Der Stiftungsrat für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wählt den Club of Rome zum Träger des Friedenspreises 1973. Die Verleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 14. Oktober 1973, in der Paulskirche zu Frankfurt am Main statt. Die Laudatio hält Nello Celio. Den Preis nimmt der Gründer Aurelio Peccei entgegen.
Begründung der Jury
Der Börsenverein verleiht seinen Friedenspreis 1973 an den Club of Rome.
Er ehrt damit eine kleine Gruppe von Persönlichkeiten aus über dreißig Nationen, die, ohne Macht und äußeres Mandat, sich zusammengefunden haben, um dem Frieden dadurch zu dienen, daß sie die Voraussetzung für den Frieden schaffen helfen.
Diese Gruppe hat den Mut und die geistige Energie zum Entwurf einer lebenswerten Zukunft, indem sie entschlossen den Bannkreis nationaler, ökonomischer, ideologischer Zwänge durchbricht; indem sie Wissenschaft und Wirtschaft anruft, mitzuwirken, um Unheil abzuwenden, das Wissenschaft und Wirtschaft mitverursacht haben; indem sie nüchtern die Grenzen einer endlichen Welt und ihrer Möglichkeiten zieht, und denen, die vollstrecken, Alternativen anbietet, innerhalb dieser Grenzen das Leben erträglich, verständlich, gerecht, also menschenwürdig zu machen.
Reden
Das große Versprechen des Club of Rome ist, daß Wissenschaft, Technik, Wirtschaft nicht Schicksalsmächte sind, sondern daß die gleiche menschliche Intelligenz, wenn sie sich nur frei macht, die durch sie entfesselten Kräfte sich botmäßig machen kann, sie zu lenken lernen muß.
Ernst Klett - Grußwort
Ernst Klett
Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels
Grußwort
Herr Bundespräsident, hohe Gäste, liebe Freunde vom Buchhandel aus aller Welt,
erlauben Sie mir, bevor ich zur Sache komme, einige Sätze außerhalb der Reihe, insofern immerhin hierher gehörig, als auch von einem Gut, einem Wert die Rede ist, die erhalten werden müssen, wenn uns ein Weiterleben in Würde vergönnt sein soll: der Sprache, in der wir sprechen, lesen, schreiben. Sie haben, Herr Bundespräsident, vor einigen Monaten in Marbach ernst auf unsere Pflicht hingewiesen, behutsam mit der Sprache umzugehen, rundum, insbesondere aber zu wehren der Gefahr, die ihr aus der Überfremdung droht. Wir haben Sie recht verstanden, daß Sie nun nicht plötzlich lauter Fremdwortmuffel um sich sehen wollten, sondern Sie haben uns gewarnt vor dem Unhöflichen, Unfreundlichen, dem durchaus Unmenschlichen, das darin liegt, daß diejenigen, die aus irgendwelchen Gründen mehr wissen, ihr Wissen in einem wissenschaftlich sich tarnenden Rotwelsch weitergeben, und die Lernenden bleiben ratlos. Diese Warnung gilt weithin, in allen Bereichen, nicht nur in der Gesellschaftswissenschaft, und ich meine, wir, besonders die Verleger unter uns, sollten uns diese Mahnung zu Herzen nehmen, Ich wiederhole sie heute, diese Mahnung, weil mir schien, sie sei damals nicht so recht ins Bewußtsein derer gedrungen, die es angeht, und ich habe sie für mich heute ganz ernst, fast überernst genommen, indem ich in dieser Eröffnung unserer Friedenspreisfeier kein fremdes Wort verwende. Mit einer Einschränkung. Gleich zu Beginn, bei der Begrüßung, konnte ich zwar die Exzellenzen zur Not mit »hohe Gäste« übersetzen – genau hinsehen darf man da allerdings nicht, denn »hohe« Gäste setzen voraus, daß auch »niedere« Gäste da sind, und das ist erweislich nicht der Fall. Die »Kollegen« waren leicht in »Freunde« umzuwandeln, wobei ich von denen, die nicht so gerne meine lieben Freunde sein wollen, um des guten Zwecks willenVerständnis und Vergebung erbitte. Ganz zu Beginn aber war nichts zu ändern, das fremde Wort mußte stehenbleiben, wenn ich nicht unehrerbietig werden wollte, verehrter Herr Bundespräsident.
Nun aber zur Sache. Es ist das 24. Mal, daß der Börsenverein seinen Friedenspreis verleiht, und es ist das erste Mal, daß dieser Preis nicht einer ehrwürdigen Person gilt, gelegentlich waren es auch zwei, die in der ihr gemäßen Art sich in den Dienst der Arbeit am Frieden gestellt haben, sondern einer Gruppe von gleichstrebenden Menschen, einer Gruppe gar, von der man nicht sagen kann, sie habe ein abgeschlossenes Werk hinter sich gebracht, sondern die im Aufbruch ist und von der wir die große Leistung erst erhoffen.
Was ist das übrigens: wir? Wir, das sind die Hersteller und Vertreiber von Büchern. Bevor ich mit wenigen dürftigen, andere nachher mit gewichtigen Worten über die Gruppe rede, die diesen Preis empfängt, sei denen ein Wörtchen gewidmet, die uns die Berechtigung absprechen, etwas so Hohes und Anspruchsvolles zu tun wie einen Friedenspreis zu verleihen. Kaum von außen, aber deutlich aus unseren eigenen Reihen hört man gelegentlich von Anmaßung reden, davon, ein Haufen von Kaufleuten, die zufällig mit Büchern zu tun haben, sei dazu nicht berufen. Ehrenwerte Leute, die das sagen, aber haben sie recht? Ich meine: nein.
Es war mutig, als damals einige Wackere mitten im Trubel des beginnenden Aufbaus diesen Tag der Besinnung auf ein höchstes Gut begründet haben, und es steht uns gut an, wenn wir uns weiterhin zu ihnen und ihrem Ziel bekennen. Aber selbst wenn wir ein bißchen hoch, ein bißchen über uns hinausgreifen sollten, selbst wenn ein Gran Anmaßung hineingemischt ist: lieber ein bißchen unbescheiden das Rechte tun, als bescheiden gar nichts. Im übrigen: »nur die Lumpe sind bescheiden«, und das stammt von dem großen Sohn unserer Stadt Frankfurt.
Eine Gruppe also, die sich zwar schon ausgewiesen hat, die aber noch auf dem Wege ist, ehren wir. Eine Gruppe von Freiwilligen, nur dem Auftrag folgend, den sie sich selbst gestellt hat, ohne Aufwand, ohne Geschäftsstelle, eine Gruppe, die sich der Zukunft verpflichtet fühlt in der Sorge, es könnten die Voraussetzungen wegfallen, die wir brauchen nicht nur für den Frieden, sondern auch dafür, daß die Menschen, und wahrlich nicht nur die Menschen in den wohlhabenden Ländern, lebenswürdig leben dürfen. So wichtig und Wege weisend das Buch »Die Grenzen des Wachstums« ist, das im Auftrag dieser Gruppe entstanden ist: nicht diese Leistung meinen wir in erster Linie, sondern die Tatsache, daß Menschen gemeinsam die Leidenschaft, den Mut und den Willen aufbringen, durch Anregen, Antreiben, durch Bitten und Überzeugen die von Erstarrung bedrohten Wissenschaftler und Staatsmänner zu bewegen, das in die Zukunft hinein Richtige zu tun.
Wenn die Menschen dieser Gruppe, aus vielen Ländern stammend, in vielen Sprachen redend, aber auf ein Ziel gerichtet, ihrem Auftrag gerecht werden, dann wird sich die Welt verändern, nicht durch Redensarten, nicht durch Hochherzigkeiten, sondern durch Wissenschaft. Sie ist schneller fortgeschritten, als die Menschen folgen konnten. Wissenschaft, auch Wirtschaft, sind von Menschen geschaffen, also auch in ihren Ergebnissen von Menschen beherrschbar. Dieses Beherrschen muß gelernt werden. Das große Versprechen des Club of Rome ist, daß Wissenschaft, Technik, Wirtschaft nicht Schicksalsmächte sind, sondern daß die gleiche menschliche Intelligenz, wenn sie sich nur frei macht, die durch sie entfesselten Kräfte sich botmäßig machen kann, sie zu lenken lernen muß. Geredet hat man darüber schon oft genug, aber jetzt wird zugepackt. Die nächsten Jahre werden es zeigen. Daß sehr viel hinzukommen muß, daß alle Kräfte aufgerufen sind, daß die behutsame Pflege der Bodenschätze, die Reinigung der Umwelt, die Begrenzung der Bevölkerung nur Voraussetzungen für ein recht gelebtes Leben der Menschen sind, wissen wir und wissen die, die wir heute auszeichnen. Wenn aber nicht einmal das geleistet wird, dann hat alles Nachdenken über das Weitere keinen Sinn. Deshalb ist es gut, Geist und Kraft auf die Voraussetzungen zu werfen, und das geschieht.
Und noch ein freundliches Wort: Auch wenn es den und jenen ärgert, weil es ihm nicht in seinen Kram paßt, so soll doch an dieser Stelle ein Lob der Stiftung Volkswagenwerk ausgesprochen werden. Es ist einfach wahr, daß diese Stiftung ganz und gar hei in ihrer Entscheidung ist, und sie hat eine wissenschaftliche Arbeit zu fördern, obwohl ihr bekannt war, daß als Ergebnis nicht gerade die Empfehlung herausgekommen werde, man solle die Zahl der Kraftwagen in der Welt vervielfachen, sondern eher das Gegenteil.
Wir vom Börsenverein überschätzen unsere Wirkung in der Öffentlichkeit gewiß nicht, aber vielleicht trägt diese Stunde ein bißchen dazu bei, Sie, verehrte Vertreter des Club of Rome, in Ihrer Bemühung zu bestärken. Sie haben viel Kritik erfahren in letzter Zeit und Sie sind auch nicht selten unsachlich angegriffen worden. Wir wissen, daß Sie für in die Zukunft weisende Kritik nicht nur dankbar, sondern daß Sie darauf angewiesen sind. Die Art allerding, wie man Ihnen gelegentlich zusetzt, sei es aus schierer Dummheit oder aus weltanschaulich angeheizter Bosheit, war doch wohl nicht zu erwarten. Lassen Sie das nicht an sich herankommen, sondern erinnern Sie sich und vielleicht auch Ihre Mitstreiter, wenn Sie demnächst in Tokio zur Vollversammlung zusammentreten, an ein keckes Sprüchlein des großen Sohnes, nur in einem Wort verändert:
»und ihres Bellens lauter Schall,
beweist nur, daß wir reiten«.
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Ernst Klett
Grußwort des Vorstehers
Es ist das große Verdienst des Club of Rome, die Aufmerksamkeit auf eine mögliche fatale Entwicklung der Menschheit gelenkt zu haben, zu einem Zeitpunkt, in welchem breite Bevölkerungskreise beunruhigt und überzeugt sind, daß die heutigen Tendenzen im hektischen Leben unserer Industriegesellschaft nicht weiter bestehen können.
Nello Celio - Laudatio auf den Club of Rome
Nello Celio
Auf den Friedenspreisträger 1973
Laudatio auf den Club of Rome
Groß ist meine Freude, heute unter Ihnen weilen zu dürfen. Ihre Anwesenheit, Herr Bundespräsident, erlaubt mir, Ihnen im Namen des Schweizerischen Bundesrates erneut die Gefühle unserer hohen Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen. Dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels möchte ich meine Dankbarkeit aussprechen für die Verleihung des Preises an den Club of Rome und dafür, daß er mir die Ehre erweist, für diesen die Laudatio zu halten.
Die Zivilisationen leben von moralischen Werten, von Wissenschaft und Kunst. Welcher dieser drei Errungenschaften huldigen wir heute? Ich denke allen.
Die Geschichte des Planeten Erde zeigt uns, daß das Leben nur eine Episode ist zwischen dunklen toten Ewigkeiten und daß in dieser kurzen Episode das Licht des Wissens nicht lange leuchtet. Das Denken ist nur ein Lichtstreifen, wenn auch ein essentieller, in einer langen Nacht. Dieses Licht ist eben alles. Wir haben das Glück, in einer phantastischen Epoche zu leben, wo das Unmögliche in den Bereich des Möglichen rückt und alle Voraussetzungen vorhanden sind, um eine gerechtere, nach dem allgemeinen Wohl orientierte Welt und Gesellschaft zu schaffen. Dieses Bestreben ist so alt wie die Welt; Platos Philosophie und die Insel von Thomas Morus zeigen vom Streben nach menschlichen Zuständen unter unmenschlichen, primitiven Verhältnissen. Damals war dies Utopie.
Heute haben uns Wissenschaft und Technologie gezeigt, daß die menschliche Welt realisierbar ist. Obschon wir zu sagen pflegen, auf allen Gebieten seien Fortschritte festzustellen, nur nicht in der menschlichen Moral, und trotz der unzähligen Beispiele, die man anführen könnte, um dies zu beweisen, wird man doch nicht bestreiten können, daß die wissenschaftliche Revolution eine positive Wirkung ausgeübt hat auf die geistige und kulturelle Entwicklung der Völker. Die ethische Wirkung der Wissenschaft hat die Gefühle und die Weltanschauung der zivilisierten Menschheit geändert. Schon die Wahrheit hat eine andere Bedeutung erlangt, dank der ungeheuren Verbreitung der von der Wissenschaft geschaffenen Informationsmittel. So dient uns die Wissenschaft als Mittel zum Handeln und entfaltet moralische Werte, die unsere Aktionen steuern. Sie läßt uns die Zukunft schauen.
Und die Kunst? Die Werte der Zivilisation strahlen aus von der Kunst, sei es in positiver oder in negativer Form: die prämierte Tugend oder die Schande der Ungerechtigkeit. Schriftsteller, Poeten, Musiker, Maler und Bildhauer vermitteln doch eine menschliche Botschaft, die über Ethik und Wissenschaft hinausgeht. Daß die Welt nach dem letzten unheilvollen Krieg Fortschritte gemacht hat, ist - so glaube ich - unbestritten. Geistig und materiell ist die Welt besser geworden, auch wenn gewisse Untaten das Gegenteil zu beweisen scheinen, auch wenn es noch Gebiete gibt, wo untragbares Elend herrscht, Gebiete, die einen Entwicklungsrückstand aufweisen, den sie allein nie beheben können. Trotz der besseren Welt haben wir alle das Gefühl, schlechter zu leben als zuvor. Denn in der Tat, trotz erheblicher Verbesserung der sozialen Verhältnisse sind wir sicher nicht beruhigt, und zwar wegen des ständig größer werdenden Auseinanderscherens der Begehren der Gesellschaft und der Wirklichkeit. Die Begehren nehmen immer mehr zu, und zugleich nimmt die Möglichkeit ihrer Realisierung ab. Wir kommen aber auch immer mehr zur Erkenntnis, daß die im vergangenen Jahrhundert entwickelten Kräfte zwar ungeheure Fortschritte gebracht haben, die wir bisher als segensreich betrachteten, daß sich jedoch die ganze Entwicklung langsam auf einen Abgrund zu bewegt. Die im Rahmen der modernen Wissenschaft und Technologie geschaffenen Kräfte haben also andere Wirkungen hervorgerufen, als ihre Entdecker und Förderer angenommen haben.
Diese Erkenntnis und das dadurch notwendig gewordene vollständige Umdenken verunsichern die Welt. Jede Epoche der Geschichte ist durch ihre besonderen Probleme gekennzeichnet. Meistens können sie erst später durch die Historiker klar umschrieben werden, nachdem eine zeitliche Distanz zu den Ereignissen gewonnen wurde.
Im Wirrwarr der heutigen Existenz kann nur das Denken in Zusammenhängen Dinge beleuchten, die man wohl ahnt, aber nicht richtig erkennt oder sogar ignoriert. Solche wesentlichen Probleme zu erfassen, ist eine große Leistung, obwohl es nachträglich eine Selbstverständlichkeit scheint. Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, daß die Einsicht in die Entwicklung eine vollständige Umstellung des Denkens voraussetzt und daß, wie gesagt, Dinge, die man bisher als neutral oder sogar zivilisationsfördernd betrachtet hatte, sich auf einmal als für die Menschheit verhängnisvoll herausstellen.
Dem Club of Rome fällt das große Verdienst zu, das Hauptproblem des Jahrhunderts erfaßt und wissenschaftlich untersucht zu haben, nämlich die ungeheure Entwicklung unserer modernen Industriegesellschaft, die mit ihrer ungebändigten Dynamik den ganzen Erdball erfaßt und eine Reihe von unheilvollen Fragen aufkommen läßt. Diese sind untereinander so eng verkettet, daß nur eine Globalbetrachtung und eine Globaluntersuchung Wege und Methoden aufzeigen können, um der drohenden Zerstörung jahrhundertealter Werte entgegenzutreten.
Es ist mir deshalb eine große Ehre, am heutigen feierlichen Anlaß der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels die verdienstvollen Anstrengungen des Club of Rome würdigen zu dürfen.
Die Gedanken, welche den Club of Rome animiert und deren hohes Niveau die Welt erschüttert haben, brachten eine Existenzproblematik zur Diskussion, die in ihren Globalaspekten bisher unbekannt war. Daß diese - an sich unbestreitbare - Grundidee vor allem auf der politischen Bühne mißbraucht wurde, um Initiativen zu bekämpfen, die aus andern Gründen nicht beliebt waren, ändert nichts am sozialpolitischen Wert dieser Initiative. Es gibt nichts auf dieser Welt, das nicht mißbraucht wird; es gibt keine grundlegende Existenzfrage, die nicht eine Verwirrung der Geister hervorruft und oft zu unheilbaren Widersprüchen führt.
Der Schweizerische Bundesrat hat - trotz seiner allgemeinen Zurückhaltung - in Würdigung des humanitären Charakters der Initiative und ihrer für die Menschheit grundlegenden Bedeutung, die Durchführung und Organisation der ersten formellen Sitzung des statutenlosen Clubs ermöglicht, dessen wenige Mitglieder nur eines gemeinsam haben: die hohe wissenschaftliche Bildung und die Fähigkeit, aus Teilelementen eines Globalproblems Lehren für die Zukunft zu ziehen.
Es ist aber unerläßlich, daß ich, ihrer Bescheidenheit zum Trotz, die Gründer des Club of Rome erwähne, damit wenigstens diejenigen, die die Organisation auf die Beine stellten und ihr die treibende Kraft gaben, nicht hinter der Anonymität einer Vereinsbezeichnung in den Hintergrund treten. Der Geist und die Ausstrahlung des Clubs sind hauptsächlich sieben Persönlichkeiten zu verdanken, auch wenn später andere Kräfte die Initiative stark gefördert haben. Es sind die Herren Aurelio Peccei (Rom), Alexander King (Paris), Hugo Thiemann (Genf), Eduard Pestel (Hannover), Saburo Okita (Tokio), Carrol Wilson (Cambridge, Mass.) und Frits Böttcher (Den Haag).
Während der ersten Berner Sitzung ist in Kreisen von schweizerischen Vertretern von Wirtschaft und Wissenschaft die Problematik, welcher die Menschheit gegenübersteht, eingehend behandelt worden. Die Problematik bestand darin, die Summe der in enger Wechselwirkung verknüpften Einzelprobleme zu erfassen. In der Tat verwirrt sich dieser Knoten mehr und mehr, so daß die Entwicklung der Menschheit zusehends mehr gefährdet wird. Sie kommt in eine Zwangslage, aus welcher im Moment noch kein Ausweg zu sehen ist.
Die inneren Zusammenhänge, die Verflechtungen in der Industriegesellschaft, sind derart imposant geworden, daß die Problematik nur weltweit erfaßt werden kann. Die Welt ist einfach klein geworden; es hat auf diesem doch kleinen Planeten, vor allem in den Industriestaaten, das umweltfeindliche Wachstum die Oberhand gewonnen. Die wachsende Dominanz des Menschen der Natur gegenüber, der zivilisatorische Prozeß mit den steigenden Ansprüchen überschatten die Abwehr- und Regenerationskräfte der Natur. Es ist eine Frage des Maßes. Was die früheren Generationen benutzten, war für die Umwelt erträglich. Was wir heute tun, mengenmäßig und technologisch durch Erzeugung von neuen Stoffen - an sich dem Bild und den Bestrebungen der modernen Gesellschaft entsprechend -, entzieht sich der Abbaukraft der Natur. Die Lösung eines einzelnen Problems genügt nicht mehr, denn es entstehen neue, bevor sich eine Wirkung einstellt. Die Globalität der Problemstellung und die zeitliche Abwicklung der Gegenmaßnahmen dürften zu den Hauptsorgen gehören. Wachstum ist sicher notwendig, aber sogar das qualitative Wachstum, das umweltfreundliche Wachstum, muß in eine gewisse Raum- und Rahmenordnung gebracht werden. Der Marktwirtschaft müssen im Interesse der langfristigen gesellschaftlichen Entwicklung geeignete Rahmen- und Randbedingungen gestellt werden. Mit andern Worten soll das zivilisatorische Streben in Einklang und ins Gleichgewicht gebracht werden mit der nicht vermehrungsfähigen Welt und Umwelt. Geschieht dies nicht in erster Priorität, vollzieht sich nicht ein rapider Strukturwandel, dann wird jede Richtungsänderung in der Zukunft nicht nur schwierig, sondern gewalttätig vor sich gehen.
Die moderne Wissenschaft und Technik haben gewisse natürliche Begrenzungen, welche die Bevölkerungszahl über viele Generationen stabilisierten, ausgeschaltet. Sie haben den Rhythmus des geschichtlichen Ablaufs erheblich gesteigert und die materiellen Bedürfnisse der Gesellschaft, ausgedrückt in Gütern und Dienstleistungen, so vermehrt, daß sie in keinem Verhältnis mehr stehen zu den vorhandenen Reserven, zu den möglichen Leistungen und vor allem zu einer harmonischen, nicht schädlichen Entwicklung der Umwelt.
Der Zustand ist nicht nur durch schwierige materielle Probleme charakterisiert, wie Nahrungserzeugung, Energieversorgung, mineralische Vorkommen, Zerstörung der Biosphäre durch verschiedenste Abfallprodukte, sondern durch viele Symptome menschlichen Verhaltens. So wie die heutige monetäre Situation, welche, ohne eine ordnende Beschränkung gefunden zu haben, im »Floating« segelt, so sind auch viele moralische und ethische Werte, welche den Menschen vor der Zerstörung schützen, in einen Zustand des Floatings geraten. Viele Werte der menschlichen Gesellschaft, welche durch die Zivilisation und Tradition entstanden sind und als eine beständige Bezugsbasis gedient haben, entschwinden. Wir befinden uns in einer gefährlichen Übergangsphase und können nur auf eine Stabilisierung der künftigen Werte hoffen.
Es ist das große Verdienst des Club of Rome, die Aufmerksamkeit auf eine mögliche fatale Entwicklung der Menschheit gelenkt zu haben, zu einem Zeitpunkt, in welchem breite Bevölkerungskreise beunruhigt und überzeugt sind, daß die heutigen Tendenzen im hektischen Leben unserer Industriegesellschaft nicht weiter bestehen können.
Eine Lösung zur Problematik angeben zu können, ist eine Vermessenheit, doch besteht ein erster Schritt darin, die Zusammenhänge zu verstehen. Die ersten Studien, welche der Club of Rome angeregt hat, haben bereits ein weltweites Echo gefunden und gezeigt, wie stark das Unbehagen über die Weltsituation verbreitet ist, namentlich in den überaus stark besiedelten Industrieländern.
Ich hoffe, daß diese ersten Anstrengungen des Club of Rome das Verständnis der Weltprobleme derart wecken, daß in allen Ländern Entscheidungen gefällt werden, die eine Stabilisierung möglich machen. Damit könnte ein entscheidender Schritt zur Sicherung des Friedens vollbracht werden.
Stolz war die Menschheit über die Beherrschung der Natur durch den Menschen. Jahrzehntelang wurde dies gesagt und geschrieben. Heute rächt sich die überforderte Natur gewaltig, und die Herrschaft des Menschen über die Naturkräfte führt jetzt - das kann nicht mehr übersehen werden - auf einen Abgrund zu.
Die Wissenschaft hat der Menschheit Wohlstand gebracht; dieser hat aber gleichzeitig Begehren ausgelöst, die in keinem Verhältnis zu den geophysischen und biologischen Möglichkeiten des Planeten stehen. Die natürlichen Gesetze spielen nicht mehr; nur wenn sie durch andere einschränkende Maßnahmen unterstützt werden, können sie ihre lebenswichtige Funktion noch erfüllen. Das Problem betrifft die ganze Menschheit und kann nicht mehr anders als politisch gelöst werden, denn die Anpassungsprozesse sind vorwiegend politischer Natur. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat heute zur Stärkung dieses politischen Willens beigetragen, indem er einer mutigen, zukunftsorientierten Organisation Anerkennung und Ehre hat zuteil werden lassen.
Wir ehren heute den Club of Rome; die Ehrung gilt allen Menschen, die sich als höchstes Lebensziel den Dienst an der Menschheit gestellt haben. Für den Frieden auf Erden und für eine geordnete, harmonische Entwicklung der Menschheit zu kämpfen, ist die vornehmste Aufgabe eines Menschen.
Der Mensch ist Träger des geistigen Lebens. Wie der Atemvon vitaler Bedeutung für das Leben ist, so ist die unter tragbaren Bedingungen lebende Menschheit notwendig für die Fortdauer der geistigen und der materiellen Zivilisation. Sonst hätten die großen Geister der Vergangenheit unnötig gelebt, die Wissenschaft und die Kunst eine unnütze Entwicklung erfahren.
Der Mensch als verantwortlicher Lenker der Evolution muß eine Wandlung vollziehen, wie sie noch nie dagewesen ist in der Geschichte.
Wir sind erst am Anfang. Von unserer Fähigkeit, die politischen und soziologischen Voraussetzungen zu schaffen, damit sich diese Evolution vollzieht, wird unser Schicksal abhängen.
Vielleicht werden nach vielen Jahren die Menschen dankbar sein dafür, daß es einen Club of Rome gab, aber auch Leute, die seine hohen Verdienste anerkannten.
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Nello Celio
Laudatio
Nur durch gemeinsame Bemühungen - jenseits aller geographischen und nationalen Grenzen, jenseits der Unterschiede politischer oder sozialer, ideologischer oder kultureller Art - können wir die großen, heute anstehenden Schwierigkeiten bewältigen und den kommenden Generationen eine Welt hinterlassen, in der sie zu leben und zu gedeihen vermögen, statt von bis dahin unlösbar gewordenen Problemen überwältigt zu werden.
Aurelio Peccei - Dankesrede
Aurelio Peccei
Dank für den Club of Rome
Dankesrede
Ho l'onore di accettare in nome del Club di Roma il Premio per la Pace 1973 assegnato dall'Associazione dei Librai Tedeschi. Adempio a questo dovere con profondo apprezzamento per l'alto riconoscimento morale che esso comporta, e desidero rivolgere un particolare ringraziamento al Consiglio della Fondazione per la delibera da esso presa in questo sen so il 7 maggio scorso.
Le motivazioni che ispirano il Club di Roma e l'intera sua attività sono rivolte a promuovere la comprensione e la collaborazione fra i popoli dinanzi ai grandi problemi che l'umanità deve affrontare in questo periodo probabilmente decisivo per il suo futuro. Soltanto mercè uno sforzo congiunto - al di sopra delle frontiere geografiche o nazionali e delle differenze di struttura política o sociale o di carattere ideologico o culturale - si potranno superare le gravi difficolta del presente e tramandare alle nuove generazioni un mondo in cui esse possano vivere e progredire, senza essere travolte da problemi ormai diventati insolubili.
Gli obiettivi del Club di Roma sono essenzialmente due. Il primo è l'approfondimento e la diffusione della conoscenza dei problemi della società umana a livello mondiale, e delle interconnessioni e interazioni fra di essi, che fanno del loro insieme una massa intricata e dinamica: che esso ha chiamato »la problematica mondiale«. Il secondo obiettivo è di far sì che, sulla base di tale presa di coscienza e conoscenza, i cambiamenti ormai considerati indispensabili nella struttura societaria e nella conduzione degli affari umani significhino uno sviluppo non soltanto economico, ma altresì sociale, político e culturale dell'intera società e dei cittadini.
In ordine al primo obiettivo, di carattere cognitivo e interpretativo, l'attività è in pieno sviluppo. Dopo la pubblicazione, in circa venti lingue, dell'ormai ben noto rapporto su »I Limiti dello Sviluppo«, una serie di nuovi importanti studi sulla condizione umana e sulla situazione mondiale sono in corso in varie nazioni. Il Club di Roma spera che alcuni di essi possano venire completati e pubblicati nel corso dell'anno prossimo. Circa il secondo obiertivo, di carattere più propriamente politico, il Club di Roma intende mantenere contatti con centri decisionali a ogni livello nazionale e internazionale, svolgendo opera di chiarificazione sulle opzioni o scelte possibili, sulla loro reciproca compatibiíita e sulle conseguenze dell'adozione di uno o di un altro gruppo di scelte.
Gli scopi del Club di Roma sono quindi orientati ai fini di una pace vera, radicata nel cuore e nella mente delle genti. Tale pace non è solo controllo e riduzione degli armamentí e risoluzione pacifica dei conflitti, ma lo stabilimento dell'intero sistema umano su nuove basi di giustizia sociale e di rispetto della personalità umana, e in armonía con la natura e le risorse di questo píccolo pianeta sul quale noi tutti dobbiamo vivere, e che dovrà poi ospitare i nostri figli e i figli dei nostri figli.
Il Premio per la Pace consegnato oggi in questo storico edificio è il miglior incitamento che il Club di Roma possa avere per la continuazione della sua opera.
Deutsch
Es ist mir eine große Ehre, im Namen des Club of Rome den Friedenspreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels für das Jahr 1973 entgegennehmen zu können. Ich tue dies mit tiefer Dankbarkeit für die hohe moralische Anerkennung und möchte dem Stiftungsrat für seinen Beschluß vom 7. Mai meinen aufrichtigen Dank aussprechen.
Angesichts der großen Probleme, vor die sich die Menschheit heute gestellt sieht und deren Lösung wahrscheinlich über ihre Zukunft entscheiden wird, bemüht sich der Club of Rome mit allem, was er ist und tut, um eine bessere Verständigung und Zusammenarbeit zwischen den Völkern. Nur durch gemeinsame Bemühungen - jenseits aller geographischen und nationalen Grenzen, jenseits der Unterschiede politischer oder sozialer, ideologischer oder kultureller Art - können wir die großen, heute anstehenden Schwierigkeiten bewältigen und den kommenden Generationen eine Welt hinterlassen, in der sie zu leben und zu gedeihen vermögen, statt von bis dahin unlösbar gewordenen Problemen überwältigt zu werden.
Der Club of Rome hat vor allem zwei Ziele: Einmal geht es ihm darum, die weltweiten und eng miteinander verknüpften Probleme der Menschheit besser durchschaubar und allgemeiner bekannt zu machen. Diese Probleme bilden in ihrer Verknüpfung ein höchst verwickeltes, in ständiger Weiterentwicklung befindliches Ganzes, das wir die »Weltproblematik« genannt haben. Zweitens möchten wir gerne, daß die Änderungen in der Struktur und im Zusammenleben der menschlichen Gesellschaft, die aufgrund einer solchen Bewußtwerdung und Übernahme der Verantwortung für notwendig gehalten werden, nicht nur zu einer wirtschaftlichen, sondern auch zu einer gesellschaftlichen, politischen und menschlichen Entwicklung sowohl der Gesellschaft insgesamt als auch ihrer einzelnen Träger führen.
Im Rahmen des ersten Ziels - der Erkenntnis und Deutung der Probleme - sind die Dinge in vollem Gange. Nachdem der inzwischen bekannte Bericht über die »Grenzen des Wachstums« in etwa 20 Sprachen veröffentlicht ist, läuft zur Zeit in mehreren Ländern eine Reihe von neuen, wichtigen Untersuchungen über die Lage der Menschheit und die heutige Weltsituation. Der Club of Rome hofft, daß einige dieser Untersuchungen schon im Laufe des nächsten Jahres fertiggestellt und veröffentlicht werden können.
Im Rahmen des zweiten, im eigentlichen Sinne politischen Ziels möchte der Club of Rome Verbindungen mit Entscheidungszentren auf allen nationalen und internationalen Ebenen unterhalten, um die möglichen Optionen und Alternativen, ihre wechselseitige Vereinbarkeit und ihre jeweiligen Konsequenzen und Auswirkungen abklären zu helfen.
Es geht dem Club of Rome somit um einen wahren Frieden, der im Herzen und im Denken der Menschen verwurzelt ist. Ein solcher Friede bedeutet nicht nur Rüstungskontrolle und Rüstungsbeschränkung sowie friedliche Konfiliktlösung. Ein wahrer Friede muß vielmehr auch das gesamte menschliche Zusammenleben auf neue Grundlagen der sozialen Gerechtigkeit und der Achtung vor dem anderen Menschen stellen sowie in Harmonie mit der Natur und den begrenzten Schätzen dieses kleinen Planeten stehen, auf dem wir alle leben müssen und der einst auch unseren Kindern und Kindeskindern Wohnung und Nahrung bieten soll.
Der Friedenspreis, der dem Club of Rome heute in diesem historischen Gebäude überreicht wird, ist für ihn der beste Ansporn zur Fortsetzung seiner Bemühungen.
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Aurelio Peccei
Dank für den Club of Rome
Es ist meines Erachtens daher unabweisbar, schon jetzt in den reichen Ländern Wege zum Übergang vom wirtschaftlichen Wachstum zum dynamischen Gleichgewicht zu suchen.
Eduard Pestel - Dankesrede
Eduard Pestel
Arbeit und Ziele des Club of Rome
Dankesrede
Als mir vor wenigen Monaten die dankbar aufgenommene Mitteilung gemacht wurde, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels habe beschlossen, dem Club of Rome den diesjährigen Friedenspreis zuzuerkennen, kam mir spontan eine Begebenheit zurück ins Gedächtnis, die sich 1969, vier Jahre zuvor, in einem österreichischen Alpendorf abgespielt hatte, wohin ein Teil des heutigen Exekutiv-Komitees des Club of Rome zur Erörterung wesentlicher Weltprobleme eingeladen worden war. Als nun die zu diesem Zweck angesetzte Podiumsdiskussion, bei der auch der damals amtierende österreichische Bundeskanzler Klaus mitwirkte, aufs Publikum übergriff, erhob sich als erster der vielen zumeist sehr jungen Teilnehmer ein älterer Herr und las von einem im kleinen halberhellten Saal nur undeutlich als Zeitungsausschnitt erkennbaren Stück Papier folgendes vor:
Der Mensch ist im Begriff, den Mond zu betreten, und hat doch immer noch diese Erde aus Krieg und Hunger und Unrecht nicht herausgeführt. Der Mensch will mündiger sein als je zuvor und weiß doch auf eine Fülle von Fragen keine Antwort. Unsicherheit und Resignation mischen sich mit der Hoffnung auf bessere Ordnungen ...
Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr ...
Hilfreich wäre es, wenn auch wir der Friedensforschung, das heißt einer wissenschaftlichen Ermittlung nicht nur der militärischen Zusammenhänge zwischen Rüstung, Abrüstung und Friedenssicherung, sondern zwischen allen Faktoren, also z. B. auch den sozialen, den wirtschaftlichen und den psychologischen, die gebührende Aufmerksamkeit zuwenden würden.
Bei all dem geht es nicht nur um den Ost-West-Konflikt, sondern in steigendem Maße auch um den Nord-Süd-Konflikt. Hunger und Elend in der Welt rufen nach Hilfe. Die Industrienationen in allen Lagern dürfen sich dieser Hilfe nicht entziehen ...
Hier endete das Zitat, und der vom Alter schon gebeugte Herr schloß dann sichtlich bewegt mit der persönlichen Bemerkung, es erfülle ihn als Deutschen, der vor mehr als dreißig Jahren seine Heimat hätte verlassen müssen, mit Stolz, daß hiermit ein deutscher Bundespräsident[1] soeben die Wissenschaftler aufgerufen habe, nun auch in weitaus höherem Maße als bisher ihre Anstrengungen der Erforschung des Friedens zuzuwenden. Offenbar hatte dieser Mann sofort erkannt, daß die vom damals nur wenige Mitglieder umfassenden Club of Rome ins Auge gefaßte Arbeit dem Frieden dienen sollte, obwohl in der vorangegangenen Podiumsdiskussion das Wort Frieden kaum gefallen war. Wir hatten nämlich dort in groben Umrissen und teilweise sicherlich noch sehr verschwommen das Projekt der »Predicament of Mankind«, also der gefährdeten Lage der Menschheit, entwickelt, was nun in der Tat kein normales Projekt der Friedensforschung darstellt, wohl aber als ein der Gewinnung und Erhaltung des Friedens dienliches Unternehmen angesehen werden konnte. Den ersten Anstoß zum Aufgreifen dieser weltweiten Problematik, die unseres Erachtens in ihren inneren Zusammenhängen und Verflechtungen noch gar nicht durchschaut und lediglich in ihren Symptomen erkannt worden war, hatte das Buch von Aurelio Peccei »The Chasm Ahead« gegeben. Dieses Werk hatte uns sogleich die Einsicht vermittelt, daß das Herumdoktern an Symptomen, so wie es sich in dem Suchen von problemlösenden Maßnahmen in wohl voneinander isolierten Bereichen manifestiert, in der Zukunft nur zu einer weiteren Verschärfung der Krisen führen dürfte. Wir sahen vielmehr in den Symptomen wie unkontrolliertes Bevölkerungswachstum, weit verbreiteter Hunger, Unterbeschäftigung und Großstadtelend besonders in den Entwicklungsländern, Umweltverschmutzung, absehbare Erschöpfung lebenswichtiger Rohstoffe, wachsende soziale Spannungen, rapid zunehmende Verstädterung, ansteigende Kriminalität, unaufhaltsame Polarisierung militärischer Macht, kulturelle Entwurzelung, Entfremdung zwischen Jugend und Alter, Mitbestimmungsverlangen, wachsende Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern usw. nur sichtbare Komponenten eines großen weltweiten Problemsyndroms, dessen Zusammenhänge es zu erforschen galt, wollte man befriedigende dauerhafte Lösungen finden. Die immense, immer rascher sich vollziehende Ausweitung der verschiedenen Problemfelder insbesondere in den zwei Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatte nämlich dazu geführt, daß diese sich immer mehr überschnitten und in ihren Verkettungen dabei fast unüberschaubar geworden waren. Somit unterschied sich die Krisenlage, so wie sie damals bereits bestand bzw. in naher Zukunft sich immer gefährlicher zu entwickeln drohte, wesentlich von Krisensituationen der Vergangenheit. Die Weltkrisen der Vergangenheit ergaben sich nämlich fast ausnahmslos als Folge von Naturkatastrophen wie z. B. der großen Seuchen des Mittelalters oder als Folge verbrecherischen menschlichen Handelns bei der Auslösung von Eroberungskriegen, die sich schließlich auf ganze Kontinente erstreckten und in diesem Jahrhundert gar die ganze Welt erfaßten. Die Lösung von solchen globalen Krisen suchte und sucht man in der Mobilisierung von Kräften mit zweifellos positiven Zielen gegen zweifellos negative Erscheinungen und Tendenzen. Hier liegen auch noch heute die traditionellen Ansätze für die Friedens- und Konfliktforschung. Wir müssen uns jedoch darüber im klaren sein, daß gegenwärtig die große Völkerfamilie einer alles und alle umfassenden Krise - man möchte meinen, unaufhaltsam - zusteuert, die nicht nur in ihrer Ausdehnung, sondern auch in ihrem Charakter sich wesentlich von früheren unterscheidet, und zwar in dem Sinne, daß sie nicht von offensichtlich bösen Menschen und Mächten verursacht, sondern durch Entwicklungen herbeigeführt wird, die wir vielfach heute noch als Ausdruck menschlichen Fortschritts, ja als Sieg über die den Menschen gesetzten natürlichen Beschränkungen und Grenzen empfinden. Hierdurch gewinnt die Krise den Aspekt des Unentrinnbaren, wenn die Menschheit ihre Wertvorstellungen und Ziele nicht ändert.
Diese Krise hat viele Gesichter und ihr Ursprung ist sicherlich nicht einheitlich. In der Dritten Welt, also dem größeren Teil der Erde, hat sie ihren wohl wesentlichsten Ausgangspunkt in der Bevölkerungsexplosion, die, wie Sie alle wissen, ihren Hauptgrund in der durch verhältnismäßig einfache und billige Maßnahmen erreichten Herabsetzung der Sterberate in den armen Ländern hat, ohne dort gleichzeitig von entsprechenden Anstrengungen zur Reduzierung der Geburtenrate begleitet zu sein, Anstrengungen, die einen ungleich höheren Einsatz an Mitteln auf den Sektoren der Bildung und der sozialen Fürsorge erfordert hätten. Hier wurde nur auf ein isoliertes Symptom, nämlich das der Sterblichkeit, insbesondere der Kindersterblichkeit, sicherlich aus wohlmeinenden humanitären Gründen, gezielt, ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, daß man damit allein noch nicht den zehnten Teil des Weges zur Linderung der Not durch eine vernünftige Familien- und Bevölkerungspolitik gegangen war. Nunmehr führt die Bevölkerungsexplosion dazu, daß schon heute praktisch die Hälfte der Menschheit in extremer Armut lebt und die Zahl dieser ständig von Hunger und Not bedrohten Menschen sich bis zum Ende des Jahrhunderts auf fast vier Milliarden verdoppeln wird, weil alle wirtschaftlichen und sozialen Anstrengungen vom rasanten Bevölkerungswachstum überholt werden. In den industrialisierten Ländern hingegen, vornehmlich in Nordamerika, Japan und Westeuropa, liegt der Grund der Krise im überschnellen und auf die Dauer nicht durchzuhaltenden Wirtschaftswachstum, das diesen Ländern immer mehr materiellen Reichtum beschert, aber gleichzeitig immer neue Wohlstandsprobleme aufwirft, wobei der selbsterzeugte Zwang zu deren Überwindung wohl alle Ansätze zu ausreichender und effektiver Hilfe für die Dritte Welt immer wieder zum Erliegen bringen wird, falls kein radikaler Gesinnungswandel eintritt. So haben militärische Polarisierung, Vietnamkrieg, das Prestigeprogramm um den ersten Platz in der Raumfahrt, unnötige wirtschaftliche und politische Rivalitäten und die Erweckung immer größerer materieller Ansprüche der Menschen in der westlichen Welt die großen Hoffnungen, die auf die 60er Jahre als Dekade der Entwicklung der Dritten Welt gesetzt wurden, zum Scheitern gebracht, und man hat heute angesichts der Energiekrise recht zu fürchten, daß die egoistische Sorge um das Durchhalten unseres gegenwärtigen Wirtschaftswachstumstempos und die daraus notwendigerweise folgenden Maßnahmen zur kurz- und mittelfristigen Lösung des Energieproblems die Wirtschaftskraft der industrialisierten Welt so stark in Anspruch nehmen werden, daß für wirkungsvolle Anstrengungen zum gemeinsamen Handeln mit den armen Ländern, um hier die schlimmste Not und die ärgsten sozialen Ungerechtigkeiten zu beseitigen, wohl kaum die - fraglos erheblichen - Mittel zur Verfügung gestellt werden können.
Hier fehlt mir die Zeit, weitere Schlaglichter auf die gegenwärtige Weltsituation zu setzen; lassen wir es daher bei den wenigen Aspekten der Menschheitskrise, die ich hier angesprochen habe. Sie genügen, um die ursprünglichen Überzeugungen des Club of Rome deutlich zu machen und daraus seine Ziele etwa wie folgt zu formulieren:
1. Im Dialog mit Politikern, Wirtschaftlern, Parteien, Verbänden, Wissenschaftlern der verschiedensten Herkunft usw. die Erkenntnis zu verbreiten, daß Kurieren an einzelnen Symptomen, ohne sie jeweils im großen Zusammenhang mit der Gesamtproblematik zu sehen, letztlich die Menschheitskrise nur verschärfen wird. Dazu sollen auch Forschungsarbeiten beitragen, die geeignet sein können, das Problemsyndrom der Menschheit in allen seinen Verflechtungen und gegenseitigen Beeinflussungen durch- und überschaubar zu machen.
2. Darauf zu drängen sowie mitzuhelfen, die Voraussetzungen und die Instrumente dafür zu schaffen, daß die Bereitschaft der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger geweckt wird, antizipatorisch zu handeln, d. h. im Vorausbegreifen der Problemsituation - nicht allein innerhalb ihrer Wahlperiode, sondern einige Jahrzehnte in der Zukunft - ihre Maßnahmen zu entwerfen, auf daß für die Gegenwart nützliche Entscheidungen langfristig nicht Schaden stiften, auf daß politische, wirtschaftliche, soziale und psychologische Verhaltensweisen erzeugt und unterstützt werden, die der drohenden Krisenentwicklung entgegenwirken können, und schließlich, auf daß ausgereifte technologische und soziale Problemlösungen zeitig genug einsatzbereit zur Verfügung stehen, die dem Ausmaß und der Intensität der, sagen wir, in 10, 20, 30 Jahren unausweichbar gewordenen Problemlage gewachsen sind.
In diesem Sinne konzipierte der Club of Rome damals im Jahre 1969 sein fundamentales Projekt »The Predicament of Mankind«. Hier sollte in einer umfassenden, vorwiegend nicht-verbalen Studie eine differenzierte Untersuchung der gegenwärtigen Problematik der Menschheit durchgeführt werden. Auf Grund der zunächst erfolglosen Methodensuche entschloß sich der Club of Rome auf seiner ersten Plenarsitzung in Bern auf Einladung des Schweizerischen Bundesrates, zunächst ein bescheideneres Projekt anzugreifen, für dessen Durchführung die von Jay W. Forrester am MIT entwickelte Methode »System Dynamics« geeignet erschien. Mit Hilfe dieser eingeschränkten, quantitativen rechnergestützten Untersuchung sollten insbesondere zwei Fragenkomplexe aufgegriffen werden:
1. Festzustellen, inwieweit unser gegenwärtiges Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum mit der Tatsache der Begrenztheit unserer Erde verträglich ist, sowie wo und mit welchen möglichen Konsequenzen gegebenenfalls die Grenzen des Wachstums erreicht werden.
2. Die Natur der gegenseitigen Abhängigkeiten und Einwirkungen wesentlicher, das physische Verhalten des Weltsystems bestimmender Faktoren zu ergründen, um daraus erste Hinweise auf die mögliche Beeinflussung des Ganges der Dinge abzuleiten.
Die Stiftung Volkswagenwerk machte es dann möglich, am MIT unter der Leitung von Dennis L. Meadows, einem Schüler Forresters, eine internationale zumeist aus jungen Wissenschaftlern bestehende Arbeitsgruppe einzusetzen, deren im ersten Forschungsjahr gewonnenen Ergebnisse ihren allgemeinverständlichen Niederschlag in dem vieldiskutierten Buch »Die Grenzen des Wachstums« gefunden haben.
Im Hinblick auf die Bedeutung der auf Anregung des Club of Rome hier aufgegriffenen Fragestellungen ist die große öffentliche Anteilnahme nicht überraschend; und es ist auch nicht erstaunlich, daß zahlreiche sehr kritische Äußerungen, sogar kritische Gegendarstellungen von Buchumfang, die Diskussion über Wert und Unwert dieser Studie in den vergangenen achtzehn Monaten seit Erscheinen des Buches immer wieder angeheizt haben. Auf Kritik stieß dieser Bericht hauptsächlich bei traditionellen Wirtschaftswissenschaftlern, bei Leuten, die die Lösung aller Probleme der Welt aus dem Füllhorn von Wissenschaft und Technologie erwarten, sowie bei den Vertretern der These, daß Wachstum ein inhärentes Merkmal der Industriegesellschaft darstelle, daß dazu die dauernde Erzeugung neuer Wohlstandsprobleme eine geradezu notwendige Voraussetzung sei und daß ohne Wachstum Stagnation und schließlich Verfall der Wirtschaft die Folge sein würde. Ich persönlich halte die große Anzahl der Versuche zur kritischen Zerpflückung der MIT-Studie für wenig geeignet, neue tiefere und »richtigere« Einsichten zu vermitteln. Man sollte auch angesichts des enormen Erfolges des in etwa zwanzig Sprachen übersetzten Buches nicht vergessen, daß mit dieser Studie ein erster Schritt in Richtung auf ein globales Modell gemacht wurde, mit all seinen Unzulänglichkeiten zugegeben, jedoch auch mit dem Ergebnis, daß heute Millionen von Menschen in aller Welt ein sehr viel stärkeres Gefühl für die Verflechtungen unserer Probleme haben, als sie es noch vor einem Jahr gehabt haben. Nehmen wir also das Buch »Die Grenzen des Wachstums« nicht als letzte Weisheit, sondern vielmehr als einen längst fälligen sehr effektiven Impuls zum Nachdenken über die Entwicklung der Menschheit, der nun einmal nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist.
Inzwischen sind weitere Arbeiten in verschiedenen Teilen der Welt auf Anregung des Club of Rome in Angriff genommen worden, manche davon schon, bevor Meadows und Forrester ihre Ergebnisse veröffentlicht hatten, Arbeiten, die teilweise zum Ziel haben, Politik und Wirtschaft Planungs- und Entscheidungshilfen an die Hand zu geben.
Bei unseren sicherlich recht nützlichen Auseinandersetzungen mit den Vertretern der Wirtschaftswissenschaft erinnerte ich mich eines Essays von John Maynard Keynes, und zwardes Essays »Über die wirtschaftlichen Möglichkeiten unserer Enkelkinder«, verfaßt im Jahre 1930, also zu einer Zeit, als tiefer Pessimismus die wirtschaftliche Szene beherrschte. Hier äußerte einer der bedeutendsten Wirtschaftswissenschaftler aller Zeiten, daß nach Erlangung eines sehr hohen materiellen Lebensstandards, wie er praktisch heute schon in den Vereinigten Staaten von 80 Prozent der Bevölkerung erreicht ist, die Menschen erkennen würden, daß das ökonomische Problem, zu dessen Lösung ja die ganzen Wirtschaftswachstumsanstrengungen gebracht werden, nicht das permanente Problem des Menschen ist, als das es in der Vergangenheit nach Ansicht von Keynes immer angesehen wurde. Bei solchem materiellen Wohlstand würde der Mensch dann seine weiteren Energien der Verfolgung nichtmaterieller Ziele zuwenden. Wer nun heute einen großen Teil unserer Jugend betrachtet - ob mit Wohlwollen, mit Angst und Zweifeln oder gar mit Abscheu -, wird nach einigem Nachdenken zugeben müssen, daß Keynes hier vielleicht eine prophetische Aussage gemacht hat, die, wenn sie sich bestätigt, tatsächlich zu einem radikalen Wandel unserer Wirtschaftsvorstellungen, nämlich zur stärkeren Hinwendung an die Erreichung nichtmaterieller Ziele führen dürfte. Es ist weiterhin von Keynes erkannt worden, daß dieser Wandel ein sehr schmerzlicher Prozeß für den normalen Menschen sein wird.
Bleibt die Frage, meine Damen und Herren, ob global überhaupt ein solcher Zustand des Wohlstandes erreicht werden kann, meinetwegen mit zeitlichen Verschiebungen, sagen wir, die heute noch ganz armen Länder hundert Jahre nach den reichen. Diese Frage kann niemand ohne Einschränkungen beantworten. Wenn es z. B. gelänge, die Bevölkerungszahl nur noch geringfügig anwachsen zu lassen, sagen wir, auf eine obere Grenze von 4,5 Milliarden, wenn wir in den reichen Ländern unser Wachstum nur dahingehend weiter zuließen, daß unnötige wirtschaftliche Ungleichheiten innerhalb und zwischen den Völkern der industrialisierten Region weitgehend eingeebnet werden können, und wenn die durch eine ehrliche Abrüstung in Ost und West freiwerdenden riesigen wirtschaftlichen Mittel innerhalb einer Umstellungszeit von einigen Dekaden als Ressourcen für die Entwicklung der unterentwickelten Länder eingesetzt werden würden, dann könnte ich mir vorstellen, daß auf der ganzen Welt - natürlich mit den geologisch, geographisch, klimatisch, rassisch, kulturell und religiös bedingten und sicherlich im einzelnen signifikanten Unterschieden - das ökonomische Problem im Sinne von Keynes gelöst werden und auf einem - für die heutige unterentwickelte Welt - sehr hohen Niveau eine Gleichgewichtsgesellschaft mit stationärer Bevölkerung und stabiler Wirtschaft entstehen könnte.
Nun, wir wissen heute - mindestens seit der MIT-Studie -, daß solch optimistische Ausblicke wohl in das Reich der Utopie gehören, ja, daß überhaupt das Anstreben eines Gleichgewichtszustandes eine äußerst diffizile Angelegenheit ist und dieser wohl nur in einem langzeitigen Übergang mit sorgsam gebündelten und klug gestaffelten technischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen erreichbar ist, die antizipatorisch, also lange vor dem Zeitpunkt ergriffen werden, in dem politische, wirtschaftliche und materielle Umstände das Wachstum erheblich zubremsen beginnen. Sicherlich kann man aus der MIT-Studie unmittelbar keine politisch und wirtschaftlich operationalen Maßnahmen ableiten. Diese Aufgabe haben wir uns in einem weit umfangreicheren Forschungsunternehmen gestellt, das unter Mitwirkung meines amerikanischen Kollegen Mihajlo D. Mesarovic[2] als Projekt an der Technischen Universität Hannover betrieben wird. In unserem in zehn Regionen gegliederten Weltmodell können die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger ihre Rollen erkennen und jederzeit mit dem Modell interaktiv zusammenwirken. Es wird sich dabei auch zeigen, inwieweit verschiedene Entscheidungsträger die nicht antizipatorisch handeln, sondern jeweils nur auf bereits akute Krisen, meinetwegen auf verschiedene Weise, reagieren, den Lauf der Dinge überhaupt in entscheidend verschiedene Richtungen lenken können.
Ich bin nämlich der Überzeugung, daß die zwei wohl wesentlichen Institutionen unserer westlichen Demokratien, die parlamentarische Demokratie und die soziale Marktwirtschaft, die beide an der bekannten Schwäche leiden, zumeist nur kurzfristig reaktiv zu agieren, indem sie mit kurzem Zeithorizont versuchen, den jeweiligen Forderungen des Tages zu entsprechen, daß diese zu ihrem Bestand langfristiger Planungsinstrumente bedürfen, um rechtzeitig geeignete und auch auf längere Zeit durchzuhaltende Maßnahmen einleiten zu können, auf daß Fundamentalkrisen schon während ihrer Entstehung wirkungsvoll bekämpft werden können und im Hinblick auf das gegenwärtig hohe Entwicklungstempo solcher Krisen zu spätes und inadäquates Eingreifen vermieden wird. Solch vorausgreifendes Handeln dürfte allerdings im politischen Raum nur schwer durchsetzbar sein, wenn dabei zur Erzielung langfristiger Vorteile auf solche der Gegenwart und der naheliegenden Zukunft verzichtet werden muß. Es ist deshalb erforderlich, daß auch der Bürger genügend Einblicke in die Wirkungsweise und Natur derartiger Entscheidungshilfen erhält, auf daß er diese als ausreichend glaubwürdig akzeptiert, um für seine und seiner Kinder Zukunft gewisse Opfer zu bringen. Wie lange es dauern wird, bis derartige Modellplanungsinstrumente ausgereift sind, akzeptiert und dann auch weltweit angewendet werden, kann heute noch nicht gesagt werden. Aber fraglos wird eine so langfristig betriebene, von Opportunität weitgehend freie Politik besonders in den industrialisierten Ländern viele Probleme, die im politischen Alltag so wichtig genommen werden, als Scheinprobleme entlarven und die Menschen einzeln und in ihren verschiedenen Gemeinschaften zur Besinnung auf einen Humanismus führen können, der allein den Weg zu sozialer Gerechtigkeit, zur Selbstbescheidung und damit zu individueller Selbstverwirklichung eröffnen kann.
Ohne die Ergebnisse der oben erwähnten Forschungsarbeit und ähnlicher Studien abwarten zu müssen, kann man schon heute z. B. die folgenden zukunftsweisenden Aussagen machen: Ohne Zweifel wird kräftiges wirtschaftliches Wachstum in der Dritten Welt notwendig sein; denn die dort sichtbar gewordenen Probleme haben sich im Zuge der starken Bevölkerungsvermehrung gerade durch zu geringes wirtschaftliches Wachstum krisenhaft, ja vielerorts katastrophenhaft entwickelt. Allerdings würde dort das Kopieren des gegenwärtigen Wachstumsstiles der Industrieländer nur von Fehlschlag zu Fehlschlag und schließlich zu weltweiter Katastrophe führen. In den reichen Industrienationen hingegen empfinde ich weiteres Wachstum heutiger Qualität geradezu als eine Herausforderung immer bedrohlicherer und schwerer zu überwindender Krisen. Hier kann meines Erachtens nur - allerdings unter Beachtung aller systemaren politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zusammenhänge - sorgsam geplantes weiteres wirtschaftliches Wachstum von Nutzen sein. Das hat - ich sage dies zur Vermeidung von Mißverständnissen - gar nichts mit eingleisiger und zu Recht verrufener Planwirtschaft zu tun, auch wenn mit Hilfe von Planungsinstrumenten der oben erwähnten Art neue Wege - jeweils unter vielen Alternativen - behutsam gesucht werden müssen, Wege, die uns die aus vergangenen Erfahrungen gewonnene Schulweisheit nicht zeigen kann, Wege nämlich zur Lösung der Probleme, die uns undurchdachte wirtschaftliche Expansion bereits beschert hat und weiter bescheren wird, Wege zur wirksamen Durchführung einer sinnvollen Entwicklungshilfe, zu mehr sozialer Gerechtigkeit und mehr Menschlichkeit im Umgang miteinander, auf keinen Fall aber Wege zu weiterem Konsumanreiz. Ich fürchte, daß bei der hektischen Jagd zur Befriedigung immer größerer Konsumansprüche schließlich eine trostlose Verödung des geistigen Lebens immer weiterer Kreise der Wohlstandsgesellschaft und eine schneller zunehmende Auflösung unserer seelischen, religiösen und kulturellen Kräfte die Folge sein werden. Wenn dann infolge zu schnellen und zu weitgehenden wirtschaftlichen Wachstums materielle Krisen, wenn auch kleinerer Dimension als die in »Die Grenzen des Wachstums« angekündigten, hinzutreten sollten, wird eine seelisch ausgehöhlte Menschheit dem Chaos weltweiter brutalster Auseinandersetzungen nicht entgehen können. Es ist meines Erachtens daher unabweisbar, schon jetzt in den reichen Ländern Wege zum Übergang vom wirtschaftlichen Wachstum zum dynamischen Gleichgewicht zu suchen. Wir haben in der Tat keine Sorge zu haben, daß wir mit diesem Übergang eine Ära geistiger und wirtschaftlicher Stagnation einleiten. Im Gegenteil, enorme wissenschaftliche Erkenntnisse, verbunden mit technischer und organisatorischer Kreativität, werden zusammen mit politischem Stehvermögen erforderlich sein, um überhaupt einen solchen Gleichgewichtszustand zu erreichen und dann zu erhalten. Es wird in den kommenden Jahrzehnten sicherlich unbequemer und opferreicher sein, die dabei auftretenden technischen, wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben zu lösen, als spektakuläre technische Leistungen zu erbringen oder den bereits hohen materiellen Wohlstand einzelner Völker und Volksgruppen immer weiter zu steigern.
Lassen Sie uns deshalb schon heute die Fragen stellen, wo diese unvermeidbaren Aufgaben liegen, und dann mit Hilfe einer zielsicheren realistischen Evolution der Technik und der Wirtschaft und einer rational gestalteten nationalen und internationalen Politik den Beitrag unserer Generation zu einer segensreichen Entwicklung der Menschheit leisten.
Erlauben Sie mir zum Schluß zwei Sätze aus Friedrich Schillers Jenaer Antrittsvorlesung im weltverändernden Jahre 1789 zu benutzen, um Sie alle noch einmal persönlich anzusprechen: »Und welcher unter Ihnen, bei dem sich ein heller Geist mit einem empfindenden Herzen gattet, könnte dieser hohen Verpflichtung eingedenk sein, ohne daß sich ein stiller Wunsch in ihm regte, an das kommende Geschlecht die Schuld zu entrichten, die er dem vergangenen nicht mehr abtragen kann? Wie verschieden auch die Bestimmung sei, die in der bürgerlichen Gesellschaft Sie erwartet - etwas dazusteuern können Sie alle!«
[1] Gustav W. Heinemann am 1. Juli 1969 vor dem Deutschen Bundestag bei der Übernahme seines Amtes
[2] Direktor des Systems Research Center, Case Western Reserve University, Cleveland, Ohio, USA.
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Eduard Pestel
Dankesrede
Chronik des Jahres 1973
+++ Nachdem die USA keinen militärischen Sieg erringen konnten und fast 60 000 amerikanische Soldaten in Vietnam ihr Leben verloren, unterzeichnen im Januar 1973 Vertreter der USA, Nord- und Südvietnams ein Abkommen über die Beendigung des Krieges. +++ Nach heftigen Debatten verabschiedet der Bundestag im Mai den Grundlagenvertrag mit der DDR und das Gesetz über den Beitritt der BRD zu den Vereinten Nationen. +++
Leonid Breschnew besucht als erster sowjetischer Staatsmann die Bundesrepublik. +++ Willy Brandt besucht im Juni als erster deutscher Bundeskanzler Israel. +++ Im September werden BRD und DDR in die UNO aufgenommen. +++ In Chile wird der demokratisch gewählte sozialistische Präsident Salvador Allende am 11. September durch einen blutigen Putsch gestürzt. Eine Militärregierung unter General Pinochet übernimmt die Macht. Allende nimmt sich das Leben, als das Militär den Präsidentenpalast erstürmt. +++ Der Grenzkonflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn eskaliert im Jom-Kippur-Krieg, genannt nach dem jüdischen Feiertag, an dem Ägypten und Syrien am 6. Oktober überraschend angreifen. Israel schlägt die Angreifer hinter die Linien von 1967 zurück. Auf der Ende November stattfindenden Arabischen Gipfelkonferenz wird erklärt, dass die Einstellung des offenen Kampfes kein Ende des Kampfes gegen Israel darstelle. Als Druckmittel erhöhen die erdölexportierenden arabischen Staaten die Rohölpreise um 17 Prozent. Sie verhängen ein Ölembargo gegen Staaten mit Israelfreundlicher Haltung und schränken ihre Ölförderungen um 25 Prozent ein. +++
Club of Rome
Die Grundannahme dieses Verbandes von Politikern, Wissenschaftlern und Industriellen, der 1968 auf Anregung des italienischen Industriellen Aurelio Peccei gegründet worden war, ist, dass von der Schaffung weltweiter sozialer Gerechtigkeit, Harmonie zwischen Menschen und Umwelt und der Gewährleistung der Menschenrechte die Zukunft der Menschheit wesentlich abhängt.
Weltweite Bekanntheit erlangte der Club of Rome vor allem mit dem Buch „Die Grenzen des Wachstums“ (1972), das die globalen Rohstoffhaushalte untersucht.
Bibliographie
Wir sind dran – Club of Rome: Der große Bericht: Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Eine neue Aufklärung für eine volle Welt
Von Ernst Ulrich von Weizsäcker, Anders Wijkman u. a., Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2017, ISBN 978-3-579-08693-4
Ein Prozent ist genug – Mit wenig Wachstum soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Klimawandel bekämpfen
Von Jørgen Randers und Graeme Maxton, oekom, München 2016, ISBN 978-3-86581-810-2
Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit.
Von Donella Meadows, Dennis Meadows, Jørgen Randers, William W. Behrens III. Aus dem Amerikanischen von Hans-Dieter Heck. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1972, ISBN 3-421-02633-5; Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1973, ISBN 3-499-16825-1, (The Limits to Growth, Universe Books, 1972)