Der Stiftungsrat für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wählt den Schweizer Gründer und Prior der Bruderschaft Taizé Frère Roger zum Träger des Friedenspreises 1974. Die Verleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 13. Oktober 1974, in der Paulskirche zu Frankfurt am Main statt. Anstatt einer Laudatio und einer Dankesrede gibt der Vorsteher des Börsenvereins, Ernst Klett, eine Einführung. Anschließend diskutiert Frère Roger mit Jugendlichen.
Begründung der Jury
Der Börsenverein verleiht seinen Friedenspreis im Jahre 1974 dem Gründer und Prior der Communauté de TaizéFrère Roger.
Er hat, mit seinen Brüdern, Männern aus allen christlichen Konfessionen, ein Stück Oekumene verwirklicht. Er zeigt jungen Menschen jeder Herkunft, aller Glaubens- und Denkrichtungen einen Weg, aus einer hoffnungslos scheinenden zu einer sinnerfüllten Existenz zu finden, jenseits von verkrusteter Theologie, verengender Ideologie.
Aus Gebet und Kontemplation seine Kraft schöpfend, wirkt Frère Roger mit seinen Brüdern in die Welt, leidenschaftlich verkündet er die "Gewalt der Friedfertigen", mutig bereitet er in einer wölfischen Zeit eine menschliche Zukunft vor.
Reden
Und immer deutlicher wird, daß unser Friedenspreis zwar auch einer Person oder einer Gruppe gilt, mit diesen aber deren Sache; öffentliches Interesse soll geweckt werden, Ermutigung ausgesprochen, Antriebe vermittelt [...] – der Friedenspreis als Appell, als Hilfe nach vorne, als Ansporn.
Ernst Klett - Grußwort
Ernst Klett
Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels
Grußwort
Herr Bundespräsident, Exzellenzen, Kollegen vom Buchhandel aus nah und fern und ein besonderer Gruß den jugendlichen Gästen aus dem Wirkungskreis des Mannes und seiner Brüder, dem wir heute den Friedenspreis verleihen. Seien Sie alle herzlich willkommen.
Es ist das 25. Mal, daß wir uns zusammenfinden, das 24. hier in der Paulskirche. Auf die Anregung eines Mannes, der gar nicht zu unserem Beruf gehörte, Hans Schwarz, hat sich damals eine kleine Gruppe von Verlegern zusammengetan und einen Friedenspreis verliehen, aus eigenem Recht. Und da ist es nun eine Freude, den Mann eigens zu begrüßen, den Empfänger des Preises in jener denkwürdigen Stunde Null, Stunde Eins, Max Tau, den guten Freund, Ehrenmitglied des Börsenvereins. Fünfundzwanzig Jahre! Ihre vielen Freunde hätten sich diesen Tag ohne Sie gar nicht vorstellen können.
Schon im Jahre darauf hat der Börsenverein, oder seine Vorform, den Auftrag übernommen. Er wagte sich gleich damit in dieses Gebäude, das sich immer noch Paulskirche nennt, und seither ist diese Feier Höhepunkt der Buchmesse, Leuchtfeuer im Buchhandelsjahr, für uns und eine nicht ganz kleine Öffentlichkeit eine Stunde des Nachdenkens, der Sorge, vielleicht der Hoffnung.
25 Jahre Friedenspreis - einige Minuten geben Sie mir für einen Rückblick, für eine Antwort auch auf Fragen, wohlmeinende bis extrem kritische, wie sie im Lauf der Jahre immer wieder an uns gestellt werden. Keine Antwort allerdings den Mißwollenden, denen die ganze Richtung nicht paßt.
Es mag manchem gefallen, wie es mir gefällt, daß Kritik am deutlichsten aus unseren eigenen Reihen kommt, von wachen Kollegen aus Buchhandel und Verlag. Einmal sollte man öffentlich auf diese Einwände eingehen - sie sind ein Anlaß, zu sagen, wie wir den Preis verstehen; zugleich auch, einer jungen Dame zu helfen, die zur Zeit just über dieses Thema ihre Doktorarbeit schreibt.
Da wird gefragt, woher wir, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, ein Unternehmerverband, eigentlich das Mandat nähmen, etwas so Anspruchsvolles zu betreiben? Seien wir selbst denn so friedensträchtig, hätten wir, uns über andere erhebend, als Berufsstand das Niveau, das uns berechtigt, etwas so Außerordentliches wie einen Friedenspreis zu verleihen? Nun, wenn das gälte, ließe sich schwerlich ein Gebilde finden, das den Ansprüchen dieser Kritiker standhielte. Es ist dies ein gut deutscher Einwand: absolut, ohne Bezug zur Realität, die Leute wollen sich nicht daran erinnern, daß in dieser Welt das Unvollkommene herrscht, daß aber gerade in einer so gearteten Welt auch unvollkommene Leute, meinetwegen fragwürdige, wie etwa wir es sind, einmal etwas Vernünftiges tun dürfen, tun sollen. Im übrigen hat in 25 Jahren eine andere Instanz, die Öffentlichkeit, uns bestätigt, unsere Mitbürger also, sie haben uns das Mandat inzwischen erteilt. Das freut uns. Wichtiger aber: Es verpflichtet.
Der Stiftungsrat, so heißt es gelegentlich, der jährlich den Träger des Preises wählt, sei nicht kompetent. Dieser Stiftungsrat setzt sich zusammen aus vier Verlegern und Buchhändlern aus dem Vorstand, vier Verlegern und Buchhändlern in der Hauptversammlung gewählt, und drei angesehenen Männern der Öffentlichkeit, Schriftsteller sind es oder sonst mit der Buchwelt eng verbunden, auch sie aus vielen Vorgeschlagenen in der Hauptversammlung gewählt. Zur Zeit: Golo Mann, Werner Ross, Heinz Zahrnt. Warum sollen diese Leute nicht berufen sein? Wer wäre besser? Jede Jury hat ihre Mängel, mäkeln wird immer einer, man mag eine solche Gruppe zusammensetzen wie auch immer. Hinzufügen kann ich aus eigener Erfahrung: Wenn immer so sorgfältig, so um das Rechte besorgt gearbeitet wird, ohne Rücksicht auf Mühe und Zeit, dann steht es nicht schlecht um unser Gemeinwesen.
Kritiker, die uns in unserer Gerissenheit ganz durchschaut haben, sagen: Der Frieden dient Euch doch nur zur Tarnung, im Grunde wollt Ihr Euch wichtig machen, Public Relations, eine großangelegte Werbeaktion für den Buchhandel, sonst nichts. Wer ernstlich »sonst nichts« sagt, verdient keine Antwort. Der Friedenspreis ist uns ernst, man möge uns das glauben. So aber, wie die Welt nun einmal ist, kann man sehr wohl eine Sache ganz ernst nehmen und gleichwohl Nebenumstände begrüßen, die nicht unmittelbar mit der großen Sache zu tun haben. Ja, wir freuen uns, daß gerade wir es sind, wir sind dankbar, daß die Verleger und Buchhändler, sonst nicht eben verwöhnt, sich geschlossen als einer guten Sache verschrieben zeigen können. Wir haben nichts gegen ein bißchen Glanz, der von der guten Sache auf uns fällt, und es ist menschlich und nicht böse, wenn wir uns freuen, bei dieser Gelegenheit mit Menschen, die für uns wichtig sind, sprechen zu können.
Es sei, sagen andere, doch eine steifleinene, in ihrer Einförmigkeit zunehmend peinliche Großbürgerveranstaltung, mit Prominenz und wohlgedrechselter Rede, unserer Zeit nicht mehr gemäß, 19. Jahrhundert. Gemach! Ganz abgesehen davon, daß wir gerade heute zeigen, es gehe auch anders - eine Preisverleihung, zumal unsere in der Paulskirche, hat mit Würde zu tun; es ist angemessen, wenn man sich dafür anstrengt, wenn man Form und Formen ernst nimmt. Daß der Repräsentant des Verbandes begrüßt, der Oberbürgermeister unserer Stadt das Seinige sagt, daß ein Kundiger den Gewählten rühmt und die Wahl rechtfertigt, daß die Urkunde überreicht wird und der Text verlesen, daß schließlich der jeweilige Träger des Friedenspreises das sagt, was gerade er zum Thema zu sagen hat, legitim ist das, dem Stil nach der Sache angemessen. Deshalb können diese Kritiker zwar maulen, aber etwas Brauchbares dagegen vorschlagen, das können sie nicht. Es muß wohl noch angemerkt werden: Ein dunkler Anzug bei triftigem Anlaß ist kein ausreichendes Indiz für reaktionäre Gesinnung.
Genug. Ganz unnütz war es wohl nicht, nach einem Vierteljahrhundert zu prüfen, ob wir auf dem richtigen Wege sind. Das gilt natürlich erst recht für das, was tatsächlich geschehen ist.
In Ihrer Hand ist die Liste der Preisträger. Sie kann sich, meine ich, sehen lassen, nehmt alles nur in allem. Sicher wird mancher sich wundern, warum der verzeichnet steht und ein anderer nicht, dem einen mögen es zu viele Christen sein, dem andern zu wenig Frauen, einem Dritten wieder zu viele Deutsche; die Linke ist sicher manchem zu schwach repräsentiert, wohl alle wünschen die Dritte Welt stärker vertreten, und sie wissen wahrscheinlich nicht, wie schwer es ist, dort fündig zu werden. Derartiges gehört zum Wesen eines Preises, einer Auswahl.
Ernst zu nehmen ist die Frage, ob wir nicht zu repräsentativ seien, ob wir nicht allzu häufig die Etablierten erwählt hätten, ausgewiesene Herren, die in Ehren, also auch friedlich, alt geworden sind. Kein Mut zum Risiko, zur Provokation, kein Organ für das gärend Neue, Honoratioren des Buchhandels zeichnen Honoratioren der Feder aus; man ist unter sich. Wir sollten nicht schelten, wenn ein Jüngerer, ein Ungeduldiger so spricht. Wir sehen aber nochmals die Liste an, diesmal genau, wir erinnern uns, wie schnell das Urteil, der Geschmack, wie schnell die Sachen selbst sich wandeln. Man wird dann bemerken, wie in den ersten Jahren, aber vereinzelt bis vor kurzem, wirklich die großen alten Männer, und eine Frau, im Vordergrund stehen, die Unbestechlichen, die in der Verbannung gelebt hatten, draußen oder hier, als wir Deutschen an uns selbst Verrat begingen, Ausländer auch, die stellvertretend stehen für die, die nicht mehr gehaßt, sondern geholfen haben. Es war legitim, diese Menschen zu ehren, zu jener Zeit, und es gehört zum Lauf der Welt, wenn der eine oder andere Name nicht mehr den Klang hat wie damals, als sein Träger hier vor uns stand. Wer nun genau hinsieht, wird einen Wandel feststellen. Zurück treten die, deren abgeschlossenes Lebenswerk gemeint war, es treten Menschen auf, die noch im tätigen Leben stehen, Herausragende, weil sie mit besonderer Intensität für den Frieden wirken.
Und immer deutlicher wird, daß unser Friedenspreis zwar auch einer Person oder einer Gruppe gilt, mit diesen aber deren Sache; öffentliches Interesse soll geweckt werden, Ermutigung ausgesprochen, Antriebe vermittelt: die Friedensforschung - Myrdal -, die Pädagogik (und dazu haben wir einen großen Toten berufen: Korczak), das Ringen, die Welt vor der drohenden Zerstörung durch den Menschen zu retten - der Club of Rome – der Friedenspreis als Appell, als Hilfe nach vorne, als Ansporn. Auch heute gilt der Preis nicht etwas Abgeschlossenem; Sie werden es nachher hören.
Nicht als ob wir überschätzten, was wir damit leisten können. Wir wissen, daß wir nichts Sichtbares bewirken, nichts Böses verhindern können. Wir wissen aber auch, daß kleine Schritte besser sind als gar keine, daß eine Bemühung besser ist als keine Bemühung selbst dann, wenn ihr der Erfolg versagt bleibt. Einen gewissen Erfolg können gerade wir aber nachweisen: Die Bücher unserer Friedenspreisträger finden in erstaunlichem Maß zusätzliches Interesse. Das zieht Kreise, das wirkt im stillen weiter, und hier und da mag es einen Menschen wandeln, eine Aktion vorbereiten.
Bevor ich Gefahr laufe, uns und unsere Sache zu loben, was ganz unangemessen wäre, schließe ich. In 25 Jahren wird hier, Deo volente, wieder einer stehen, und er wird zurückblicken, dann auf 50 Jahre. Es wird sich vieles gewandelt haben, geblieben wird sein die Sehnsucht, der Hunger nach Frieden. Wir wünschen den Verantwortlichen eine glückliche Hand, damit der Mann in 25 Jahren sich so freudig zu unserer Sache bekennen kann wie ich heute.
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Ernst Klett
Grußwort des Vorstehers
Frère Roger und die Communauté haben Ernst gemacht mit Toleranz. Sie sind offen für alle Menschen, in Taizé stellt keiner die Gretchen-Frage; in den Elendsgebieten, wo die Brüder arbeiten, wird geholfen und noch einmal geholfen, so verstehen sie Missionsdienst; unbefangen an die Arbeit gehen, der Forderung des Tages genügen, löschen, wo es brennt, das ist ein Teil dessen, was die Gemeinschaft von Taizé auszeichnet.
Ernst Klett - Statt einer Laudatio
Ernst Klett
Einführung des Vorstehers
Statt einer Laudatio
Bruder Roger hat um zweierlei gebeten: Es möge keine Laudatio gehalten werden, und er will anstatt einer Rede sich mit jungen Menschen öffentlich unterhalten. Wir haben gerne zugestimmt: Es war ja deutlich, warum gerade dieser Mann gerade diese Wünsche geäußert hat.
Keine Laudatio also. Aber gar nichts sagen? Mindestens vorstellen müssen wir vom Stiftungsrat, wen wir gewählt haben, und kurz begründen, warum wir seine Sache für dringlich, für unsere Sache gehalten haben.
Bruder Roger ist aufgebrochen, unmittelbar und unbefangen Christentum zu verwirklichen. Er hat zunächst auf ordensträchtigem Boden, Cluny, Citeaux, mit wenigen Gleichgesinnten in der Stille gelebt, betend, arbeitend, nachdenkend - ein Leben als Ordensmann, als Nichtkatholik der Tradition der alten Kirche verpflichtet, einschließlich der ehrwürdigen Gelübde. Es gehört zur Signatur unserer Zeit, daß den Menschen, den aufgeklärten zumal, ein solches Leben besonders anstößig ist. Besitzlosigkeit mag noch vielen einleuchten, es werden sogar mehr; Gehorsam schon sehr viel weniger, besonders in den westlichen Demokratien; ein Mann aber, der sich dem Zölibat unterwirft, erzielt nur noch ein Kopfschütteln. Worum es ihm als Christen geht, soll man in seinen Büchern nachlesen. Unsere Kopfschüttler berufen sich auf Sigmund Freud, den Befreier. Läsen sie ihn, die Befreiten, und läsen sie nicht nur, was sekundär und tertiär über ihn und sein Werk geschrieben wird, dann wüßten sie, daß der große Mann alle Kultur aus der Sublimierung ableitet, eben aus der Beherrschung und Transformierung der Triebkräfte. Dem Bruder Roger und den Seinen war und ist allerdings nicht Kultur zentral, sondern der Dienst an Gott, aber hier gilt Freuds These erst recht. Übrigens geschieht Kultur, wenn Religion in Kraft steht, und nicht nur bei den Christen. So jedenfalls bisher.
Die Gruppe wurde größer, und sie machte sich daran, auf ihre Weise mit dem als solchen erkannten und so bezeichneten Skandal der Trennung unter Christen fertig zu werden. Heute leben in der Gemeinschaft Brüder aus allen Konfessionen, in Taizé ist Oikumene geleistet, soweit sie heute geleistet werden kann.
Und dann, in den 60er Jahren, brach über diese Menschen, die in Gebet, Kontemplation, Arbeit leben wollten, etwas nicht Vorherzusehendes herein, alles verändernd: Jugend. Wenige zuerst, dann Hunderte, heute, als man den Mut und die Kraft hatte, ein Konzil der Jugend einzuberufen, Ungezählte. Was zieht sie nach Taizé, was geschieht dort mit Ihnen? Ich möchte darüber nicht sprechen. Sie verbitten sich mit Recht, von uns Alten darüber belehrt zu werden, was in ihnen vorgeht. Aber eines darf ich sagen, weil es jedes Lebensalter betrifft: Man lernt dort sowohl zu schweigen als zu sprechen, miteinander zu sprechen. Das ist viel. Das Schweigen ist mehr.
Dieses Ereignis, der Einbruch der Jugend, rational schwer zu erklären und gewiß nicht mit modischen Massenbewegungen von Jugendlichen zu verwechseln, hat das Leben der Brüder verändert. Die vita activa fordert von jedem einzelnen das Äußerste, und wir können nur ahnen, wie schwer es für diese Menschen ist, an Sammlung, an Kontemplation, an Schweigen zu retten, was sie brauchen, um eben dem Auftrag gerecht zu werden, zu helfen, den Armen, den Jungen, und zu kämpfen.
Wir verleihen einen Friedenspreis. Die Verleihung ist zu begründen.
Frère Roger und die Communauté de Taizé haben den Christen gezeigt, sie leben den Christen vor, und nicht nur diesen, was Christsein ist. Auch den Kirchen, noch muß man im Plural sprechen. Sie sind doppelt gefährdet, von extremen Gegensätzen her: steril zu werden oder in Fäulnis überzugehen. Taizé ist der Stachel, und die Kirchen wissen es.
Frère Roger und die Communauté haben nicht nur den bisher weitesten und kraftvollsten Schritt zur Vereinigung der Konfessionen getan; im Glauben, nicht im theologischen Disput. Sie haben sich einer weiteren Gefahr gestellt, möglicherweise einer akuteren Bedrohung, und sie haben sie bei sich gebannt. In seinem Buch »Kampf und Kontemplation« heißt das so: »Von den andern lassen um Christi willen, nicht die Hand rühren für die Menschen von heute; oder von Christus lassen um der anderen willen und sich für die Gerechtigkeit einsetzen - diese Alternative zerrt und reißt an uns. Niemals Christus ohne die Menschen! Niemals die Menschen ohne Christus!« Dieses doppelte Niemals ist der Schlüssel zu dem Tor, das den Christen die Zukunft öffnet.
Unser Friedenspreis muß auch denen einleuchten, die nicht glauben, was Christen glauben. Frère Roger und die Communauté haben Ernst gemacht mit Toleranz. Sie sind offen für alle Menschen, in Taizé stellt keiner die Gretchen-Frage; in den Elendsgebieten, wo die Brüder arbeiten, wird geholfen und noch einmal geholfen, so verstehen sie Missionsdienst; unbefangen an die Arbeit gehen, der Forderung des Tages genügen, löschen, wo es brennt, das ist ein Teil dessen, was die Gemeinschaft von Taizé auszeichnet.
Bruder Roger, in wenigen Minuten kann man nur skizzieren, und wenn ein Weltkind skizziert, dann wird das noch fragmentarischer. Sie wären lieber bei sich zu Hause in Taizé, es ist ein bißchen viel vita activa, und Sie haben sich's ja auch lange überlegt, ob das hier noch zu Ihrem Auftrag gehört. Sie sind aber doch gekommen, wohl weil Sie hoffen, etwas zu bewirken für das, was Sie und uns alle angeht. Sie haben, glaube ich, recht getan.
Sie, Bruder Roger, gehören zu den Trägern des Friedenspreises, die nicht befriedigt auf ein geleistetes Lebenswerk zurückblicken; Sie sind mitten im Wirken bedroht, angefochten, vielleicht überwältigt von so viel Jugend, die Ihnen vertraut. Sie leben im Spannungsfeld zwischen dem Dienst an Christus und dem Dienst an den Menschen, zwischen Kontemplation und Aktion, zwischen Schweigen und Sprechenmüssen. Ihre Sehnsucht ist, im Frieden mit den Brüdern zu leben; Ihr Auftrag, mit den Brüdern für den Frieden zu kämpfen. Sie gehorchen dem Auftrag.
Sie haben viele Freunde, Sukkurs mehr als je gedacht. Heute, in dieser Stunde, kommen neue Freunde hinzu. Sie kämpfen ohne Waffen, das Gebet ist Ihre Waffe; als Friedfertiger üben Sie Macht aus. Schwer war es, schwerer wird es sein. Was können wir tun, wir hier? Bete, wer kann. Wünschen dürfen wir. Wir wünschen Ihnen und den Ihren Kraft, Mut, Zähigkeit. Der Geist ist ein stiller Wühler, sagt Jacob Burckhardt. Sie wissen es: der Heilige Geist erst recht. Wir wünschen Ihnen: Gottes Segen.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck und jede andere Art der Vervielfältigung als Ganzes oder in Teilen, die urheberrechtlich nicht gestattet ist, werden verfolgt. Anfragen zur Nutzung der Reden oder von Ausschnitten daraus richten Sie bitte an: m.schult@boev.de
Ernst Klett
Statt einer Laudatio
Wenn wir beten, geschieht es aus Liebe. Wenn wir Diener des Friedens sind, geschieht es aus Liebe. Wenn wir dafür kämpfen, dem Verachteten, dem Ausgebeuteten sein Menschengesicht wiederzugeben, geschieht auch das aus Liebe. Wer betet, wird eines Tages von dieser klaren Gewißheit ergriffen: ohne Liebe, wozu leben?
Frère Roger - Statt einer Dankesrede
Frère Roger
Im Gespräch mit Jugendlichen
Statt einer Dankesrede
Zusammen mit Frère Roger sprachen in der Paulskirche vier Jugendliche. Frère Roger lag daran, daß Jugendliche gemeinsam mit ihm zu Wort kommen, als ein Zeichen für die Beziehungen, die zwischen der Communauté und dem Konzil der Jugend entstanden sind. Moiz, Birgitta, Agnes, John, alle seit dem Beginn der Vorbereitungen für das Konzil der Jugend daran beteiligt, zeigten die Hauptlinien auf, nach denen sich das Konzil der Jugend bis zu seiner Eröffnung in Taizé Ende August 1974 entwickelt hat, und sprachen dann von ihren Vorstellungen für die weitere Entfaltung und Arbeit dieses Konzils.
Moiz ist Astrophysiker und kommt aus Indien. Birgitta ist Kunststudentin, Agnes studiert Biologie und Englisch, beide stammen aus der Bundesrepublik Deutschland. John ist Amerikaner und hat Soziologie und politische Wissenschaften an der Harvard University studiert.
Frère Roger:
Cette heure inattendue signifie pour moi ceci: être confirmé comme serviteur de la paix, comme un serviteur de la paix parmi beaucoup d'autres. Cette heure, il m'a été difficile de l'accepter, au point que quelqu'un du jury disait que c'était la première fois que quelqu'un ne se réjouissait pas de recevoir le prix de la paix.
Cette confirmation, ce prix, n'est pas pour moi seul. Il est aussi pour toute la communauté qui m'entoure. Il est pour tant de jeunes qui ont payé de leur personne pour préparer le concile des jeunes. Et il est pour tant de jeunes qui, dans beaucoup de pays de l'hémisphère sud comme de l'hémisphère nord, sont réduits au silence.
Avant toute chose, je voudrais dire d'emblée que, en ce jour, j'ai la vive mémoire d'un jeune prisonnier allemand, mort en France dans l'hiver 1945-1946, tout près de Taizé.
Pour que vous compreniez ce que je vais dire, je dois rappeler que, en 1940, quand je m'établissais seul à Taizé, c'était certes pour y préparer un lieu où se vivrait une parabole de communion, mais c'était également pour y accueillir aussitôt des réfugiés politiques, en particulier des juifs français.
Je me trouvais en Suisse, faisant passer la frontière à quelqu'un, quand, en novembre 1941, la Gestapo fit irruption dans la maison de Taizé, ce qui m'obligea à en rester éloigné pendant près de deux ans.
En 1945, des camps de prisonniers allemands s'établirent dans la région de Taizé. J'obtins de recevoir, dans notre maison, tous les dimanches matin, des prisonniers allemands, pour un bref moment de prière et pour partager avec eux la nourriture qui était si difficile à trouver. La pauvreté était notre lot à tous.
Dimanche après dimanche, parmi ces prisonniers allemands je remarquai très vite, un jeune prêtre catholique. Tout en lui exprimait sérénité et rayonnement.
A cette époque, plus que jamais, la haine engendrait la haine. Un jour, quelques femmes, de notre région, épouses de déportés français dont les maris avaient été tués dans les camps de concentration en Allemagne, ces femmes dans un acte d'étrange désespoir, s'en prirent à l'un des prisonniers allemands.
Celui qu'elles atteignirent était précisément ce jeune prêtre prisonnier. Déjà très affaibli, il devait en mourir. Dans ses dernières heures, il n'y avait sur ses lèvres que paix, amour et pardon.
Je l'avais saisi déjà depuis des mois: ce jeune prisonnier allemand, ce jeune prêtre reflétait la sainteté de Dieu, au sens le plus plein du mot.
Je voudrais alors dire à tous ceux qui m'écoutent et qui ont perdu de manière tragique un fils, un père, un frère ou un mari: ils peuvent considérer leur propre fils ou celui qu'ils ont perdu dans le visage de ce jeune prisonnier.
Et maintenant il a semblé souhaitable que je dise quelque chose de ce qui a précédé la création de Taizé.
Dans ma jeunesse, en cette période où il y avait tant de déchirements entre les hommes, tout au travers de l'Europe, je m'interrogeais inlassablement: pourquoi ces oppositions, ces jugements sans appel entre les hommes, entre les chrétiens eux-mêmes?
Et je me demandais: existe-t-il, sur notre terre, un chemin pour parvenir à tout comprendre de l'autre?
Il arriva un jour que je peux dater, en un lieu que je pourrais décrire, avec la lumière tamisée du soir, les ombres descendant sur la campagne, un jour où je pris une résolution. Je me disais: si ce chemin existe, commence par toi-même et engage-toi, toi-même, à tout comprendre de tout homme.
Ce jour-là, j'eus la certitude que la résolution prise serait définitive et qu'elle vaudrait jusqu'à la mort.
Il ne s'agissait de rien moins que de revenir, et encore revenir, la vie durant, à cette résolution sans retour: chercher à tout comprendre plutôt que chercher à être compris.
Et aujourd'hui, avec l'âge qui avance, il m'est donné d'écouter quotidiennement des jeunes aux mentalités les plus diverses. Cherchant à tout comprendre en eux cherchant à saisir le meilleur de l'intuition créatrice qui est en eux, je découvre qu'à travers une grande pluralité d'expressions, il y a chez les jeunes une ardente recherche de communication.
Pour le chrétien, elle porte le nom de communion. Cette communication ou cette communion, les jeunes d'aujourd'hui la souhaitent avec le plus grand nombre de mentalités, de races.
Beaucoup de jeunes ont compris que la communion aux misères du monde était aussi participation à la lutte du monde contre sa misère.
Voilà pourquoi j'irais jusqu'aux extrémités de la terre, j'irais jusqu'au bout du monde, pour dire et redire ma confiance dans les nouvelles générations, ma confiance dans les jeunes.
*
Diese Stunde, die für mich unerwartet kam, bedeutet mir dies: als ein Diener des Friedens bestärkt zu werden, als ein Diener des Friedens unter sehr vielen anderen.
Diese Stunde anzunehmen, fiel mir schwer, so schwer, daß einige von der Jury sagten, daß zum erstenmal jemand sich nicht darüber freue, den Friedenspreis zu erhalten.
Diese Bestärkung, dieser Preis gilt nicht nur mir allein, sondern gilt der ganzen Gemeinschaft, die mit mir zusammenlebt, und gilt der großen Zahl von Jugendlichen, die mit ihrem eigenen Leben für den Preis der Vorbereitung des Konzils der Jugend aufgekommen sind, und er gilt den vielen Jugendlichen, die in verschiedenen Ländern der südlichen wie der nördlichen Erdhälfte zum Schweigen gezwungen werden.
Eins möchte ich vor allen anderen Dingen und ganz ohne Umschweife sagen: am heutigen Tag steht ein junger deutscher Kriegsgefangener in meiner Erinnerung lebendig vor mir, der im Winter 1945-1946 in Frankreich starb, ganz nahe bei Taizé.
Damit Sie verstehen können, was ich über ihn sagen will, möchte ich in Erinnerung rufen, worum es mir ging, als ich mich 1940 allein in Taizé niedergelassen habe: gewiß, ich wollte einen Ort bereit machen, wo ein Gleichnis der Gemeinschaft zum Leben kommen könnte, aber es ging auch sofort darum, dort politische Flüchtlinge, insbesondere französische Juden, aufzunehmen.
Ich befand mich gerade in der Schweiz, um jemandem über die Grenze zu helfen, als im November 1942 die Gestapo in unser Haus in Taizé einbrach. Daraufhin war ich gezwungen, mich zwei Jahre lang fern von Taizé aufzuhalten.
1945 wurden deutsche Kriegsgefangenenlager in der Nähe von Taizé eingerichtet. Ich erreichte die Genehmigung, daß deutsche Kriegsgefangene jeden Sonntagmorgen in unser Haus kommen konnten. Wir beteten kurze Zeit zusammen und teilten miteinander gemeinsam die wenige Nahrung, die wir auftreiben konnten. Die Armut traf uns alle gleichermaßen.
Sehr schnell fiel mir, Sonntag für Sonntag, ein junger Mann auf, der Priester war. Sein ganzes Wesen war Heiterkeit und strahlendes Leben.
Es waren die Jahre, in denen der Haß nichts als Haß zeugte, noch mehr als sonst.
Eines Tages tauchten einige Frauen aus unserer Gegend auf, deren Männer als französische Deportierte in Konzentrationslagern in Deutschland umgekommen waren. Diese Frauen griffen in einem Akt unbegreiflicher Verzweiflung einen der deutschen Kriegsgefangenen an.
Es traf gerade diesen jungen Kriegsgefangenen, den Priester. Sie schlugen auf ihn ein; er, schon sehr geschwächt, überlebte es nicht.
In seinen letzten Stunden lag auf seinen Lippen nichts als Friede, Liebe und Vergebung.
Ich hatte schon Monate zuvor begriffen: dieser junge deutsche Gefangene, dieser junge Priester spiegelt die Heiligkeit Christi wider, im vollsten Sinne des Wortes.
Ich möchte allen, die mir zuhören und die ihren Sohn, ihren Vater, den Bruder oder den Mann verloren haben, sagen, daß sie ihren eigenen Sohn, und wen sie verloren haben, im Angesicht dieses jungen Gefangenen wiedererkennen können.
Und jetzt scheint es sinnvoll, etwas darüber zu sagen, wie es zum Anfang von Taizé gekommen ist.
Meine Jugend lag in einer Zeit, in der es viele Risse und Auseinandersetzungen unter den Menschen quer durch ganz Europa gab. Damals stellte ich mir unablässig diese eine Frage: Warum dieses gegenseitige Sich-Bekämpfen unter den Menschen und selbst unter den Christen? Warum diese Verurteilungen, ohne Einspruch zuzulassen?
Und ich fragte mich: Gibt es auf unserer Erde einen Weg, der so weit führt, alles vom anderen zu verstehen?
Es kam ein Tag, den ich datieren kann, an einem Ort, den ich beschreiben könnte. Ein Tag, es war gedämpftes Abendlicht, die Dämmerung senkte sich über das weite Land, als ich einen Entschluß faßte. Ich sagte mir: Wenn es diesen Weg gibt, beginne bei dir selber und engagiere dich selbst; du selbst, um alles von jedem Menschen zu verstehen.
An diesem Tag hatte ich die Gewißheit, daß dieser Entschluß endgültig sei und bis zum Tod gelten würde.
Danach ging es um nichts Geringeres, als ständig auf diesen Entschluß zurückzugreifen, immer wieder, das ganze Leben hindurch: alles zu verstehen versuchen, verstehen, anstatt verstanden werden zu wollen.
Und heute, in meinem fortgeschrittenen Alter, habe ich die Möglichkeit, täglich Jugendlichen mit den verschiedensten Mentalitäten zuzuhören. Wenn ich versuche, alles in ihnen zu verstehen, wenn ich suche, unter ihren schöpferischen Vorstellungen die besten zu erfassen, entdecke ich dabei dies: die Jugendlichen haben bei aller Vielfalt ihrer Ausdrucksweisen ein brennendes Verlangen nach Verständigung, nach Kommunikation.
Kommunikation bedeutet für die Christen Kommunion, Gemeinschaft. Kommunikation oder Kommunion: die Jugendlichen von heute verlangen danach. Sie möchten Gemeinschaft finden mit Menschen aus den verschiedensten Kulturen und Rassen.
Viele Jugendliche haben begriffen, daß Gemeinschaft mit den Ärmsten der Welt zugleich Beteiligung am Kampf der Welt gegen das bestehende Elend bedeutet.
Das ist es, weshalb ich bis zu den äußersten Grenzen der Erde gehen würde, bis ans Ende der Welt, um zu sagen, daß ich Vertrauen habe zur jungen Generation, daß ich den Jugendlichen vertraue.
Moiz:
Frère Roger, Sie haben eben vom Vertrauen gesprochen. Ich heiße Moiz und bin indischer Naturwissenschaftler. Der Kontakt mit der harten sozialen Wirklichkeit meines Landes hat mich dazu geführt, Fragen über meine eigene Stellung in der Gesellschaft zu stellen. Schon als ich in deutschen und französischen Laboratorien arbeitete und studierte, habe ich nach Wegen gesucht, die außerhalb der akademischen Forschung lagen. Ganz zufällig führte vor vielen Jahren schon einer der Wege über Taizé. Dort habe ich Jugendliche getroffen, z. B. Birgitta, Agnes oder John, die sich ähnliche Fragen stellten wie ich. Inzwischen arbeite ich mit anderen indischen Naturwissenschaftlern zusammen in einem ganz kleinen Dorf in Zentralindien. Dort versuchen wir, neue Erziehungsmethoden zu finden, die den ländlichen Verhältnissen Indiens besser angepaßt sind.
Als ich noch in Europa lebte, habe ich öfters Taizé besucht, erstaunt, so viele Jugendliche aus allen möglichen Ländern gerade dort zu treffen. Es ist mir über die Jahre klar geworden, daß der Grund dafür zu einem wesentlichen Teil im gegenseitigen Vertrauen liegt. Die Jugendlichen haben Vertrauen zu der Gemeinschaft von Taizé, gerade weil die Gemeinschaft von Taizé Vertrauen zu den Jugendlichen hat.
Von Jahr zu Jahr kamen immer mehr; aus Hunderten wurden Tausende. Sie lebten dort intensive Tage im gemeinsamen Austausch. Gerade in der Vielfältigkeit der Fragen zeichnete sich eine Suche nach etwas ab, das konkret gelebt wird und alle rassischen und kulturellen Unterschiede hinwegsprengt.
Was suchen wir? Diese Frage hat die Gemeinschaft von Taizé und die Jugendlichen miteinander engagiert. Beim Versuch einer Antwort sind wir uns langsam eines gemeinsamen Weges bewußt geworden. Zu Ostern 1970 haben in Taizé Jugendliche aus verschiedenen Kontinenten die Richtung dieses Weges aufgezeigt:
Birgitta:
»Der auferstandene Christus kommt, um im Innersten des Menschen ein Fest lebendig werden zu lassen.
Er bereitet uns einen Frühling der Kirche: eine Kirche, die über keine Machtmittel mehr verfügt, bereit, mit allen zu teilen, ein Ort sichtbarer Gemeinschaft für die ganze Menschheit.
Er wird uns genügend Phantasie und Mut geben, einen Weg der Versöhnung zu bahnen.
Er wird uns bereit machen, unser Leben dafür hinzugeben, daß der Mensch nicht mehr Opfer des Menschen sei.«
Moiz:
Danach kündigte Frère Roger das Konzil der Jugend an.
Ein Konzil der Jugend:
Wir wollten versuchen, die Osternachricht zu leben; für uns selber, aber auch gemeinsam mit anderen. Das Fest und der Frühling waren angekündigt, Fest und Kampf.
Es folgten viereinhalb Jahre einer intensiven Vorbereitung.
Der erste Schritt bestand darin, einander zuzuhören. Wir haben während dieser Zeit ständig unsere Erlebnisse geteilt, den Versuch, die Osternachricht in unsere eigene Lebenswirklichkeit umzusetzen. Unser Weg findet seine Quelle im Fest des auferstandenen Christus. Und wir merkten, daß dieses Fest keinen Sinn hat, wenn wir es allein für uns behalten. Es verlangt einen Kampf, die Erde für alle bewohnbar zu machen. Angesichts von Gesellschaftsstrukturen der Unterdrückung haben wir erkannt, daß wir gegen den Strom schwimmen und selbst zum Zeichen des Widerspruchs werden müssen. Das Evangelium fordert uns auf, unablässig nach Gemeinschaft zu suchen. Die Verbindung von Kampf und Kontemplation erwies sich als wichtige Grundhaltung für dieses Ziel.
In Taizé selber trafen sich die Jugendlichen zu wöchentlichen Treffen. Dieses Jahr waren es schon mehr als 100 000. Aber nicht nur in Taizé versuchte man, die Osternachricht in der Tiefe zu verstehen. Ob in einem indischen Dorf wie Marianad oder in Finnland jenseits des Polarkreises, ob in den schwarzen Ghettos Nordamerikas oder in den Industrievierteln Brasiliens, überall trafen junge Menschen zusammen. Die Vorbereitungszeit war eine Zeit des Hörens und des Verstehens. Die vielfältigen Vorstellungen wurden nach und nach zusammengefaßt. Das innerlich Erlebte bekam in der Eröffnung des Konzils der Jugend eine klare, offene Sprache.
Die Eröffnung fand Ende August dieses Jahres in einer dreitägigen Feier in Taizé statt. Zu dieser Feier, die um das Gebet gegliedert war, kamen vierzigtausend Jugendliche aus über 100 Ländern.
Vierzigtausend Menschen in einem burgundischen Dorf, das Taizé heißt und hundertdreißig Einwohner zählt. Unweit von Cluny liegt es auf einem Hügel; ringsherum Felder oder Weinberge. Hier hat sich Frère Roger 1940 mit der Idee niedergelassen, eine oekumenische Gemeinschaft aufzubauen. Zu einem Leben des gemeinsamen Gebetes und der Versöhnung gerufen, schlossen sich ihm andere nach und nach an. 1949 haben sich die ersten sieben Brüder für immer zum gemeinsamen Leben im Zölibat, in totaler Gütergemeinschaft und der Anerkennung einer Autorität entschieden. Heute sind es siebzig Brüder.
»Habe die Leidenschaft für die Einheit des Leibes Christi«, heißt es in der Regel von Taizé. - Als solche hat die Communauté de Taizé keine konfessionelle Zugehörigkeit. Die Brüder kommen sowohl aus den Kirchen der Reformation als auch aus der katholischen Kirche; zusammen leben sie ein Gleichnis der Einheit.
Gleichnis auch einer Kirche, die kein Selbstzweck ist, sondern für alle Menschen dasein möchte; einer Kirche, die jeden annimmt, so wie er ist, weil sie Liebe ist, und die Liebe alle Auseinandersetzungen der Ideologien übersteigt. Dreimal am Tag treffen sich die Brüder von Taizé, die aus verschiedenen Kontinenten stammen, in der Versöhnungskirche und finden im gemeinsamen Gebet die Quelle ihrer Berufung, ein sichtbares Zeichen einer Kirche ohne Trennung zu sein.
»Habe die Leidenschaft der Einheit.« Die Einheit der Kirche, aber auch die Einheit aller Menschen. Einheit bleibt ein leeres Wort ohne Teilnahme an der Armut der Welt. Darum leben manche Brüder von Taizé in kleinen provisorischen Gruppen in Afrika, Brasilien, Indien mit den Ärmsten, als Zeichen der Brüderlichkeit.
John:
»Liebe die Enterbten - alle, die unter der Ungerechtigkeit der Menschen leiden und nach Gerechtigkeit dürsten«, heißt es noch in der Regel von Taizé. Wie sind Gerechtigkeit und Gemeinschaft aber möglich, wenn wir auf einer Erde geboren sind, die für die Mehrzahl der Menschen nicht bewohnbar ist? Die Zahl der Enterbten - die Verdammten dieser Erde - wächst ständig, während eine unerträglich privilegierte Minderheit über sie herrscht mit allen Mitteln der Macht und des Geldes. Es gibt Formen der Unterdrückung auch für diejenigen, die nicht mehr von Hunger und Krankheit bedroht sind. Viele Europäer und Nordamerikaner sind von der Furcht gefoltert. Furcht vor den anderen, die durch Hautfarbe oder Bräuche von uns verschieden sind, die ganz nahe neben uns leben, aber denen wir niemals begegnet sind. Furcht vor der anonymen Macht, die unsere Entscheidungen manipuliert und uns Bedürfnisse aufzwingt. Furcht vor den Armen, die wir im Verdacht haben, uns aus dem Weg schaffen zu wollen, um unseren Platz einzunehmen. Furcht, daß man uns als Leute betrachtet, die nutzlos sind, nutzlos in einer Gesellschaft, die wenig Platz für die Schwachen und Zweitrangigen läßt.
Gefangen von unserer Isolierung, erdrückt von der Wahl, die wir treffen müssen, fühlen wir uns machtlos, die Strukturen zu verändern, deren Ungerechtigkeit jeden Tag offensichtlicher wird. Unsere Armut ist eine Last, die um so schwerer wiegt, als wir uns ihrer nicht bewußt sind.
Agnes:
Welche Antwort hat das Volk Gottes auf die Spannungen, die von Tag zu Tag wachsen? Lassen wir uns in verschiedene Gruppen zerteilen, oder erschließen wir gemeinsam einen Weg der Befreiung?
Als die Christen der ersten Zeit vor unlösbaren Fragen standen und sich zu trennen drohten, beschlossen sie, sich in einem Konzil zusammenzufinden. So haben wir uns nicht für Diskussionen und Kongresse, sondern für ein Konzil der Jugend entschieden, das heißt, für eine gelebte Wirklichkeit, die die verschiedenen Vorstellungen von Jugendlichen aller Länder um ein gemeinsames Zentrum zusammenführt, den auferstandenen Christus.
Es hat verschiedene Verbindungswege gegeben, zum Beispiel diese »lebendigen Briefe«, Jugendliche, die Besuche machen. Vor allem, um denjenigen zuzuhören, die uns nicht besuchen können oder ihren eigenen Alltag nicht verlassen können, Jugendliche aus der dritten Welt und Ländern mit schwierigen politischen Situationen.
John:
Ich selber habe als amerikanischer Student während einer Reise in Mexiko vieles gelernt. Unsere gegenseitigen Vorurteile wurden dadurch abgebaut. Es war eine Entdeckung einer ganz anderen Kultur und Lebensweise, und eine persönliche Erfahrung von dem, was Unterdrückung und Unterentwicklung heißen kann. Mir ist dabei klargeworden, daß die Probleme der anderen unsere eigenen sind, daß es heute nicht länger möglich ist, in der Bequemlichkeit der Isolation zu bleiben. Aber auch, daß ein Engagement für die Menschen mit einer objektiven, weltumfassenden Analyse Hand in Hand gehen muß. Wie können wir uns jedoch zu unserer geschichtlichen Rolle als Unterdrücker anderer bekennen, ohne uns von unseren Schuldgefühlen zermalmen zu lassen?
Unsere Reisen und Treffen sind immer von uns selbst finanziert worden - ohne Unterstützung von Institutionen. Wir haben dabei gelernt, schwierigen Situationen nicht auszuweichen. Allmählich haben wir entdeckt, daß unter uns allen ein gemeinsames Bewußtsein wuchs. Vielleicht ist es wie ein Paradox, daß die wichtigsten Elemente davon aus den Ländern stammen, die bisher in Abhängigkeit gehalten werden oder zum Stillschweigen gezwungen sind.
Das Wesentliche, das wir überall gespürt haben, ist dies:
Agnes:
- Durst nach Gerechtigkeit: wo Vorherrschaft der Gewalt die Regel, und Friede Luxus für eine kleine Minderheit ist, müssen wir alles auf der Seite der Ausgebeuteten wagen, der Menschen ohne Stimme, da es keinen neutralen Weg zwischen Unterdrückern und Unterdrückten gibt.
- Durst nach innerem Leben: Gebet, Stille, Einfachheit im Lebensstil und im Umgang mit anderen gegenüber den Werten der Konsumgesellschaft. Kontemplation, als notwendige Grundlage für den Kampf nach Gerechtigkeit.
- Durst nach Gemeinschaft: aber eine Gemeinschaft, die alles mit allen teilt; eine Gemeinschaft offen für alle, Glaubende und Nichtglaubende.
John:
Die gelebte Wirklichkeit ist oft dunkel. Aber in dieser Dunkelheit sind wir vom Licht des auferstandenen Christus getragen, der die Mitte des Konzils der Jugend ist. Jetzt begreifen wir: was wir zu leben versucht haben, ist eine Vorwegnahme von einem kommenden Frühling. Christus bereitet sein Volk, die Kirche, darauf vor, ein Volk der Seligpreisungen zu werden, ein Volk, das in Kontemplation, Gerechtigkeit und Gemeinschaft lebt. So sehen wir deutlich, daß wir selbst zu diesem Volk dazugehören.
Moiz:
Das Konzil der Jugend ist also ein Ereignis innerhalb des Lebens der Kirche. In zahlreichen Ländern der südlichen wie der nördlichen Erdhälfte sehen wir schon Zeichen einer Kirche, von der John eben gesprochen hat; einer Kirche, die über keine Machtmittel mehr verfügt und Ort sichtbarer Gemeinschaft für die ganze Menschheit ist.
Diese Kirchen werden überwacht und Verfolgungen ausgesetzt. Aber gerade weil sie an kein politisches Regime gebunden sind und keine materielle Macht haben, blüht neues Leben in ihnen auf. Sie spiegeln das Evangelium wider und können zu einer befreienden Kraft für die Menschen werden.
Ein anderer Teil des Volkes Gottes, in der nördlichen wie in der südlichen Erdhälfte, zieht dagegen die Wunschbilder des Reichtums vor. Auf die Frage von Christus: »Hast du mich in dem Armen, der Hunger hatte, erkannt? Wo bist du gewesen, als ich einer der Elendsten war?« Auf diese Fragen antworten sowohl viele Christen auf individueller Basis als auch viele Institutionen der Kirche mit einer Anhäufung von Kapital und ungeheuren Reichtümern. An die Strukturen der politischen und finanziellen Macht gebunden, gibt die Kirche aus ihrem Überfluß riesige Summen als Entwicklungshilfe, aber die eigenen Strukturen ändert sie nicht. Sie verläßt die Quelle des lebendigen Wassers und langsam schwindet auch das Leben dahin. Die Institutionen arbeiten im Leerlauf, ihr Wort verliert seine Glaubwürdigkeit, und immer mehr Menschen unserer Zeit verlassen die Kirche, die das Strahlen Gottes gegen die Ohnmacht ausgetauscht hat.
Die Christen der ersten Zeit dagegen legten alles zusammen. Sie versammelten sich täglich zum Gebet, sie lebten in Freude und Einfachheit, daran wurden sie erkannt.
Agnes:
Als konkrete Geste des Teilens wird Frère Roger das Geld des Friedenspreises an eine Gruppe von portugiesischen Jugendlichen in Porto weitergeben. Diese Gruppe arbeitet mit verwahrlosten Kindern in einem Elendsviertel.
Die Communauté de Taizé nimmt nie Spenden an. Ebenso wird das Konzil der Jugend von den Jugendlichen selbst finanziert. Frère Roger, könnten Sie das erklären?
Frère Roger:
Recevoir des dons nous conduirait à la facilité. Or la facilité des moyens va contre la créativité. La pauvreté des moyens, elle, engendre l'esprit de fête.
Alors, à son insu, l'homme est poussé à être très limpide, très simple dans les relations humaines et à tout disposer autour de lui dans la beauté simple de la création.
*
Wenn wir Spenden annähmen, würde uns das zu Bequemlichkeit verleiten. Die Wahl eines zu einfachen Weges macht die schöpferischen Kräfte zunichte. Wenn die Arbeitsmittel einfach sind, entsteht der Geist des Festes. Ohne daß sich ein Mensch dessen dann bewußt ist, wird er selbst durchsichtig und klar, einfach in seinen mitmenschlichen Beziehungen. Alles fügt sich in die ursprüngliche Schönheit der Schöpfung um ihn her wieder ein.
Moiz:
Bei der Eröffnung des Konzils der Jugend wurde mit einem Brief an das Volk Gottes ausgesprochen, was uns am Herzen liegt:
Birgitta:
»Kirche, was sagt du von deiner Zukunft?
Wirst du auf die Mittel der Macht und auf die Vorteile der Kompromisse mit der politischen und finanziellen Macht verzichten?
Wirst du die Privilegien aufgeben und dich weigern, Kapital anzulegen? Wirst du endlich >die universelle Gemeinschaft werden, die mit allen ohne Unterschied teilt<, endlich eine versöhnte Gemeinschaft, ein Ort der Gemeinschaft und der Freundschaft für die gesamte Menschheit?
Wirst du am konkreten Ort wie auf der ganzen Erde Samenkorn einer Gesellschaft ohne Klassen und Privilegien werden, in der nicht mehr ein Volk über das andere herrscht, noch ein einzelner Mensch über den anderen?
Kirche, was sagt du von deiner Zukunft?
Wirst du das >Volk der Seligpreisungen< werden, ohne andere Sicherheit als Christus: ein armes Volk, das kontemplativ lebt und Frieden schafft, das Träger der Freude und eines befreienden Festes für die Menschen ist, auf die Gefahr hin, daß du verfolgt wirst um der Gerechtigkeit willen?
Da wir zu diesem Volk dazugehören, wissen wir, daß wir nichts Weitgehendes von anderen verlangen können, wenn wir nicht selbst alles für das Ganze riskieren. Was haben wir zu befürchten? Sagt uns Christus nicht: >Ich bin gekommen, ein Feuer auf der Erde zu entzünden; was will ich anderes, als daß es stark brennt!< Wir werden es wagen, beim Konzil der Jugend alles im voraus selbst zu leben, was wir verlangen. Wir werden es wagen, uns gemeinsam und unwiderruflich zu engagieren, um das Unverhoffte zu gestalten, den Geist der Seligpreisungen im Volk Gottes zur Entfaltung kommen zu lassen und ein Ferment zu sein für eine Gesellschaft ohne Klassen und Privilegierte.«
John:
Wir haben die ganze Zeit von dem Konzil der Jugend gesprochen. Aber es kommen auch zahlreich alte Menschen und Kinder nach Taizé. Sie selber, Frère Roger sind während der Gottesdienste oft von Kindern umgeben. Warum?
Frère Roger:
Les enfants?
Ils sont le vivant rappel pour nous, les adultes, qui nous perdons les dons créatifs quand nous refusons en nous l'esprit d'enfance.
Quant aux personnes âgées, sans elles la terre n'est pas habitable. - Les sociétés ou les églises qui les met tent de côté ne savent pas ce qu'elles font.
Quand les gens âgés ont consenti à leur vieillesse et àleur propre mort, ils ont alors une capacité d'intuitior irremplaçable.
Ils discernent le meilleur, ils font jaillir des sources encore enfouies chez les plus jeunes qu'eux.
Je voudrais nommer ici des femmes ou des hommes âgés, qui ont suggéré bien souvent ce que nous vivons présentement avec tant de jeunes à Taizé. Mais le temps me manque. Je voudrais au moins citer le nom d'uns femme qui vit en Pologne: Aniela Urbanowicz. Elle a perdu son mari et sa fille tués dans les camps de concentration. Devenue àgée, cette femme rend à la vérité de leur être des jeunes et des moins jeunes, et, par la confiance de l'amour, elle fait jaillir des intuitions.
Je veux citer un autre nom, lui bien connu, celui du vieux pape Jean XXIII. Devenu très vieux, il comprenait d'abord avec l'intelligence du cœur. Il est tellement vrai que l'intelligence de l'esprit vient seulement après, pour expliquer, communiquer.
Pour ma part quand je n'arrive plus à supporter les divisions anciennes et nouvelles des chrétiens, ou encore certaines démarches incompréhensible des Eglises, alors, en ces moments, je me réfère au dernier et long entretien avec le vieux Jean XXIII, peu avant sa mort.
Ce que j'ai entendu de ce vieillard me porte en avant et il me devient possible de vivre l'inespéré.
*
Die Kinder?
Sie sind für uns, die Erwachsenen, eine lebendige Erinnerung, daß wir unsere schöpferischen Begabungen verlieren, wenn wir das »Kind-Sein« in uns selbst ablehnen.
Und die alten Menschen: ohne sie ist die Erde nicht bewohnbar. Die Gesellschaft oder die Kirchen, die die alten Menschen abschieben, wissen nicht, was sie tun. Wenn alte Menschen zu ihrem eigenen Älterwerden, zu ihrem eigenen Tod »ja« sagen, wird ihnen eine unersetzliche Fähigkeit zur Intuition zuteil.
Sie finden das Wesentlichste heraus; sie schaffen Zugang zu den Lebensquellen, die bei den Jüngeren noch im Verborgenen liegen.
Ich möchte hier Frauen und Männer hohen Alters nennen, die sehr oft das vorgelebt und angeregt haben, was wir jetzt zusammen mit sehr vielen Jugendlichen in Taizé zu verwirklichen versuchen. Obwohl die Zeit kurz ist, möchte ich wenigstens einen Namen nennen, den einer Frau aus Polen: Aniela Urbanowicz. Sie hat ihren Mann und ihre Tochter in einem Konzentrationslager verloren. Jetzt ist sie alt. Sie führt junge und ältere Menschen zur Wahrheit ihres Menschseins, und durch ihr Vertrauen, das aus der Liebe stammt, vermag sie in anderen tiefe Einsichten zu wecken.
Ich möchte noch einen anderen Namen nennen, Sie kennen ihn alle: den alten Papst Johannes XXIII. Als er sehr alt geworden war, verstand er zuerst mit der Einsicht seines Herzens. Denn es ist wirklich wahr, daß das verstandesmäßige Erkennen erst danach beginnt, um Erklärungen hinzuzufügen, Kommunikation zu schaffen.
In Augenblicken, in denen ich selbst die Spaltungen unter den Christen, die alten und die neuen, oder manche unverständliche Schritte der Kirchen nicht mehr ertragen kann, besinne ich mich auf das lange und letzte Gespräch mit Papst Johannes XXIII., das wir kurz vor seinem Tod führten.
Was ich von diesem alten Mann erfahren habe, trägt mich nach vorn, und macht es mir möglich, das Unverhoffte zu gestalten.
Moiz:
In meinem Land haben alte Menschen eine besondere Stellung. Oft ziehen sie sich bewußt vom aktiven Leben zurück, um eine innere Wahrheit zu suchen. Das Gebet spielt dabei eine wichtige Rolle. Aber auch die Jugendlichen suchen immer mehr im Gebet die Gemeinschaft mit Gott.
Frère Roger, was bedeutet für Sie das Gebet?
Frère Roger:
La prière est une recherche de l'homme qui pressent que l'essentiel, l'unique réalité, demeure caché à ses propres yeux.
Ou encore: la prière est une démarche de l'homme vers Dieu, vers le Christ, vers une communion. Cette démarche de l'homme vers Dieu, si elle revêt des expressions différentes selon les temps et selon les personnes, demeure, en son fond, immuable à travers l'histoire.
Différente selon les personnes: II en est qui prient avec quelques mots. D'autres prononcent une seule parole toute leur vie.
D'autres prient avec beaucoup de paroles, telle cette femme courageuse et réaliste que fut Thérèse d'Avila au i6e siècle.
Il en est qui prient sans parole tant ils savent que le Christ lui-même prie en chacun. Tout se passe dans le silence de leur cœur.
Il en est qui ne connaissent presque jamais de résonance sensible de la présence de Dieu en eux.
Tout cela nous rend conscients qu'il n'y a pas de privilégiés ni de la prière, ni de la foi. Oui, la limite est imprécise entre le doute et la foi, entre le vide et la plénitude, entre la crainte et l'amour.
L'homme qui ose prier n'oublie jamais qu'en lui demeurent de vastes déserts, des zones d'incrédulité. Il lui arrive de croire qu'il a renoncé au Christ. Mais le Christ, lui, ne renonce jamais à nous.
L'homme qui prie le sait: sa prière n'est pas en vue d'une utilité quelconque. Il est là, il attend et voilà qu'un jour, cet homme qui prie constate qu'il n'est jamais seul, il est habité par un amour qui ne vient pas de lui.
Pour lui, le Christ qui est amour est l'unique source. Si l'homme prie, c'est par amour. S'il est serviteur de paix, c'est par amour. S'il lutte pour rendre visage humain à l'homme méprisé, exploité, c'est encore par amour. L'homme qui prie, un jour est saisi par cette claire certitude: sans amour, à quoi bon exister?
Là est le sens de sa vie: il est aimé pour l'éternité afin qu'à son tour, il aille jusqu'à mourir d'aimer.
Aussi rien n'est grave si ce n'est de perdre l'amour.
*
Das Gebet ist das Suchen von Menschen, die ahnen, daß die wesentlichen Dinge, daß das einzige, was Wirklichkeit hat, ihren eigenen Augen verborgen bleibt.
Das Gebet ist auch der Aufbruch des Menschen hin zu Gott, zu Christus, zur Gemeinschaft. Solch ein Aufbruch eines Menschen zu Gott kann verschiedene Gestalt annehmen, je nach der besonderen Lage, der persönlichen Situation; und doch bleibt er die ganze Geschichte hindurch im Grunde unverändert, im Wesen gleich.
Verschieden ist das Gebet je nach den Menschen: manche beten mit wenigen Worten, andere gebrauchen ihr Leben lang nur ein einziges Wort.
Und es gibt andere Menschen wie Theresa von Avila, eine mutige und ganz in der Wirklichkeit stehende Frau aus dem 16. Jahrhundert, die es mit vielen Worten tun. Es gibt Menschen, die ganz ohne Worte beten, so sehr wissen sie, daß Christus selbst in ihrem Inneren betet. Alles vollzieht sich in der Stille ihres Herzens.
Es gibt Menschen, die fast nie den Widerhall der Anwesenheit Gottes in sich spüren. Dies alles macht uns bewußt, daß es weder im Gebet noch im Glauben Bevorzugte und Privilegierte gibt. Es ist wahr, zwischen Zweifel und Glaube, zwischen Leere und Fülle, zwischen Angst und Liebe läßt sich keine klare Grenzlinie ziehen.
Der Mensch, der es wagt, zu beten, wird nie davon loskommen, daß in ihm selbst Bereiche des Nichtglaubens bestehen bleiben, die wie unermeßliche Wüstenstriche sind. Es kann sogar so weit kommen, daß er glaubt, Christus zurückgestoßen zu haben. Christus aber stößt uns niemals zurück.
Ein Mensch, der betet, weiß, daß er dies nicht tut, um einen Nutzen daraus zu ziehen. Er ist einfach da und wartet. Wer betet, entdeckt eines Tages, daß er niemals ganz allein ist. In ihm wohnt eine Liebe, die nicht von ihm selber ist. Christus, der Liebe ist, ist für ihn die einzige Quelle. Wenn wir beten, geschieht es aus Liebe. Wenn wir Diener des Friedens sind, geschieht es aus Liebe. Wenn wir dafür kämpfen, dem Verachteten, dem Ausgebeuteten sein Menschengesicht wiederzugeben, geschieht auch das aus Liebe. Wer betet, wird eines Tages von dieser klaren Gewißheit ergriffen: ohne Liebe, wozu leben?
Darin liegt der Sinn seines Lebens: geliebt zu sein bis in die Ewigkeit, damit er auch seinerseits grenzenlos liebt.
Nichts ist deshalb schlimm, es sei denn, wir verlieren die Liebe.
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Statt einer Dankesrede
Frère Roger im Gespräch mit Jugendlichen
Chronik des Jahres 1974
+++ Die Sowjetunion weist im Februar 1974 den Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn aus. +++ Walter Scheel wird Mitte Mai als Nachfolger von Gustav Heinemann zum Bundespräsidenten gewählt. +++ Der persönliche Referent von Bundeskanzler Brandt, Günter Guillaume, wird Ende April unter dem Verdacht der Spionage für die DDR festgenommen. Willy Brandt tritt im Verlauf der Agentenaffäre im Mai überraschend mit der Erklärung zurück, dass ein Kanzler nicht »erpressbar« sein dürfe. Helmut Schmidt wird auf Vorschlag Brandts zum neuen Bundeskanzler gewählt. +++
Im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland spielen erstmals die Mannschaften der BRD und der DDR gegeneinander. Die DDR gewinnt mit 1:0. Fußballweltmeister wird die Mannschaft der Bundesrepublik durch einen 2:1-Sieg über die Niederlande. +++ Auf Zypern stehen sich Mitte Juli nach dem Sturz von Präsident Makarios durch griechische Militärs zwei NATO-Partner in einer militärischen Aktion gegenüber. Die Türkei beschuldigt die griechischen Militärs, den Putsch inszeniert zu haben, um Zypern an Griechenland anzuschließen. Erst nach langwierigen Verhandlungen kommt es zu einem Waffenstillstandsabkommen. +++ In Portugal beendet die gewaltlose »Nelkenrevolution« die Diktatur des Regimes unter Marcelo Jose Caetanos. +++ Der US-amerikanische Präsident Richard M. Nixon erklärt im August aufgrund der »Watergate-Affäre« seinen Rücktritt. Sein Nachfolger wird Gerald R. Ford. +++ Holger Meins, einer der RAF-Häftlinge, stirbt im November an den Folgen seines seit September andauernden Hungerstreiks. Daraufhin kommt es in mehreren Städten zu Protestdemonstrationen und Anschlägen. Jean-Paul Sartre besucht Anfang Dezember Andreas Baader im Gefängnis Stuttgart-Stammheim und kritisiert die Haftbedingungen. +++
Biographie Frère Roger
Roger Louis Schutz-Marsauche wird am 12. Mai 1915 in Provence in der Schweiz geboren. Nach seinem Theologiestudium kauft er 1940 im Departement Saone-et-Loire ein leerstehendes Haus, in dem er Verfolgten, vor allem jüdischen Flüchtlingen, eine vorübergehende sichere Bleibe anbietet. 1942 durchsucht die Gestapo das Haus. Roger Schutz kann in die Schweiz fliehen und kehrt zwei Jahre später, nach der Befreiung, zurück.
1949 gründet er zusammen mit sechs weiteren Brüdern einen evangelischen Orden, in den aber auch Angehörige anderer Konfessionen aufgenommen werden. Brüderlichkeit und Versöhnung zwischen den Nationen, Konfessionen und Klassen ist das erklärte Anliegen der Gemeinschaft.
In den 50er Jahren entwickelt sich Taizé zunehmend zu einem Treffpunkt junger Menschen aus allen Teilen Europas. Papst Johannes XXIII. lädt Frère Roger als offiziellen Beobachter des römischen Konzils ein, auch die anderen christlichen Kirchen öffnen sich dem Orden Rogers.
Ab 1974 findet jährlich das »Konzil der Jugend« statt, zu dem Frère Roger Ostern 1970 erstmals einlädt und zu dem sich seither jährlich Zehntausende junger Menschen treffen.
Frère Roger wird am 16. August 2005 in Taizé im Alter von 90 Jahren von einer offenbar geistig verwirrten Frau erstochen.
Auszeichnungen
2003 Dignitas Humana Award
1997 Notre Dame Award
1992 Straßburger Robert-Schuman-Preis
1989 Karlspreis der Stadt Aachen
1988 UNESCO-Preis für Friedenserziehung
1974 Templeton-Preis
1974 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels