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Friedenspreis 1997

Yasar Kemal

Der Stiftungsrat hat den türkischen Schiftsteller Yasar Kemal zum Träger des Preises gewählt. Die Verleihung fand während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 19. Oktober 1997, in der Paulskirche statt. Die Laudatio hielt Günter Grass.

Begründung der Jury

Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein 1997 Yasar Kemal und würdigt damit den großen Schriftsteller der Türkei. Seine Romane und Erzählungen sind mit unbestechlichem Blick für die Realität seines Landes geschrieben; sie verbinden Elemente der Reportage und Dokumentation mit überlieferten Formen des Märchens und der Legende.


Für Arme, Ausgebeutete und aus politischen oder ethnischen Gründen Verfolgte hat sich dieser Anwalt der Menschenrechte selbstlos und mutig eingesetzt – Gefängnis und Exil nicht scheuend. Dadurch wurde Yasar Kemal zum Vorbild für viele Menschen, die sich um das friedliche Zusammenleben von Völkern und Volksgruppen in einer demokratischen Ordnung und um die Meinungsfreiheit mühen.

Preisverleihung

Der Friedenspreiträger 1997 Yaşar Kemal und sein Laudator Günter Grass

Reden

Gerhard Kurtze
Grußwort des Vorstehers

Yaşar Kemals Bücher agitieren nicht. Er, der Sozialist aus Erfahrung, weiß, daß das Unrecht zwar unübersehbar ist, auch wenn es trickreich immer neue Gestalt annimmt, doch zugleich unausrottbar zu sein scheint, weil selbst der Kampf gegen das Unrecht wiederum Rechtlosigkeit in die Welt setzt. Dennoch schreibt er gegen dieses fatale Gefälle an.

Günter Grass - Laudatio auf Yaşar Kemal
Günter Grass
Laudatio

Doch es hat sich erwiesen, daß es ein schwieriges Unterfangen ist, in Anatolien einen Einheitsstaat zu gründen. Sollte es dennoch gelingen, würde er sich gegen den Reichtum der Türkei in jeder Hinsicht richten. Denn Anatolien ist ein Mosaik der Kulturen. Seine Größe und seinen Reichtum verdankt es seinem Reichtum an Kulturen und Sprachen.

Yaşar Kemals - Dankesrede
Yaşar Kemal
Dankesrede des Preisträgers

Chronik des Jahres 1997

+++ Fast 30 Jahre nach der Eroberung im Sechstagekrieg 1967 räumt die israelische Armee im Januar 1997 den größten Teil der Stadt Hebron im Westjordanland. Im restlichen Stadtgebiet bleiben zum Schutz der jüdischen Siedler 2000 Soldaten stationiert. +++


Die US-Raumsonde »Pathfinder« landet im Juli auf dem Mars und setzt den Roboter »Sojourner« aus. Erstmals erkundet ein auf der Erde gebautes Fahrzeug ferngesteuert einen anderen Planeten. Im gleichen Monat durchbricht das Hochwasser der Oder in Brandenburg die ersten Deiche. Drei Wochen lang kämpfen Bevölkerung, Bundeswehrsoldaten und Technisches Hilfswerk gegen die Fluten. Die erfolgreiche Aktion stellt den größten zivilen Katastropheneinsatz in Deutschland seit Kriegsende dar. +++ Auf der Flucht vor Journalisten verliert am 31. August der Fahrer der britischen Prinzessin Diana die Kontrolle über seinen Wagen. Ihr Begleiter, der ägyptische Millionärssohn Emad »Dodi« Al-Fayed, ist sofort tot, Prinzessin Diana stirbt kurz darauf im Krankenhaus. Die Live-Übertragung der Trauerfeierlichkeiten am 6. September wird zu einem der größten Medienereignisse in der Geschichte des Fernsehens. +++ Am 10. Welt-AIDS-Tag Anfang Dezember rufen Hilfsorganisationen und Betroffene mit Benefizveranstaltungen, roten Schleifen und Trauerzügen zur Unterstützung von AIDS-Kranken auf. Weltweit gibt es 1997 bereits 22,6 Millionen Menschen, die mit dem HIV-Virus infiziert sind. Allein in Afrika südlich der Sahara sterben pro Jahr etwa 300 000 Menschen an der Immunschwäche. +++

Biographie Yaşar Kemal

Yaşar Kemal (eigentlich Kemal Sadik Gögkceli) wird am 6. Oktober 1923 als Sohn eines kurdischstämmigen Großgrundbesitzers in dem südanatolischen Dorf Hemite geboren. Als Fünfjähriger wird er Zeuge, wie sein Vater beim Gebet in der Moschee von seinem Adoptivsohn Yusuf, den er als Kind im Wald aufgefunden hatte, ermordet wird.


Durch den Schock wird der junge Yasar Kemal für einige Jahre zum Stotterer. Nur singend beherrscht er die Sprache und sammelt bald begeistert die Lieder und Epen der Volkstradition. Als einziges Kind im Dorf lernt er Lesen und Schrieben und beginnt früh mit der Dichtung eigener Lieder. Gleichzeitig zeichnet er aber auch das Liedgut und mündlich überlieferte Mythen seines Heimatlandes auf.

Kemal arbeitet in verschiedenen Berufen, unter anderem als Tagelöhner auf Baumwollplantagen, als Viehhirte, Wasserträger und Gehilfe des Dorfschullehrers, bevor er sich als Schreiber für seine analphabetischen Mitbürger in einer kleinen Stadt niederlässt.

1942 erscheinen seine ersten Gedichte in der Istanbuler Tageszeitung »Cumhuriyet«. Ein Jahr später bringt er ein Buch über die »mani« genannte, besondere Form des anatolischen Volksliedes heraus. 1951 erscheint, ebenfalls in der »Cumhuriyet«, eine erste Erzählung. Aufgrund politischer Anfeindungen schreibt er fortan unter einem Pseudonym. Zwölf Jahre lang ist er als Journalist unterwegs und berichtet unter anderem von der Willkür der Großgrundbesitzer. Diese Erfahrungen bringt Kemal auch in sein schriftstellerisches Werk ein.

Mit seinem 1955 erscheinenden Erstlingsroman »Memed, mein Falke« (dt. 1962), der in über 40 Sprachen übersetzt wird, wird Yasar Kemal zum meistgelesenen Schriftsteller der Türkei und gelangt zu Weltruhm. Memed, dem schmächtigen Bauernsohn, der zum mutigen Helden und Kämpfer gegen die Ungerechtigkeit wird, widmet sich Kemal noch in weiteren Romanen. In den Jahren 1960 bis 1968 veröffentlicht er seine »Anatolische Trilogie«, in der er von den landlosen Bauern der Taurusdörfer erzählt, die als Überlebensstrategie Zuflucht zu den Mythen und Traumwelten suchen. Kemal ist als Schriftsteller mit seiner fantastisch-realistischen Sprache mehr als nur ein Sprachrohr der Armen, da es ihm stets um den Menschen und die Natur sowie ihrer wechselseitigen Beziehungen geht. Er thematisiert den Untergang des Nomadentums in »Das Lied der tausend Stiere« (dt. 1971) und in dem in Istanbul spielenden Roman »Auch die Vögel sind fort« (dt. 1994) den Verlust der Hilfsbereitschaft in der modernen türkischen Gesellschaft. Auch »Zorn des Meeres« (dt. 1997), ein prophetisches Buch über den Kollaps der Metropole Istanbul wird von der Kritik als großartiges Epos vom menschlichen Traum von einer Harmonie mit der Natur betrachtet.

Yasar Kemal setzt sich Zeit seines Lebens für die Rechte seiner Mitbürger ein. Aufgrund seiner Arbeit für die marxistische »Türkische Arbeiterpartei« wird er 1971 inhaftiert und kommt erst nach zahlreichen internationalen Protesten wieder frei. 1978 kehrt Kemal von einer Reise nach Paris nicht mehr in die Türkei zurück, weil er Mordanschläge rechtsgerichteter Kreise befürchtet, sondern bleibt für längere Zeit in Schweden.

Anfang 1995, nachdem er im SPIEGEL die Kurdenpolitik Ankaras anprangert, beginnt eine Serie von Gerichtsverfahren. Im März 1996 wird er wegen »Volksverhetzung« zu einer Haftstrafe von zwanzig Monaten auf Bewährung verurteilt. Ende 1996 verlässt er mit seiner Frau die Türkei, um für einige Jahre in Schweden zu leben.

Yaşar Kemal ist am 28. Februar 2015 im Alter von 91 Jahren in Istanbul gestorben.

Auszeichnungen

2013 Bjørnson-Preis der norwegischen Akademie für Literatur und Meinungsfreiheit
2008 Kulturpreis des türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül
2007 Weltmenschpreis des Weltmenschvereins in Baden bei Wien
1997 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels


1996 Katalonien-Preis
1996 Hellman-Hammett Award, New York
1984 Kommandant der französischen Ehrenlegion
1982 Prix Mondial Cino del Duca

Bibliographie

Auch die Vögel sind fort. Roman

Übersetzt von Cornelius Bischoff, Neuauflage, Unionsverlag, Zürich 2013, ISBN 9783293004672, Gebunden, 130 Seiten, 12.95 EUR

Salih der Träumer. Roman

Aus dem Türkischen von Gerhard Meier, Unionsverlag, Zürich 2012, ISBN 9783293004474 Gebunden, 412 Seiten, 24.00 EUR

Die Hähne des Morgenrots. Roman

Aus dem Türkischen von Cornelius Bischoff, Unionsverlag, Zürich 2008, ISBN 9783293003866,Gebunden, 348 Seiten, 22.90 EUR

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