kinderherzen zu bewahren. Darum vermag nur die Jugend eine unpolitische neue geistige Friedensbewegung ins Dasein zu rufen. Die jungen Menschen in allen Ländern, die Überlebenden aus den Konzentrationslagern, sie wissen, daß nur der, der sich überwunden hat, die Versöhnung finden kann. Er sieht das Licht in allen Dingen. Er glaubt, weil er sich selbst gefunden hat. Er besitzt Vergebung, weil er die Leiden kennt. Von ihnen strahlt der neue Geist der Versöhnung aus.

Die großen Atomforscher beschützen diesen Geist. Sie wissen, es gibt keine Wissenschaft ohne religiöse Gefühle, und es gibt keine produktive religiöse Kraft ohne Wissenschaft. Die Entdecker der gefahrdrohenden Kräfte, sie versuchen, die Hüter des wirklichen Friedens zu werden. Sie sind sich ihrer Verantwortung bewußt. Sie möchten die Kräfte, vor denen sie bangen, dem Leben überantworten. Von jedem von uns hängt es ab, ob wir eine Erneuerung des Geistes schaffen können. Alle Menschen wollen für den Frieden arbeiten, und daher sollten alle Sportvereinigungen für den Frieden spielen. In allen Ländern soll der Sport sich in Verbindung mit der Bewegung setzen, die den Sieg über alle Siege, den Frieden erringen will. Was können aber die Verleger tun?

Von hier aus geht der Ruf an alle jungen Menschen aller Nationen. Wir möchten so gerne, daß die Jugend zu den Gelehrten ihres Landes geht, um zu erfahren, welche Werte das Leben hat. In jedem Land sollen die jungen Menschen das Märchen ihres Lebens schreiben. Die Eigenart der Anschauung, die Melodie der Muttersprache sollen das hohe Lied vom Leben singen, und der verantwortliche Forscher soll in knappen Sätzen die Gefahr des Krieges verkünden. Die Jugend in allen Ländern soll dann bestimmen, wer das Märchen vom Sinn des Lebens am besten erzählt hat.

Die deutschen Verleger sollen die Organisation dieser kleinen Schriften der Jugend übernehmen. Dies soll aber nur ein Anfang sein, sozusagen ein Weg zu der Friedensbücherei, die von hier aus aufgebaut werden soll. Mein Vorschlag ist: Die Dichter, Wissenschaftler, Künstler aller Nationen sollen daran beteiligt sein. Die Literatur der letzten fünfzig Jahre hat in der Hauptsache den Menschen analysiert und seine Fehler aufgedeckt. Sie hat gezeigt, zu wieviel Bösem der Mensch fähig ist. Sie hat den Pessimismus und den Untergang der Welt nicht prophezeit, sondern sogar bildhaft gemacht. Die Literatur befindet sich in einer Schicksalsstunde. Von ihrem Geist hängt es ab, ob wir den Frieden erreichen können. Sie trägt die Verantwortung, den Menschen wieder zu einer neuen ethischen Grundlage zu verhelfen.

In der Friedensbücherei sollen junge Dichter zusammen mit Kritikern jedes Jahr eine Auswahl von den sechs modernen Büchern der Welt treffen, die zur Bewahrung und Erhaltung der Kultur und zum Glauben an das Leben beitragen können. Diese Bücher sollen nicht nur in Deutschland erscheinen, auch wenn manche von Deutschen geschrieben sind, sie sollen in allen Ländern veröffentlicht werden, die sich dieser Bücherei des Friedens und der Erneuerung anschließen. Dieser bescheidene Anfang soll die Grundlage für den Bau einer Brücke bilden, an der alle Völker beteiligt sein können.

Was den Politikern nicht gelungen ist, das muß dem Geist und der neuen Literatur gelingen - die Wiedererweckung des Vertrauens, die Ehrfurcht vor dem Leben und den Respekt vor dem Menschen zu erneuern. Denn nur so vermag man das Licht zurückzubringen, das die Welt entbehrt. Noch sind die Worte vergiftet, aber wir vermögen wieder der Musik innezuwerden. Wir können wieder in Andacht die Melodien Bachs, Beethovens, Mozarts in uns hineinnehmen. Vermag die deutsche Literatur bei der Tradition dieser großen Meister wieder zu beginnen, dann ist Deutschland nicht nur, wie T. S. Eliot gesagt hat, eines der interessantesten Länder der Literatur, dann wird die deutsche Literatur ein Wahrzeichen für die Erneuerung werden.

Die Menschen müssen wieder versuchen, sich zu finden. Der Friede kann nur von Mensch zu Mensch geschlossen werden. Wir müssen die positiven geistigen Kräfte in allen Ländern unterstützen, damit sie uns die Richtung für das Leben geben.

Wenn durch die Kraft der Seele wieder das Vertrauen für den Geist erweckt werden wird, dann wird der Himmel des Friedens für alle Länder wieder erreichbar sein.

Überall wo Menschen starben, ist die Erde heilig.

Die Opfer aller Länder haben uns eine Verpflichtung auferlegt. Wir müssen uns der Verpflichtung der Toten würdig erweisen.

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