1972 wird der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zum ersten Mal posthum verliehen. Der Stiftungsrat wählt den polnischen Arzt, Kinderbuchautor und Pädagogen ]anusz Korczak zum Träger des Friedenspreises. Die Verleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 1. Oktober 1972, in der Paulskirche zu Frankfurt am Main statt. Die Laudatio hält Hartmut von Hentig. Den Preis nimmt Alicja Szalazak stellvertretend entgegen.
Begründung der Jury
Der Börsenverein verleiht seinen Friedenspreis 1972 posthum an Janusz Korczak.
Er ehrt damit einen Mann, der gleichermaßen als Arzt, Erzieher und Schriftsteller für das Kind und seine Rechte eingetreten ist. Die seine Erziehungsarbeit darstellenden und begründeten Werke antworten einer ungerechten, unglücklichen, friedlosen und doch zu mehr Gerechtigkeit, Glück und Frieden fähigen Welt.
Den Erwachsenen hat er die Veränderung dieser Welt zugemutet; den Kindern hat er sie zugetraut: an sie wenden sich seine liebenswürdigsten und zugleich kühnsten Bücher. Er hat der alten Sehnsucht nach einer neuen Ordnung zwischen den Generationen und nach Frieden unter den Menschen jeglicher Art und Herkunft Kraft und eine bis heute wirkende Chance gegeben.
Seine Gedanken hat er nicht nur in Wort und Schrift vetreten, sondern er ist für sie mit dem Leben eingestanden: den ihm anvertrauten Kindern hat er auch angesichts des Todes die Treue gehalten.
Reden
Warum haben wir aber etwas getan, das es eigentlich nicht gibt: einen Preis an jemanden zu verleihen, der ihn nicht empfangen kann? Weil wir mit den Kräften, die wir allenfalls haben, einen Mann des Friedens der halben Vergessenheit entreißen wollten, weil wir wünschen, daß sein Denken und Schreiben denen bewußt wird, die das schwere Geschäft des Erziehens auf sich nehmen; er soll diskutiert werden, bejaht, bestritten, er soll im Großen wirken, wie er, bewußt sich beschränkend, viele Jahre im Kleinen gewirkt hat.
Ernst Klett - Grußwort
Ernst Klett
Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels
Grußwort
Herr Bundespräsident, Exzellenzen, Damen und Herren Delegierte aus der Volksrepublik Polen, liebe Kollegen aus Deutschland, aus diesem und diesem, und aus aller Welt, lassen Sie mich herzlich dafür danken, daß Sie gekommen sind, und lassen Sie mich den Dank an Sie alle kulminieren im Dank an diejenigen, die durch ihre Beiträge dieser Stunde ihre Bedeutung geben: Sie, Herr Oberbürgermeister, als den ersten unter den vielen Gästen und Freunden unserer Stadt Frankfurt; Sie, Herr Professor von Hentig, der Sie den schwierigen Auftrag übernommen haben, das Lebenswerk eines Pädagogen und Poeten, nicht aber eines systematischen Denkers für uns zu ordnen; und, aufrichtig und herzlich, Sie, verehrter Herr Bundespräsident, nicht nur weil Sie durch Ihre Anwesenheit den Rang dieser Veranstaltung markieren, sondern weil Sie heute selbst zu uns sprechen werden und, gewissermaßen durch uns hindurch, zu unseren Landsleuten.
Es ist das 23.Mal, daß der Börsenverein des Deutschen Buchhandels den Friedenspreis verleiht. Es ist das erste Mal, daß ein Toter geehrt wird. Wir haben, verständlicherweise, deshalb manche Kritik erfahren, mancher mag befürchtet haben, wir wichen damit ins Unverbindliche aus und machten es uns künftig leicht, indem wir erwiesene Friedensfreunde und Kämpfer für den Frieden aus naher und ferner Vergangenheit auszeichneten. Keine Sorge: das ist außer der Reihe, und ich sage voraus, daß auf viele Jahre kein vergleichbarer Fall in Sicht ist.
Warum haben wir aber etwas getan, das es eigentlich nicht gibt: einen Preis an jemanden zu verleihen, der ihn nicht empfangen kann? Weil wir mit den Kräften, die wir allenfalls haben, einen Mann des Friedens der halben Vergessenheit entreißen wollten, weil wir wünschen, daß sein Denken und Schreiben denen bewußt wird, die das schwere Geschäft des Erziehens auf sich nehmen; er soll diskutiert werden, bejaht, bestritten, er soll im Großen wirken, wie er, bewußt sich beschränkend, viele Jahre im Kleinen gewirkt hat.
Henryk Goldszmit, der sich von seinem 20. Jahr an, als er zu schreiben begann, Janusz Korczak nannte, war Pole jüdischer Herkunft, Jude polnischer Nationalität. Als Deutsche dürfen wir, wenn wir dieses Mannes gedenken, solche Fakten nicht einen Augenblick vergessen. Gleichwohl haben wir nicht einen Polen, nicht einen Juden mit diesem Preis ausgezeichnet, sondern einen Menschen, eine außerordentliche, eine reine Gestalt, wie sie einem Jahrhundert nur selten geschenkt wird. Korczak war in Denken und Lehren, in Schreiben und Handeln, in Leben und Sterben die schlackenreine Verwirklichung einer besonderen, einer würdigen Möglichkeit, Mensch zu sein. Er war ein Mann, der, hätte er in einem anderen Umraum gelebt, als Heiliger erkannt und benannt würde.
So haben wir ihn gesehen. Wir glaubten ihn herausgehoben aus den Wirrnissen unserer Zeit, und wir waren betroffen und getroffen, als diese Wirrnisse in die Verwirklichung unseres Planes hereinbrachen. Ein Deutscher, zumal wenn er für eine große Gruppe spricht, hat hier nicht zu rechten und schon gar nicht zu richten. Er darf aber sagen, wie bitter, wie schmerzlich es für uns war und ist, ihn in das Gezänk des Tages hineingezogen zu sehen, in eben die Art von Zwistigkeiten, die er von Grund auf verabscheut hat.
Es sei klargestellt: den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1972 erhält posthum Janusz Korczak. Das ist das allein Wichtige. Verglichen damit ist unerheblich, daß mit dem Preis traditionellerweise verbunden ist eine Urkunde und ein Geldbetrag. Die Urkunde übergeben wir dem Vorsitzenden des Korczak-Komitees, einer Institution, die nach ihrem Selbstverständnis die Erinnerung und das Werk des großen Mannes, des alten Doktors, pflegt. Der Geldbetrag ist bestimmt für Kinder und Waisen, für die also, die, in seinen Worten, das Recht auf Achtung haben.
Geraume Zeit nachdem dies beschlossen war, haben wir erfahren, daß in Israel ein Janusz Korczak Memorial Committee besteht und daß geplant ist, in der Nähe von Tel Aviv ein Korczak-Denkmal zu errichten. Es schien uns angemessen, außerhalb dieser Preisverteilung einen Betrag in gleicher Höhe zur Verwirklichung dieses Planes zur Verfügung zu stellen. Es mag sein Gutes haben, daß nicht alles so freundlich und glatt vonstatten ging. Wir haben erlebt, wie sehr das Kleinliche, wie sehr immer noch, immer wieder Nationales, Ideologisches, Affektives den guten Willen, den Willen zum Guten überlagert und wie schwer es ist, für den Frieden zu wirken, den Frieden, der ja alles und uns alle meint und nicht nur »Nicht-Krieg«. Sollte diese Stunde und das, was ihr vorherging und vielleicht folgen wird, tausend oder hundert oder auch nur zehn Menschen anregen, genauer nachzudenken, empfindlich zu werden, bei sich Überkommen-Falsches abzubauen, dann war nichts umsonst und dann ist doch, heute und hier und durch diese Verleihung, etwas geschehen für das, wofür wir wirken wollen: den Frieden.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck und jede andere Art der Vervielfältigung als Ganzes oder in Teilen, die urheberrechtlich nicht gestattet ist, werden verfolgt. Anfragen zur Nutzung der Reden oder von Ausschnitten daraus richten Sie bitte an: m.schult@boev.de
Ernst Klett
Grußwort des Vorstehers
Korczaks Vorstellung war: nicht eine Revolution unserer Welt durch Kinder, sondern eine Revolutionierung der Kinderwelt.
Hartmut von Hentig - Laudatio auf Janusz Korczak
Hartmut von Hentig
Janusz Korczak oder Erziehung in einer friedlosen Welt
Laudatio auf Janusz Korczak
Mir ist die Aufgabe zugefallen, einer großen Öffentlichkeit zu erklären, warum Janusz Korczak den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels des Jahres 1972 bekommt und verdient, einer Öffentlichkeit,
- die von vielen Preisverleihungen ermüdet ist;
- die das Wort »Frieden« - mit Recht - verlegen, ja ratlos macht;
- die fast nichts von Janusz Korczak weiß;
- die durch diesen Akt aufgefordert wird, das beschattete Olympia-Jahr 1972, an dem finsteren Kriegsjahr 1942 zu messen und zu prüfen, ob sie den Anfechtungen von damals heute besser gewachsen wäre, ob sie gewillt und in der Lage ist, heute von einem Mann zu lernen, den damals Deutsche umgebracht haben.
Korczak war Arzt, Schriftsteller, Pädagoge und Mensch seiner Zeit - ihr Diagnostiker, Mitgestalter und Opfer, ein Pole und ein Jude.
Wenn man mich, einen Pädagogen, gebeten hat, hier zu sprechen, dann heißt das, daß das Werk des Erziehers im Vordergrund stehen soll. Dies hätte er selbst so gewollt.
Aber eine gute Pädagogik spiegelt immer die ganze Welt, in der wir leben. Ihre Fragen und Aufgaben sind so zahlreich, vielfältig und abgründig wie unsere Erfahrung. Ich kann Korczaks ganzes Erziehungswerk hier nicht in 40 Minuten darstellen. Ich beschränke mich auf einen Bereich, eine bestimmte Herausforderung - auf das, was ich einstweilen »Erziehung in einer friedlosen Welt« nennen möchte. Was hat uns Korczak darüber gelehrt?
Ich spreche absichtlich nicht von einer »Erziehung zum Frieden«. Diese Formulierung kommt nicht nur bei Korczak nicht vor (jene andere tut es auch nicht); er hätte nicht nur als praktischer Pädagoge, der diesen 200 Kindern helfen wollte, sich in einer gewalttätigen, gleichgültigen, gewissenlosen Welt zu behaupten, wenig mit ihr anfangen können; er hätte sie nicht nur für eine Überforderung gehalten, die, weil sie nicht zu erfüllen ist, zynisch machen muß - er hätte vermutlich ihren prinzipiellen Sinn bestritten.
Aber er hätte die Absicht gebilligt, er hätte vielleicht gesagt: Daß euch die Friedlosigkeit der Welt endlich zu einem Problem der Pädagogik geworden ist - statt: wie man Helden, Arbeiter, Gebildete, Gläubige erzieht -, das verbindet uns, und das wird euch hellsichtig machen für das, was ich habe tun und sagen wollen.
Als er 1904 sein Medizinstudium beendet hatte, wurde er als Untertan des Zaren zum russisch-japanischen Krieg eingezogen. »Dieses Buch«, so lesen wir auf S. 122, seines großen Werkes »Wie man ein Kind lieben soll«, »habe ich im Feldlazarett geschrieben, beim Donner der Geschütze ...« Das war zwischen 1914 und 1916. Seine »Erinnerungen« - Nachtgedanken an den Alptraum Tag - entstanden im Ghetto des besetzten Warschau 1942. Dazwischen erlebte er zwei Revolutionen. Ein Lebenswerk inmitten von Krieg. Darin kannte er sich aus - er und seine Generation. Aber was Friedlosigkeit ist, wußte er diesseits davon, das lehrte der Alltag des sogenannten Friedens.
Fortgesetzte aberwitzige Rüstung, Verachtung, Vertreibung, Vergewaltigung von Menschen, die anders und schwächer sind, die schamlose Zunahme von Reichtum der einen, die Festschreibung der Armut der anderen und vor allem das Fortzeugen der Gewalt, der Angst, der Lüge, der Eitelkeit, der Ungeduld der Erwachsenen in ihrem Verhältnis zu den Kindern - was ist das alles, da es doch Frieden nicht ist?
Wenn ich mit meinen Studenten, die politische Lehrer werden wollen, heute ein Seminar über »Erziehung zum Frieden« ankündige, dann kommen sie, weil sie hoffen, daß hier über wichtige Aufgaben der Erziehung gesprochen werde. Aber das Wort »Frieden« nehmen sie mir nicht ab.
Frieden - das ist der pauschale und viel mißbrauchte Gegenbegriff zu den Leiden und Verkehrtheiten unserer Welt, zu dem, was offensichtlich nicht gutgehen kann und was die Menschen darum schon in der Vorstellung beunruhigt. Soll Friede greifbar werden, muß man ihn in einzelne Aufgaben zerlegen - z. B. in diese sechs:
- die Vermeidung oder Verhinderung von Gewalt;
- die Sicherung der materiellen Bedürfnisse;
- die Verwirklichung von sozialer Gerechtigkeit;
- die Gewährung und Forderung von politischer Mitbestimmung;
- die Wiederherstellung eines ausgewogenen Verhältnisses von Mensch und Umwelt, zwischen dem, was wir machen, und dem, was wir nur zerstören können;
- die Verständigung zwischen den Generationen, zwischen der jüngeren, die die Welt nicht hinnehmen will, wie sie ist, und der älteren, die von dem guten Sinn dieser Welt nicht überzeugen kann.
Schon auf den ersten Blick wird deutlich, daß keine dieser sechs Aufgaben ausgelassen oder auch nur zurückgestellt werden kann, ohne daß alsbald die Bemühungen um alle anderen zunichte werden. Wer hungert, wird am Ende auch rauben; wer gedemütigt wird, den beruhigt der volle Teller nicht; wer nicht mitbestimmen darf, dem nützt es nicht, wenn er inzwischen mit »Herr« angeredet wird; wenn wir Menschen untereinander verständig leben, aber die Natur unverständig ausbeuten, dann wird sie zurückschlagen; wenn wir den Frieden zwischen den Völkern durch das Unglück und die Entmündigung derer erkaufen, die nach uns kommen, dann haben wir den Krieg nur auf eine andere Stelle verschoben.
Auf den zweiten Blick sieht man auch, daß dieses politische Programm zur Herstellung des Friedens eine ungeheuerliche Überforderung darstellt - etwas, was die Menschen vermutlich weder leisten können noch wollen. Ja, doch auch nicht wollen! Denn jeder hätte da seinen Preis zu zahlen: der Mächtige müßte seine Privilegien aufgeben, der Arme seine Verantwortungslosigkeit, der Wilde seine Muße - und allesamt müßten auf den Feind verzichten, die Projektion ihrer Schuld, die Wonnen der Rache. Als Sokrates seinen Jüngern vorrechnete, welche Veränderung des Gewohnten die gerechte Ordnung sie kosten würde, haben sie ihn laut ausgelacht.
So ist es nicht zu verwundern, wenn die Menschen ihre Hoffnung immer wieder auf die Pädagogik setzen: sie solle einen Menschen herstellen, der erst gar keinen Krieg will, ein friedfertiges, vernünftiges Wesen, das sich mit den Verhältnissen arrangiert, sich mit Sublimierungen oder Circenses oder mit Gotteslohn zufriedengibt.
Weil nun Frieden so vielerlei voraussetzt, weisen die Friedensforscher den Pädagogen auch so verschiedene Wege zu ihm. Und weil alle mit ihren jeweiligen Thesen auch ein wenig recht haben und jede These von ihrem Gegensatz zu den anderen lebt, sind sie - diese Friedensleute - untereinander gründlich zerstritten. Wie der Gegenstand der Theologen so ist auch der ihre ebenso wichtig wie ungewiß, und das macht sie dogmatisch.
Der Frieden in der Welt hänge davon ab, daß man ihn wirklich wolle - das sagt der eine. Ihn wirklich wollen, heiße, in ihm die Voraussetzungen zu unseren anderen Möglichkeiten sehen, ihn also mehr wollen als Wohlstand, Sicherheit, Macht, Rechthaben und Bessersein.
Man müsse die kommende Generation zu Abscheu vor Gewalt, zu Toleranz im allergenauesten Sinn, zu Formen des passiven Widerstandes und zum Martyrium erziehen. Nur wenn so die Nutzlosigkeit der physischen Gewalt in unserer Zeit erwiesen würde, sei Hoffnung auf bleibenden Frieden.
Der Frieden ergebe sich aus einer zweckmäßigen internationalen Ordnung, sagt ein anderer. Hebe man die überholte Nationalstaatenstruktur auf, werde die Welt zwar kein Paradies, aber die selbstmörderischen Kriege hörten auf: es fehlten die geeigneten Subjekte und Mittel. Wie sich die äußeren Gewaltakte kleiner Feudalherren zu den inneren Ordnungsaufgaben der heutigen Staaten gewandelt haben, als die wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen dies erheischten, so müsse in der technischen Weltzivilisation aus internationalen Konflikten Weltinnenpolitik, ja Verwaltungsarbeit werden.
Man müsse die kommende Generation in diesen Vorstellungen aufwachsen lassen und selber für die Sicherung des Übergangs sorgen. In den Schulen müsse Geschichte gelernt werden, um überlebte Gewohnheiten und Einrichtungen abzulegen, Ökonomie, um die wirtschaftlichen Interessen und Notwendigkeiten zu durchschauen, Völkerrecht, um dieses Instrument weiterzuentwickeln und anzuwenden; man müsse eine vernünftigere Weltordnung simulieren und die Jugend auf sie einüben.
Der Frieden sei - sagt ein dritter - eine Frage der praktischen Politik des Interessen- und Machtausgleichs, einer geschulten Diplomatie und einer aufgeklärten, gut funktionierenden öffentlichen Meinung, einer Rechenschaft fordernden öffentlichen Neugier.
Man müsse die kommende Generation zu Rationalität und politischer Verantwortung erziehen, sie die Weisheit der Institutionen, der Aufgabenteilung, der Spielregeln erfahren lassen.
Der Frieden - sagt ein vierter - sei umgekehrt ein viel zu schwieriges Problem, um ihn der Politik und damit - in Demokratien - der Laienöffentlichkeit zu überlassen: er sei der Aufgabe langfristiger und großräumiger Planung durch den neutralen Sachverstand - eine Frage der richtigen Verteilung von Gütern, Wissen, Kapital, Arbeitskraft, Ansehen und Selbstachtung.
Man müsse der kommenden Generation Fertigkeiten beibringen, sie zu vielseitig verwendbaren Fachleuten ausbilden und im Respekt vor der Kompetenz anderer. Wissenschaftlich überwachter Fortschritt, stabile Handelsbeziehungen und eine unpolitische Entwicklungshilfe seien die beste Friedenspolitik. Sie werden die Kriege abschaffen, indem sie die Menschen gegenseitig voneinander abhängig machen.
Der Frieden - sagt ein fünfter - erliegt den falschen Besitz- und Produktionsverhältnissen, in denen die Notwendigkeit dauernder Maximierung des Gewinns zu Ausbeutung, Täuschung und Unterdrückung zwingt - er sei ein Opfer von Sabotage, Verschwörung, Verschleierung.
Man müsse die kommende Generation in der Systemkritik, der Gegensabotage, den verschiedenen Formen der Verweigerung und der List schulen, sie mit einem revolutionären Bewußtsein förmlich »indoktrinieren«, weil die Übermacht der Verhältnisse bloß »gelernte« Denkmöglichkeiten alsbald wieder erstickt.
Der Frieden bleibe immer auch ein sozial-biologisches Problem - sagt ein sechster. Die dem Menschen für den Kampf ums Dasein mitgegebene rudimentäre Aggressivität könne nicht ohne schädliche Folgen unterdrückt werden. Umgekehrt lasse sich die Aggressivität manipulieren und mobilisieren - zu beliebig teuflischen Zwecken.
Man müsse den Menschen insgesamt, vor allem aber der kommenden Generation, dieses Erbteil, die Gelegenheiten seines Mißbrauchs und die Mittel seiner Ablenkung und Sublimierung bewußt machen.
Der Frieden sei eine Folge ungemeisterter Komplexität - sagt ein siebenter. Es sei ein Wunder - und Zeichen erstaunlicher sozialer Gesundheit des Menschen -, daß wir nicht im offenen Dauerkrieg leben. Oder nein: wir tun es doch! Die Türen des Janustempels werden nicht mehr geschlossen, nicht weil wir Krieg wollen, sondern weil wir die kriegstreibenden Nebenwirkungen unserer zahllosen Tätigkeiten nicht mehr unter Kontrolle haben. Wir verwalten unsere komplexe Lebensapparatur noch immer nach den Modellen der aristotelischen Physik.
Man müsse lernen, in Systemen und Systemtheorien zu denken.
Der Frieden sei eine Utopie und nicht einmal eine angenehme - sagt ein achter. So sehr man den unmenschlichen modernen Krieg verabscheuen und bekämpfen müsse, so müsse man doch auch den Zustand fürchten, in dem Menschen auch als Gruppe nichts mehr wichtig genug finden, um ihr Leben dafür einzusetzen: wenn alles, was stört, nur reguliert, therapiert, umdressiert wird.
Man müsse also lernen, mit Konflikten zu leben, die eine Folge und Form des Wandels in jeder freien und kreativen Gesellschaft seien.
Wie gesagt: keine dieser Thesen ist von vornherein ganz töricht. Aber jede von ihnen verliert an Überzeugungskraft in dem Maß, in dem sie beansprucht, allein zu gelten. Nimmt man sie dagegen zusammen, so wird daraus - wie vorher aus den Aufgaben der Friedenspolitik - eine totale Überforderung der Friedenspädagogik.
So wird der Frieden nicht nur das Opfer seiner offenen und heimlichen Verderber, sondern auch seiner bestallten Heiler. Es bilden sich zwei Parteien:
Die einen sagen: Erst muß die Welt umgebaut werden; bevor das geschieht, wird jede neue Generation mit Krieg im Herzen aufwachsen.
Die anderen sagen: Erst muß der Mensch umgebaut werden; bevor das geschieht, wird niemand eine andere Welt machen wollen und können.
In diesem Streit stellt sich Korczak entschieden auf die Seite der letzteren. Aber er tut es aus seinen besonderen Gründen und mit seinen besonderen Vorbehalten. Ich zähle und formuliere ihrer zehn:
1.
Es geht nicht um einen »neuen« Menschen, sondern darum, dem alten, verkümmerten, unterdrückten, dem unterschiedlichen, wandelbaren, unverlierbaren, dem weder guten noch bösen Menschen zu seinem Recht auf sich selbst zu verhelfen.
2.
Es geht erst recht nicht darum, eine »neue« Ordnung durchzusetzen, bevor man gestatten könne, daß Kinder oder die Menschen überhaupt sich selbst bestimmen. Kindheit ist das gemeinsame gesellschaftliche Los aller Kleinen. Man muß es ihnen bewußt machen. Der große und zeitlose Klassenkampf der Menschen geschieht hier. Daß er bis heute nicht entdeckt worden ist, bestätigt, wie tief die Erwachsenen in ihn verstrickt sind.
3.
Die Sozietät steht dem Individuum nicht »gegenüber«. Sie ist seine Lebensform. Sie ist mächtig, ja übermächtig, aber nie allmächtig. Sie ist kein Zweck an sich und sie ist nicht schon durch Mehrheit besser. Man muß nicht ihr »helfen«. Man muß vielmehr denen, die in ihr leiden, helfen, sie zu einer besseren Lebensform zu machen. Dazu bedarf es einer geschützten Kommunikation, verständlicher Prozeduren, einer Serie von Schiedsinstanzen und einer nachhaltigen Erfahrung vom Sinn dieser Institutionen.
4.
Korczak steht auf der Seite der vorhin zitierten Präambel der UNESCO, weil dies die Aufgabe und die Möglichkeit der Pädagogen ist. Und er ist Pädagoge, weil er Kinder liebt. Er hat seinen Beruf als Arzt darum aufgegeben. Nun kann er nicht Revolution machen wollen oder auch nur Politik. Wer das will, kann nicht gleichzeitig Kindern gerecht werden. Kinder sind, was sie sind, jetzt. Morgen sind sie etwas anderes. Wer Politik treibt, wird keine Zeit haben, er wird sich nicht um Kleines kümmern können, nicht auf Unterschiede achten. Nichts gegen Politiker und auch nichts gegen Revolutionäre - aber wehe, wenn sie ihre Aufgabe mit Pädagogik verwechseln. Unsere pädagogischen Zeitschriften sind voll von den Zeugnissen und Erzeugnissen dieses Irrtums.
5.
Dagegen gibt es eine politische Pädagogik - und die Korczaks ist eine solche. Igor Newerly, der lange mit Korczak zusammengearbeitet hat, urteilt, Korczak habe sich als Student von der Politik abgewendet, er sei bis zu seinem Lebensende in einer entschiedenen unpolitischen Haltung verharrt und sei skeptisch geblieben gegenüber der Möglichkeit, ein Problem auf revolutionärem Weg zu lösen (I, XI f.)[1]. Aber man kann - wenn man sich einen etwas weiteren Begriff des Politischen macht - auch sagen, Korczaks Pädagogik sei seine Politik. Gerade ihre scheinbare politische Abstinenz, ihre Konzentration auf die unmittelbare Umwelt der Kinder habe ihm erlaubt, diese durch und durch politisch zu machen. Nur so kann Pädagogik, können Kinder auch »revolutionär« sein. Wer Kindern ein- und vorredet, daß und wie sie unsere Welt verändern sollen, hat sie zu Funktionären seiner eigenen, meist ohnmächtigen Absichten degradiert - so wie der, der ihnen den Stachel der Politik gänzlich erspart, sie zu Biederbürgern macht. Kinder sollen fähig sein, ihre Welt heute und hier und darum auch morgen und im Großen zu ändern.
6.
Korczaks Vorstellung war: nicht eine Revolution unserer Welt durch Kinder, sondern eine Revolutionierung der Kinderwelt. Gelingt sie, die Folgen für »unsere Welt« würden unermeßlich sein. Die Kinder sollten in einem offeneren Spielraum ihre eigenen Bedürfnisse nach Veränderung erfahren und sich die Zuversicht aneignen, daß man Ordnungen verändern kann.
7.
Die Kinder sind selbst eine unterdrückte Klasse - wie Frauen, Bauern, Arbeiter, Neger (KH, 241). Und diese Tatsache - hervorgebracht und verschleiert durch die Maßnahmen, Theorien und unkontrollierten Folgen einer wohlwollenden Pädagogik - konstituiert selbst eines der Hauptprobleme der Gesellschaft, ist eine Hauptquelle für ihre Friedlosigkeit. Zwischen Kindern und Erwachsenen herrscht Krieg - ein Krieg der Ungleichen. Korczak hat ihn in seinem Kinderbuch »König Hänschen I.« mit größter Genauigkeit vom Kinde her und für Kinder geschildert. Meist ist er bitter (wenn die Erwachsenen die Kinder belügen, nicht ernst nehmen, ungerecht strafen, ungefragt abküssen), gelegentlich heiter (wenn die Kinder den Erwachsenen listig entgehen); und erst als die Kinder ihre eigene Volksvertretung haben, werden ihre Probleme mit einiger Vernunft gelöst. In dem folgenden Ausschnitt aus einer Parlamentsdebatte der Kinder spiegelt sich die alte noch nicht überwundene Not wider:
»Fritz eröffnete die Sitzung.
Er klingelte und sagte: >Die Sitzung ist eröffnet. Tagesordnung: Jedes Kind soll eine Uhr haben - erster Punkt; Kinder dürfen nicht mehr abgeküßt werden - zweiter Punkt; Kinder brauchen mehr Taschen - dritter Punkt; Mädchen soll es nicht mehr geben - vierter Punkt.
Fünfzehn Redner hatten zur Frage der Uhren ums Wort gebeten.
Ein Abgeordneter sagte, die Kinder brauchten Uhren, weil sie zur rechten Zeit in der Schule sein müßten. Die Erwachsenen würden eher ohne Uhr auskommen, weil sie die Zeit besser einschätzen könnten.
>Wenn Vaters und Mutters Uhren nachgehen, muß ich darunter leiden<, sagte der zweite Redner. >Wenn ich aber meine eigene Uhr habe, werde ich schon aufpassen, daß sie richtig geht.<
>Nicht nur für die Schule brauchen wir die Uhr<, sagte der dritte Abgeordnete. >Wenn wir zum Mittagessen oder zum Abendbrot zu spät kommen, schnauzt man uns an. Ist es vielleicht unsere Schuld, wenn wir nicht wissen, wie spät es ist, wo wir doch keine Uhren haben?<
>Und zum Spielen brauchen wir auch eine Uhr<, sagte der vierte Abgeordnete. >Wenn wir um die Wette laufen oder feststellen wollen, wer am längsten auf einem Bein stehen kann, dann geht das nicht ohne Uhr.<
>Und wenn wir für eine Stunde ein Boot ausleihen, dann werden wir immer beschummelt. Die sagen, die Stunde sei schon um, dabei ist das gelogen . . .<
Es fanden sich aber auch neun Abgeordnete, die keine Uhren haben wollten. >Wir werden ja doch nur daran herumbasteln und sie kaputtmachen. Schade um das Geld, man kann sie doch verlieren. Beim Handstand fällt sie aus der Tasche und geht entzwei. Nicht jeder Erwachsene hat eine Uhr, das gibt nur Neid. Ich brauche keine. Vater wird sie mir wegnehmen, verkaufen und das Geld vertrinken.<« (KH, 196 f.).
Unsere Erziehung ist eine Form von Gewalt - von structural violence (Galtung) - unter Ausnützung der Unerfahrenheit, der Ohnmacht, der Besitz- und Rechtlosigkeit der Kinder. »Mein Kind ist mein Eigentum, mein Sklave, mein Schoßhündchen. Ich kraule es hinter den Ohren, und streichle ihm den Nacken, verziere es mit Schleifen, führe es spazieren, dressiere es, damit es aufgeweckt und manierlich ist; und wenn es mir lästig wird, sage ich: >Geh spielen. Nimm dir die Schulbücher vor. Geh endlich schlafen!<« (I, 58). Wie reagiert das Kind? Es durchschaut dies alles und wartet auf die Zeit, da es »die Betrüger entlarven, sich für die Jahre der Unfreiheit, für das gestohlene Vertrauen, für die erzwungenen Zärtlichkeiten, die entlockten Geständnisse, die anbefohlene Achtung rächen« kann. »Achten und ehren - diese Erwachsenen? Nein, verachten, verspotten, und nichts vergessen! Kämpfen gegen die verhaßte Abhängigkeit!« (I, 138).
Kinder in einer Grundschule, denen ich die Geschichte habe vorlesen lassen, hatten immer dann ihre größte Freude, wenn König Manschen oder Fritz den Erwachsenen ihre »Gemeinheit« heimzahlten.
Weil der Krieg zwischen Kindern und Erwachsenen so ungleich ist, kommt er nie zum Austrag, und dadurch erzeugt er sich selbst immer wieder neu. Auf diese Weise gibt es »unter den Kindern ... ebensoviel böse Menschen wie unter den Erwachsenen« (I, 213), solche, die dann die anderen Kinder unterdrücken, und solche, die ihr Bedürfnis nach Vergeltung nie haben stillen können und es darum später an ihren eigenen Kindern auslassen. - Nicht nur, weil er Sigmund Freud gelesen hat, weiß Korczak, daß es eine mit der Kultur, der gesellschaftlichen Vernunft, der Erziehung selbst verbundene »Unterdrückung« gibt. Weil das Kind ihren Sinn nicht versteht, erfährt es sie als die schiere Willkür, eben als Gewalt. Wir meinen, weil das Kind klein, unerfahren, unverständig ist, müßten wir solche Gewalt ausüben. Aber es ist umgekehrt: allenfalls dem Großen, Erfahrenen, Verständigen ist Gewalt ohne schlimme Folgen zumutbar.
8.
Unser Hauptfehler ist, daß wir meinen, das Kind werde erst Mensch. Nein, es ist einer (I, 158). Es ist nur schwächer als wir. Die Aufgabe der Pädagogik ist es, das Kind den Erziehern gewachsen zu machen, den eingesetzten wie den heimlichen. Man muß die Ungleichheit des Kampfes beenden, das, was ihn zur ständigen Quelle von Friedlosigkeit macht.
Wir können das Problem nicht ernst genug nehmen. Wenn so unterschiedliche Beobachter wie Margaret Mead (eine Kulturanthropologin), Erich Fromm und Alexander Mitscherlich (zwei Tiefenpsychologen) und Konrad Lorenz (ein Verhaltensforscher) gleichermaßen von einer »Feindschaft« zwischen den Generationen sprechen und nicht mehr von einem Generationskonflikt, meinen sie nicht notwendig dasselbe, aber sie meinen eine gleich große Gefahr. Konrad Lorenz - ich wähle ziemlich willkürlich einen von ihnen - hat die Abfolge der Generationen unter einem evolutionären, darwinistischen Gesichtspunkt analysiert. Die Möglichkeit, Erkenntnisse zu erwerben und sie an andere weiterzugeben, zeichnet die Menschen von anderen Arten aus. Zwischen Neuerlernen einerseits und Übernehmen, Bewahren, Weitergeben von Gelerntem andererseits besteht ein bestimmter, zeitlich und quantitativ geregelter Ausgleich, auf Grund dessen die Kulturen sich entwickeln und erhalten. In der modernen Welt ist dieser Ausgleich gefährdet und damit die Kontinuität der Kultur. Wir können heute auf fast allen Gebieten die Belastungen, Störungen und Rückschläge, die sich aus unseren Tätigkeiten ergeben, durch künstliche Mittel ausschalten. Sie verlieren dadurch auch ihre Signalwirkung. Wir haben keine verläßlichen Warnzeichen mehr. Pharmaka betäuben unsere Schmerzen und natürlichen Bedürfnisse, technische Maßnahmen fangen die Folgen technischer Maßnahmen auf, soziale und moralische Probleme werden in administrative und finanzielle verwandelt, aus Unvorhergesehenem wird alsbald ein Forschungsobjekt - ein Gegenstand für den zuständigen Fachmann. Wir entwöhnen uns nicht nur der Herausforderungen, wir gewöhnen uns nicht nur an Scheinentlastungen und immer höhere Ansprüche und Reize, wir nehmen uns vor allem keine Zeit mehr, irgendein Erlebnis, irgendeine Schwierigkeit oder irgendeine Wandlung zu verarbeiten - geschweige denn, sie mit den Kindern und für sie zu verarbeiten. Kinderzeit war für Rousseau offene, eigens dafür von der Natur bereitgestellte Erfahrungszeit. Wir haben Programmierungszeit daraus gemacht. - Aber anders als einzelne Techniken läßt sich Kultur so nicht übernehmen: sie fordert umständliche, zeitraubende Identifikation mit Personen und Lebensformen, Erprobung von ganzen Erfahrungsbereichen, das Durchspielen von Rollen. Die Erwachsenen entziehen sich jedoch ihren Kindern - sich selbst, ihre Tätigkeiten, ihre Lebenssituationen. Sie bleiben der nächsten Generation ihre eigene wichtigste Kulturfunktion schuldig: sichtbares Modell für Ordnungen, Gefahren und Chancen zu sein, die die Kultur bietet. Ja, sie erscheinen den Kindern und Jugendlichen nicht als Menschen, die ein wichtiges Leben mit wichtigen Aufgaben leben und die darum keine Zeit für sie haben, sondern als Sklaven freudloser Verrichtungen, Gefangene von Systemzwängen, Anbeter von Werten, die sie im Grunde nicht achten.
Unsere Kultur - will Lorenz sagen - können die Jungen nicht lernen und übernehmen. Sie fallen darum in einen archaischen Stammeskrieg mit den Alten zurück, und die Alten reagieren darauf mit mehr, genauerer, früherer, geschlossenerer Pädagogik.
Wenn die Kultur weiterbestehen soll, muß in erster Linie dieses Verhältnis geändert werden, weil alle anderen daran hängen - ein Zustand, auf den die Metapher »Krieg« nicht mehr zutreffen will. Es ist eher eine Vergiftung, Krankheit - Friedlosigkeit.
9.
Korczak hat - nicht die Analyse, wohl aber - die Beschreibung dieses Zustandes vorweggenommen.
»Wir haben uns so eingerichtet, daß die Kinder uns möglichst wenig stören, möglichst wenig ahnen, wer wir eigentlich sind und was wir wirklich tun!« (I, XXI). So verweigern wir uns selbst. Und zugleich kennen wir
»den Weg zum Glück, wir geben Hinweise und Ratschläge. Wir wecken seine guten Eigenschaften und unterdrücken die schlechten. Wir lenken und korrigieren es, wir üben mit ihm. Das Kind tut nichts, wir tun alles.
Wir befehlen und verlangen Gehorsam.
Wir sind als die moralisch und rechtlich Verantwortlichen, Wissenden und Vorausschauenden die einzigen Richter über alle Taten, Bewegungen, Gedanken und Absichten des Kindes.
Wir geben Aufträge, wir wachen über ihre Ausführung, ganz nach unserem Belieben und unserem Verständnis - es sind unsere Kinder, unser Eigentum - so ist das! ...
Ein Bettler verfügt immerhin frei über sein Almosen, ein Kind jedoch hat gar kein Eigentum, es muß über jeden Gegenstand Rechenschaft ablegen, den es zum Gebrauch erhalten hat.
Es darf nichts zerreißen, zerbrechen, schmutzig machen, es darf nichts verschenken oder im Überdruß wegwerfen. Es muß annehmen, was man ihm gibt, und damit zufrieden sein. Alles am rechten Platz und zur rechten Zeit und gemäß seiner Bestimmung,
(Vielleicht schätzt es darum die wertlosen Kleinigkeiten, die wir verwundert und mitleidig betrachten: wertlosen Kram, sein einziges wirkliches Eigentum: den Reichtum eines Bindfadens, einer Schachtel, einer Handvoll Glasperlen.)
Das Kind muß nachgeben, sich durch gutes Benehmen alles verdienen - bitten soll es, oder durch kleine Listen erreichen, was es haben will, aber ja nicht fordern! Es darf keinerlei Ansprüche stellen. Von unserem guten Willen hängt es ab, ob wir ihm etwas geben ...
Wir achten das Kind gering, weil es noch nicht viel weiß, noch nicht scharfsinnig ist, noch keine Voraussicht hat...
Das Kind ist kein Soldat, es verteidigt das Vaterland nicht, aber es leidet mit ihm.
Um eine politische Meinung braucht man sich bei ihm nicht zu bemühen; es ist ja kein Wähler: es droht nicht, es fordert nicht, es sagt nichts.
Schwach, klein, arm, abhängig - ein Staatsbürger soll es erst werden. Wir behandeln es mit Mitleid, Schroffheit, Grobheit und wenig Achtung. Ein Kind nur, erst in Zukunft ein Mensch, jetzt noch nicht...
Wir sind reich geworden. Wir genießen längst nicht mehr lediglich die Früchte der eigenen Arbeit. Wir sind Erben, Aktionäre, Miteigentümer eines ungeheuren Vermögens . .. Wie viele Waren auf den Märkten - von unzähligen Schiffen herbeigebracht - drängen sich dem Verbraucher förmlich auf und wollen - bitte schön - verwendet werden.
Machen wir Bilanz, berechnen wir, wieviel dem Kinde danach vom Gesamteinkommen zusteht, wieviel ihm als sein rechtmäßiger Anteil, nicht aus Gnade und nicht als Almosen, zukommt. Prüfen wir redlich, wieviel wir davon dem Volk der Kinder, der Nation der Minderjährigen, der Klasse der Fronenden überlassen. Wie groß ist ihr Erbteil, wie soll es aufgeteilt werden; haben wir sie nicht - wie ein unredlicher Vormund - enterbt und enteignet? . . .
Wir haben den Unterricht für die Allgemeinheit eingeführt, den Zwang zu geistiger Arbeit; die Kinder werden registriert und der Schulpflicht unterworfen. Wir haben dem Kinde die Bürde auferlegt, mit den sich wiedersprechenden Interessen zweier gleichlaufender Autoritäten fertig zu werden: der Schule und den Eltern! ...
Wir üben unsere Aufmerksamkeit und unseren Erfindungsreichtum im heimlichen Beobachten des Bösen; wir suchen es überall, spüren es auf, verfolgen es, wollen es auf frischer Tat ertappen; wir sehen Schlimmes voraus und kommen zu demütigenden Verdächtigungen ...
In unserer Bequemlichkeit wäre es uns lieb, wenn keines der Kinder uns jemals Mühe machte, und wenn von den zehntausend Sekunden einer Schulstunde (bitte nachzählen) keine einzige schwierig wäre. Warum ist ein Kind für den einen Erzieher gut und für den anderen böse? Wir verlangen eine Uniform der Tugenden und Momente, und das auch noch nach unserem Gutdünken und unseren Vorstellungen.
Gibt es in der Geschichte wohl ein Beispiel für eine ähnliche Tyrannei?« (II, 10-31).
Daß vieles heute so nicht mehr ist, daß Kinder in der Regel nicht mehr für uns arbeiten, daß sie Geld haben, mehr als vielleicht gut ist, daß sie kaputtmachen dürfen, was wir ihnen geben (auch mehr als gut ist), ändert nichts an ihrer Abhängigkeit und unserer Tyrannei - im Gegenteil: weil dieses Verhältnis nun ohne Not und Notwendigkeit so ist, ist es im Prinzip verschärft.
Korczak hat seine Diagnose auf eine andere Formel gebracht als Lorenz oder Mead oder Mitscherlich - auf die etwas altmodische Formel des Rechtes auf Achtung, das wir dem Kind verweigern.
10.
Daß die Welt für die Kleinen so unleidlich ist - auch dort, wo die Erwachsenen freundlich mit ihnen sind - liegt zu einem großen Teil daran, daß sie ihnen unverständlich bleibt. Und dies wiederum ist eine Folge davon, daß wir ihr Leben ständig an unserem messen, es auf unsere Zwecke, Deutungen und Einteilungen ausrichten. Dies ist die Nichtachtung, die Korczak unermüdlich aufdeckt und tadelt - und die sich rächen wird.
König Hänschen besucht einmal den befreundeten Nachbarkönig. Dieser hat in seinem Lande die Demokratie eingeführt (die es bei Hänschen noch nicht gibt) und viele fortschrittliche Einrichtungen. Aber König Hänschen sieht, wie sich die Menschen auch dort streiten und beschimpfen. »Warum haben sie sich eigentlich so gezankt?« fragt er seinen Gastgeber beim Verlassen des Parlaments. »Weil sie nicht glücklich sind!« ist die Antwort. »Weißt du, Hänschen, wir haben es falsch gemacht, als wir den Erwachsenen die Reformen geschenkt haben. Versuche es doch einmal mit den Kindern. Vielleicht gelingt es dir...« (KH, 94). König Hänschen kehrt in sein Land zurück und befolgt den Rat des Nachbarkönigs, der gut zu seinen eigenen Erfahrungen und Beschlüssen paßt. Er hatte seinen Ministern gesagt: »Ihr werdet euch mit den Erwachsenen befassen. Ich aber werde der König der Kinder sein ... Ich bin noch klein und weiß, was die Kleinen brauchen.« (KH 78 und 207).
Kinder sind Sachkenner in Angelegenheiten der Kinder (II, 23). Das gilt nicht nur aus moralischer Empfindsamkeit zu respektieren, sondern das ist selbst ein Stück Heilung der Welt. Wie sie mit ihrer Kennerschaft ihre Welt ordnen, und wie Erwachsene dabei helfen können, davon handelt Korczaks gesamtes Werk.
Korczak war kein Systematiker. Was seine Gedanken einander zuordnet, sind letztlich ein einziges Prinzip und eine einzige Tatsache: das Prinzip der Achtung vor den Kindern und die Tatsache seiner spontanen, uneingeschränkten, fast möchte man sagen, unpädagogischen Liebe zu ihnen. Gleichwohl - er war ein Praktiker und hat Maßnahmen getroffen. In ihnen steckt »System«. Ich will vier von ihnen skizzieren - zwei, die sich an die Kinder wenden (A), und zwei, die sich an die Erwachsenen wenden (B).
A. Für die Kinder stellt Korczak erstens Institutionen der Selbstverwaltung bereit und zweitens Geschichten zur Selbsterfahrung.
In den einen können die Kinder ihre gemeinsamen Angelegenheiten selbst erkennen, definieren, regeln und Formen des gegenseitigen Einvernehmens erfinden. In den anderen, den Geschichten, können sie ihre Vorstellungen erweitern, Alternativen zur Wirklichkeit durchspielen, Identifikationen vornehmen und vor allem ihre Hoffnungen stärken.
Die Institutionen
Im Jahre 1911 gab der damals 33jährige, glänzend arrivierte Kinderarzt seine Praxis auf und übernahm das nach seinem Entwurf errichtete Waisenhaus (Dom Sierot), in dem er bis zum schrecklichen Ende gewirkt hat. Von 1919 bis 1936 arbeitete er außerdem in einer Heimschule für Arbeiterkinder mit, die Maryna Falska, eine befreundete Sozialistin, nach seinen Prinzipien gegründet hatte.
Ein Waisenhaus bot alles und forderte alles, was Korczak brauchte: Kinder von klein auf; Kinder im Kollektiv; Kinder, die des Schutzes bedürfen; Kinder ohne Bindung an Eltern, an deren Erwartungen, an deren Weltanschauung; Kinder ohne gesellschaftlichen Status. Ein Internat für Kinder von Arbeitern ist nicht weniger festgelegt als eine englische Public School.
Das erste Drittel unseres Jahrhunderts war die Zeit der pädagogischen Kinderrepubliken: von den deutschen Landerziehungsheimen bis zu Makarenkos Gorki-Kolonie. Aber im Gegensatz zu den meisten anderen Schulgemeinschaften galt die seine nicht in erster Linie der Erziehung zur Gemeinschaft. Igor Newerly teilt uns mit, Korczak habe die »kategorische Widerlegung« Platons und seiner Epigonen gefordert, und das heißt, Korczak bestritt die These, daß Erziehung und ideale Staatsform zusammenfallen müssen und dem Glück des Kollektivs dienen. Korczak ging es darum, daß Menschen lernen, sich die Ordnungen zu machen, in denen sie ihr Glück finden oder gestalten können. Das heißt nicht, daß in seinem Heim Egoisten erzogen wurden, wohl aber Menschen, die auf Grund von Selbsterkenntnis Selbstdisziplin üben, auf Grund von sozialer Erfahrung Regeln beachten, mit Hilfe von verstandenen Verfahren Verständigung suchen. Sie lernen, »zusammenzuleben«, nicht »für die Gemeinschaft zu leben«. An die Stelle der vorgängigen Forderung nach Gemeinschaft treten gemeinsame Sachnotwendigkeiten. Sachnotwendigkeiten aber stellen auch Launen bloß, setzen Willkür einzelner außer Kraft. Um das zu bekräftigen, hatte das Waisenhaus ein Minimum an Personal. Als Korczak das Fazit des ersten Jahres zieht, sieht das so aus: »Wir hatten uns von einem x-beliebigen Personal und seiner Tyrannei unabhängig gemacht. Hausherr, Mitarbeiter und Leiter des Hauses wurde - das Kind. Alles, was im weiteren Verlauf beschrieben wird, ist ein Werk der Kinder, nicht das unsrige« (I, 286).
Und was war das Werk der Kinder?
- Eine Tafel für Bekanntmachungen, Fragen, Bitten, Warnungen - von allen an alle. Schriftliche Mitteilung ersetzt die mündliche nicht, aber wie bei der Kodifizierung der Gesetze in den frühen Stadien des Staates, so geben die Anschläge am Schwarzen Brett Sicherheit. Man kann zu ihnen zurückkehren, sie noch einmal lesen, sie anderen vorweisen. Sie erlauben zu sagen: »Lies dir das durch!«;
- ein Briefkasten erlaubt entsprechend, zu sagen: »Schreib das mal auf!« Aufschreiben dient dem Verständlichmachen der Welt. In der Mühe, die es uns bereitet, wird deutlich, daß Verstehen von Sachverhalten etwas mit der Verständigung zwischen Personen zu tun hat. Ja, es gibt Anlaß auch hierfür: »Schreib das mal auf!« »Ich kann aber nicht schreiben!« »Dann bitte jemanden darum, der es kann.« (I, 289);
- die Schulzeitung ist eine andere Form der Mitteilung - nämlich mit dem Wunsch, auf andere Einfluß zu nehmen. Darüber hinaus ist sie ein ausgezeichnetes Regulativ für die Worte und Taten des Erziehers. Sie ist eine lebendige Chronik seiner Arbeit - seiner Bemühungen, seiner Fehler und Schwierigkeiten« (I, 304);
- Abstimmungen, die ad hoc und anonym vorgenommen wurden, genauer: Stimmungsbilder dienten bei verschiedensten Gelegenheiten dazu, bloße Mutmaßungen, untergründige Gefühle, Verdächtigungen, Empörung ans Licht zu bringen und zu »Tatbeständen« zu machen, auf die man reagieren konnte; durch solche Veröffentlichungen einer unöffentlichen Meinung wurden »Machthaber« entthront: sie und alle anderen konnten nun erkennen, wie schlecht es um ihre Gefolgschaft wirklich stand;
- ein öffentliches Regal zum öffentlichen Aufbewahren gemeinsamer Gegenstände;
- ein Schrank für Gesuchtes und Gefundenes;
- ein Kramladen und ein Arsenal von Sachen, die man einmal braucht, kurz: lauter Einrichtungen, die die Welt verständlich und verfügbar machen;
- auch die Betreuungskommissionen dienten in erster Linie der Verständigung; in ihnen kümmerten sich Ältere um Jüngere - ebensosehr um zu lernen wie um zu helfen. Auch diese Beratung wird zu einem großen Teil schriftlich gesucht und erteilt: das versachlicht den Einfluß, den die einen auf die anderen nehmen;
- Sachlichkeit bestimmt auch die Versammlungen, die die Kinder selber einberufen und abwickeln und die sie nicht besuchen müssen, die sich also nur erhalten, wenn sie eine spürbare Bedeutung für die Gemeinschaft und den einzelnen haben. Freiwilligkeit und Freitätigkeit allein schaffen Verantwortung;
- die wichtigste Instanz freilich ist das Gericht, dessen Zuständigkeit sich auf alle erstreckt - Kinder, Erzieher, Personal. Es ist Schiedsstelle, Schutz, Chance. Die Schülergerichte bei Berthold Otto und Karl Wilkers, bei Hermann Lietz und Kurt Hahn, oder die Vollversammlungen bei Makarenko treten für die verletzte Ordnung der Gemeinschaft ein. Bei Korczak dient das Gericht in erster Linie dazu, den »Despotismus« der Erzieher aufzuheben (I, 304). Das Gesetzbuch des Kameradschaftsgerichts beginnt so: »Wenn einer etwas Böses getan hat, so ist es am besten, ihm zu verzeihen und zu warten, bis er sich bessert. Aber das Gericht muß die Stillen beschützen, damit die Starken ihnen nicht das Leben schwermachen ... Es wacht darüber, daß der Große dem Kleinen nichts antut und der Kleine den Älteren nicht stört; daß der Gescheite den Dümmeren nicht ausnutzt und sich nicht über ihn lustig macht; daß der Zänkische die anderen nicht quält oder daß auch er nicht schikaniert wird; daß der Fröhliche keine dummen Witze über die Traurigen macht. Das Gericht muß darauf bedacht sein, daß jeder hat, was er braucht, daß es keine Unglücklichen und Verärgerten gibt...« (I, 304-307).
»Man kann bei Gericht die eigene Person, jedes Kind und jeden Erzieher, jeden Erwachsenen überhaupt anzeigen« (I, 305). Das Gericht veröffentlicht seine Verhandlungen. Es gibt Übersichten über die Fälle, ihre Häufigkeit, die Art der Delikte, die Wirkungen der Strafen. Es gibt graphische Darstellungen heraus, es zeichnet gleichsam die Fieberkurve des sozialen Verhaltens im Waisenhaus auf.
Es gibt 99 »freisprechende« Paragraphen. Sie besagen, »das Gericht hat den Fall nicht behandelt« (I, 309). Danach ist alles so, als habe es nie eine Anklage gegeben. Man hat aus Anlaß eines Falles ein Verhaltensproblem durchgesprochen. Derjenige, auf den der Schatten der Anklage gefallen ist, wird sich Mühe geben, sich so zu verhalten, daß dies nicht wieder vorkommt.
Darüber hinaus gibt es zehn Formen des Schuldspruchs. Der mildeste ist:
»Das Gericht erklärt nicht, daß X etwas verschuldet hat, es erteilt keinen Tadel und ist nicht böse auf ihn« (I, 309); es trägt aber den Tatbestand in die graphische Darstellung, in die Gerichtschronik ein. Der härteste Schuldspruch lautet: »Wir haben alle Hoffnung verloren, daß X sich aus eigener Initiative bessern könnte. Wir glauben ihm nicht mehr, wir haben Angst vor ihm. Wir wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben.« (I, 311). Dieser Paragraph verweist den Verurteilten eigentlich von der Anstalt. »Er kann jedoch bleiben, wenn ihn jemand auf seine Verantwortung nimmt... Der Betreuer verantwortet vor Gericht alle weiteren Vergehen seines Schützlings« (I, 311).
Für besondere Fälle konnte eine »Ausnahme« verfügt werden:
»Einer kann sich nicht einfügen, einer stellt sich außerhalb von Gesetz und Recht. Man hat alles versucht, nichts hat geholfen. Was soll man tun? - Wenn wir einem gestatten, was allen verboten ist, oder wenn wir ihn von dem befreien, was alle tun müssen, wird sich das nicht schlimm auswirken?
Der Rat des Gerichts kann jemanden zum Ausnahmefall erklären, bis er selbst darum bittet, es nicht mehr zu sein. Der Rat befindet darüber, ob diese Ausnahmefälle an der Gerichtstafel ausgehängt werden« (I, 308 f.).
Nochmals: das Gericht dient nicht dem Richten, dem Verurteilen und Wiedergutmachen; es dient dem Verständlichmachen und dem Von-nun-an-besser-weiter-machen. Es bietet dazu eine Skala von Möglichkeiten an: von der Zurücknahme der Klage über das Verzeihen und die Selbstdisziplinierung bis zur Aufkündigung des wichtigsten Grundverhältnisses der Gemeinschaft: des Verhandelns.
Daß das zur Einrichtung gemachte Verhandeln und der begründete Schiedsspruch nach vereinbartem Recht ein »Grundverhältnis« sind, wird dem Kind sichtbar, wenn sie ausfallen. Es gab in Korczaks Waisenhaus Kinder, die das Gericht haßten und, wie sie sagten, lieber eine willkürliche Strafe erleiden wollten als melden und gemeldet werden (I, 348).
Diese Kinder haben das Gericht einmal zu Fall gebracht. Als es wiederauferstand, wußte jeder, daß man es brauchte, daß man es nicht entbehren konnte.
Es gibt Kinder, die nicht vor Gericht gehen mögen, die sich nicht zu Richtern wählen lassen. Sie werden deutlich belehrt, »daß ein >ich mag nicht - ich will nicht< nicht bedeuten kann >ich werde nicht<«, indem sie aus der Gerichtsgemeinschaft entlassen werden. Wer nicht Richter werden will, kann den Schutz des Gerichts nicht in Anspruch nehmen. So erfahren die Kinder, daß das Gericht eine Chance - und ihre Chance - nur bleibt, wenn sie es selber bestellen. Zwei weitere Funktionen hat das Gericht: es läßt »jede unerledigte Frage, jedes dilettantisch zusammengebastelte Gebot oder Verbot, jedes Versehen« erkennen und analysieren (I, 350); es offenbart unser zwiespältiges Verhältnis zur eindeutigen, autoritativen »juristischen« Regelung unserer Beziehungen. Die Kinder erfahren: es sind die kleinen Dinge, die quälen: ein nicht zurückgegebenes Löschblatt, ein mißverständlicher Scherz, bloße, aber systematische Unfreundlichkeiten; es sind auch die kleinen Dinge, die man hinzunehmen sich gewöhnt hat, und die darum nicht vor Gericht kommen, Ärgernisse, die also ungeklärt weiterschwelen und das Leben in der Polis vergiften; es mindert jedoch die Autorität des Gerichts, wenn die wirklichen Ursachen des Unfriedens nicht zur Sprache kommen;
es ist umgekehrt fatal, wenn seine Arbeit in der »Prozeßsucht«, zumal der Kleineren, ertrinkt; das Gericht wird seinerseits zum Tyrannen, wenn es seine Rolle überschätzt und die Fälle moralisiert; es braucht jedoch ein gewisses Pathos und wird zum Gespött, wenn die Kinder bei einer gerechten Forderung oder einer mutwilligen Ungerechtigkeit sagen: »Dann melde mich doch beim Gericht!« (I, 339).
Vor allem hat das Gericht die Rolle des Erziehers verändert. War er ein »Wächter über Wände und Möbel, über die Ruhe auf dem Schulhof und die Sauberkeit von Ohren und Fußböden« (II, 35), kann er jetzt Helfer, Berater und Modell sein. Korczak hat sich selbst fünfmal dem Gericht gestellt und diese Fälle als den Grundstein seiner eigenen Erziehung zu einem »konstitutionellen« Pädagogen angesehen, d. h. zu einem, der sich zu Kindern richtig verhält, nicht weil er sie liebt, sondern weil er der Willkür ein Ende gemacht hat, weil sein Verhalten nachvollziehbar ist (I, 353).
- Es gab schließlich im Dom Sierot ein Parlament mit zwanzig Abgeordneten, von denen jeder aus einem Wahlkreis von fünf Kindern gewählt wurde. Das Parlament beschloß über die Aufnahme von Kindern in die Schule und auch über das Personal. Was ein Kinderparlament sonst noch kann und soll (und nicht kann und soll), wissen die Leser von »König Hänschen«. Aber ihnen ist auch das ungelöste Problem aufgefallen: König Hänschen »... wollte, das ganze Volk solle regieren. Aber die Kinder sind auch Volk. Darum mußten zwei Parlamente geschaffen werden: in dem einen sollten die Erwachsenen, im anderen die Kinder bestimmen« (KH, 129). Wie verhalten sich die Beschlüsse des einen Parlaments zu denen des anderen? Wer teilt die Mittel zu? Wer schlichtet die Konflikte nach welchem Prinzip? Davon steht in »König Hänschen« nichts.
Im Waisenhaus fand der Ernst des Parlaments seine Bestätigung in der Art und Eindeutigkeit seiner Einschränkungen: den Kindern durfte man nicht vormachen, daß sie etwas entscheiden, wo sie es tatsächlich nicht tun, wo die Mittel und die Kompetenz fehlen. Die Befugnisse jedoch, die der Sejm hatte, hatte er ganz.
Und weil von dem »Ernst« die Rede war - ein Beispiel für seinen »Spaß«. Eine der liebenswertesten Befugnisse des Parlaments war es, den Kalender zu beschließen:
Der 22. Dezember hatte die Losung: »Es lohnt sich nicht, aufzustehen.« Wer will, kann schlafen und braucht nicht aufzustehen, ja nicht einmal sein Bett zu machen.
Der 22. Juni hatte die Losung: »Es lohnt nicht, sich hinzulegen.« Wer will, kann die ganze Nacht wach bleiben.
Der Tag des Schmutzfinken - Losung: »Sich zu waschen ist verboten.« Wer sich an diesem Tag waschen will, muß eine Gebühr bezahlen, deren Höhe der Sejm beschließt.
Der Tag der Uhr: Der unpünktliche Schuster hat sich, wie versprochen, gebessert und ein ganzes Jahr die reparierten Schuhe am richtigen Tag zur festgesetzten Stunde geliefert. Der Sejm hat ihm eine Postkarte für Pünktlichkeit zuerkannt. Zur Erinnerung daran dürfen die Kinder am Tag dieses Beschlusses eine Stunde länger in der Stadt bleiben.
Der Tag des Liederjans. Wer durch Abstimmung zum größten Schlamper erklärt wird, erhält ein sauberes Stück Kleidung, damit er sich an Feiertagen sehen lassen kann (I, 354 f.).
Erziehung zum Frieden? - Nein, nämlich nicht: aufgefordert werden, die unverstandenen Verwicklungen der größeren Welt zu lösen.
Erziehung in einer friedlosen Welt? - Ja, nämlich: an Dingen, die für Kinder Bedeutung haben, die ihnen zugänglich sind und die sie beurteilen können, Zutrauen gewinnen, daß man Menschen verstehen und beeinflussen kann; und den Anspruch mit forttragen, daß Gemeinschaft verständlich und dienlich ist.
Wem dies zur Grunderfahrung wird, der wird die Ungeheuerlichkeiten unserer friedlosen Welt wenigstens nicht fügsam hinnehmen. Es wird auch nicht so schnell zum Desperado.
Die Geschichten
Korczak war ein phantasiereicher, hochsensibler und vor allem freudiger Schriftsteller. Seine Pädagogik hat er nicht nur in seinen Schriften beschrieben und begründet, er hat sie auch durch Schriften ausgetragen: in Romanen, Bühnenstücken, Kindergeschichten. Daß er von seinen Kindern so viel schriftliche Mitteilung forderte, scheint mir seinen Grund darin zu haben, daß er selber ohne den Widerhall, die Bestätigung und Prüfung der Tat im Wort nicht auskam. Im Wort wurden die komplizierten Ereignisse festgehalten und verständlich; im Wort wurden aus vagen Ideen brauchbare Pläne oder erwiesene und also zu unterlassende Dummheit; das Wort erlaubt vor allem, mit schon gemachten Fehlern fertig zu werden. Hat man sie formuliert, sind sie mehr als Irrtum, Niederlage, Beschämung - sie werden zu einer Quelle der Einsicht. Sie müssen nicht verdrängt und geleugnet und schon gar nicht anderen zugeschoben werden.
»Die guten Erzieher unterscheiden sich von den schlechten nur durch die Anzahl der begangenen Fehler, des begangenen Unrechts. Es gibt Fehler, die ein guter Erzieher nur einmal begeht, die er, wenn er sie kritisch überdacht hat, nie wiederholt. Ein solcher Fehler bleibt lange im Gedächtnis ... Ein schlechter Erzieher gibt den Kindern die Schuld am eigenen Versehen...« (I, 181). Kritisch überdenken, konkretisieren, eingedenk und ehrlich bleiben - das ist das eine. Das andere ist das Entfalten der Vorstellung, die Welt der Möglichkeit, die Bekräftigung unserer Wünsche gegen eine elende Wirklichkeit.
Neben die Institutionen, die Erfahrungen mit der Realität der Sachen und Menschen hat Korczak Geschichten gestellt. In diesen Geschichten wird die Welt zugleich geschildert, wie sie ist, wie sie sein könnte und wie ein Kind sie verstehen kann. Man kann sagen: in Korczaks Geschichten wird nicht die Welt der Kinder vom Erwachsenen her, sondern die Welt der Erwachsenen vom Kind her erfahren und gedeutet. Auch ihr könnt dies verstehen, dies tun, dies werden.
Auf der ersten Seite des Kinderromans »König Hänschen« befindet sich ein Bild des Autors im Alter von 10 oder 12 Jahren. Er erklärt dazu: ein Autor sollte sich stets so vorstellen, damit die Kinder nicht denken, er sei immer schon so klug und niemals klein gewesen. »Die Kinder denken dann, sie selbst könnten niemals Minister, Reisende oder Schriftsteller werden - und das stimmt doch gar nicht!« (KH, 5).
Korczak erfindet einen Kinderkönig - ein Kind, das Macht hat, aber dabei Kind bleibt. An diesem Kind können andere Kinder - in der Vorstellung - lernen, was es heißt, das zu dürfen und zu können, was man sich immer am meisten ersehnt hat. Sie erkennen ihr eigenes großes Problem: das Problem der Ohnmacht, der Kleinheit, der Unerfahrenheit und wie es sich mit ihren gerechten Wünschen, ihrer unleugbaren Erfahrung und den Behauptungen der Erwachsenen verträgt. Sie lernen, die Macht der Großen zu durchschauen, sehen ihre Grenzen, Schwierigkeiten und Folgen und daß man mit der Macht immer auch Verantwortung trägt. Das unheilvolle Bedürfnis, endlich so zu werden wie die Großen, weil man so dem Elend des Kindseins entrinnt, weicht einer realistischeren Einschätzung. Kinder wissen nun, Macht ist nicht Magie. Es nützt nichts, den Mantel anzuziehen, damit die Erwachsenen mit einem Spazierengehen (I, 32). Es nützt auch nichts, Zigarren zu rauchen oder »König« zu heißen: dadurch bekommt man die Macht nicht. Die Kinder werden sie von hier an weder usurpieren noch geringschätzen, noch sich ihr einfach fügen. Sie werden sie unterlaufen und sie sich erlisten - und kein schlechtes Gewissen dabei haben. Korczaks Geschichten stellen die Maße wieder her, die Proportionen, die durch die Kleinheit der Kinder und die Macht der Erwachsenen so verzerrt sind: »Achtung und Bewunderung erweckt nur das, was groß ist und mehr Platz einnimmt ... Ein Kind ist klein, es wiegt nicht viel, es ist nicht viel von ihm zu sehen, wir müssen uns zu ihm hinunterneigen. Und was noch schlimmer ist, das Kind ist schwach .. . durch unser eigenes Beispiel lehren wir, das, was schwächer ist, geringzuachten ...« (II, 7 f.).
Dies ist die Geschichte von König Hänschen: Er erbt als Kind die Krone. Sein Land wird von anderen Königen überfallen. Als unbekannter Kindersoldat kämpft Hänschen den grausigen und zugleich abenteuerlichen modernen Krieg mit. Nach dem Sieg will er für eine bessere Welt sorgen - besser vor allem für die Kinder. Häufig betrogen, ständig am Rand seiner kleinen Kraft, von den Verhältnissen widerlegt, von den Erwachsenen verlacht und verlassen, führt er seine Reformen durch: er gibt den Kindern ein Parlament und alle Rechte von Erwachsenen in ihrem eigenen Bereich. In ihren neuen demokratischen Einrichtungen lernen sie, ihre Gegensätze auszutragen und erfinden neue Lösungen zu alten Problemen. Sie geraten dabei in Konflikt mit den Erwachsenen. Die Eltern verbieten ihren Kindern, ins Parlament zu gehen; die Lehrer verlassen ihre Posten; die Jugendlichen, die weder Kinder noch Erwachsene sind, verlangen eigene Institutionen. Es kommt zu Demonstrationen und zu ihrer gewaltsamen Zerstreuung durch berittene Polizei. Kinder in anderen Ländern fordern auch Kinderparlamente, und ein Journalist treibt die Kinder an, mit ihren Forderungen immer weiterzugehen. Es kommt zur völligen Umkehrung der Verhältnisse: die Kinder verrichten die Berufe der Erwachsenen; die Erwachsenen gehen zur Schule, Chaos bricht aus und am Ende wieder der Krieg. Hänschen wird an die Feinde verraten und von einem »internationalen Gerichtshof« zum Tode verurteilt, aber dann zu lebenslänglicher Verbannung begnadigt.
Solche Geschichten erlauben Identifikation, Mitleiden, Mitsiegen, Mitdenken, Sich-Mitwandeln. Sie bieten den Kindern Rollen an - die des tapferen Hänschens, der sagt, »das verstehst du nicht, Fritz, wir Könige können nicht immer tun, was wir gerade wollen«, - die des Fritz, der sagt: »Wenn ich König wäre, >müßte< ich niemals etwas tun«, - die des kleinen Negermädchens Klu-Klu, die sagt: »Ich begreife nicht, wie die Weißen, die sich so viele kluge Dinge ausgedacht haben, immer noch so dumm und wild sein können.« (KH, 71 und 196).
Korczaks Geschichten erlauben, Fehler, Probleme, Gefahren zu erkennen. Alle versuchen, König Hänschen zu korrumpieren, wie sie Fritz längst korrumpiert haben (Fritz raucht Zigarren, legt sich Orden an, nennt sich Baron von Rauch, meint, jetzt müsse Schluß sein mit »Hänschen«, tauft das »Kinderparlament« in »Progreßparlament« um - und verrät gerade dadurch die Emanzipation der Kinder an den Standpunkt der Erwachsenen). König Hänschen erfährt, wie unbeliebt ein König bei gemeinen Soldaten ist, und wundert sich: »Da fuhren die Truppen in den Krieg, um für einen König zu kämpfen, den sie nicht liebten!« (KH, 40). König Hänschen will viel Gutes tun - immer wieder - und kommt zu der Einsicht: »Manchmal kann der König etwas ein ganz klein bißchen ändern.« (KH, 19). Er kann, wenn er gleichsam mit dem Leser allein ist, zugeben, daß er etwas falsch gemacht hat (KH, 75), daß er etwas nicht verstanden hat (KH, 81). Er und alle Kinder in der Geschichte machen Wandlungen durch: »So lernten die Abgeordneten langsam, aber sicher, wie man sich in einem Parlament verhält« (KH, 204) - und wir alle, die wir dies gelesen haben, auch, denn wir haben die Fehler und die Erfolge mitgemacht.
Korczaks Geschichten erlauben, mit neuen Ordnungen zu experimentieren, alte Vorstellungen und Wünsche zu erproben. Sie bieten Alternativen an für das, was ist und schon immer war. Die Kinder erfahren, daß »Reformen das Allerschwierigste« sind (KH, 92) und wie sie scheitern - an der eigenen Unbesonnenheit wie an der Obstruktion der Erwachsenen.
Ja, Korczaks Geschichten entlarven vor allem: wie die Erwachsenen die Kinder beschwichtigen, abschieben, ihre Unerfahrenheit ausnützen; wie schrecklich ernst sie sich nehmen und wie unberechtigt ihre Überlegenheit ist; wie sie »kindisch« und schadenfroh sind: »Laßt doch die Kinder die Suppe auslöffeln, die sie sich da eingebrockt haben. Sie werden bald merken, so leicht, wie sie es sich vorstellen, ist das nicht« (KH, 211); wie die Erwachsenen für alles Vorschriften gemacht haben und wie die dümmste Sache gestattet ist, wenn sie nur vorschriftsmäßig vor sich geht. Als man König Hänschen übelnimmt, daß er seinen Freund Fritz bevorzugt, weiß er sich inzwischen gut zu helfen: »Herr Staatssekretär, dann fertigen Sie eben ein Schreiben aus, das bestätigt, daß ich Fritz zu meinem Favoriten ernannt habe.« (KH, 71).
Dies alles rechtfertigt die Selbstbefreiung der Kinder. Dies begründet ihr moralisches Recht auf Selbstbestimmung. Dies bricht den Bann der Passivität und macht aus Kindern Bürger.
Die Geschichten von Korczak belehren nicht zuletzt über Dinge, die man wissen möchte, ferne Dinge, die nah herangeholt werden, so daß man über sie nachdenken kann, nahe Dinge, die verfremdet werden, so daß man über sie nachdenken muß. König Hänschen geht in den Krieg, er kommt ins Gefängnis, er macht große Reisen in exotische Länder, er wird verfolgt, verwundet, verraten. Es kommt alles vor, was zur großen politischen Welt gehört und womit sich die Erwachsenen so wichtig machen: Kabinettssitzungen und Kriegsrat, internationale Konferenzen und Gerichtshöfe, Staatskrisen und Staatshaushalte, Putsch und Demonstration, Spionage und Untergrund, Entwicklungshilfe und Rassenkonflikte - und immer wieder der Krieg. Er wird auf vielen, vielen Seiten geschildert, wie er ist, bewußt hart, fast gefühllos: »Manchmal fiel eine Kanonenkugel in den Graben und explodierte dort; einige Soldaten kamen um, andere wurden verwundet ... aber die Kameraden hatten sich schon daran gewöhnt.« (KH, 54). Kinder, denen ich dies habe vorlesen lassen und über deren Reaktionen es lange Protokolle gibt, zeigten Trauer und Empörung. Sie haben dabei Tanks und Kriegsschiffe gemalt - die nicht in »König Hänschen« vorkommen.
Vor allem aber geben diese Geschichten die Vision von einer besseren Welt wieder, von einer Welt, in der es keinen Krieg mehr geben muß und in der »die Kinder gehorchen werden, nicht weil sie Angst haben, sondern weil sie selbst Ordnung haben wollen« (KH, 205).
Die verhinderte bessere Welt steigert die Sehnsucht nach ihr. Der erste Band von »König Hänschen« endet mit der Verurteilung und Verbannung von König Hänschen durch die feindlichen Könige. König Hänschen aber unterschreibt die Schulderklärung, das Urteil, nicht. Er geht ungebrochen als moralischer Sieger davon. Er ist nur der Gewalt gewichen. Er hat einen Krieg verloren und die Herzen der Kinder gewonnen. Er wird eines Tages wiederkehren und auch »uns« helfen.
Der zweite Teil von »König Hänschen« muß diese Hoffnung einlösen oder zerstören. Er muß vor allem unzählige Probleme verarbeiten, die der erste Band aufgeworfen hat: Warum haben die Kinder nicht zusammengehalten? Warum behandeln sie sich gegenseitig ebenso gemein, wie die Erwachsenen sie behandelt haben? Warum haben sie alles zerstört? - In dem Bemühen, diese gedanklichen Schwierigkeiten in Erzählung und Bild aufzulösen, hat Korczak seine Kindergeschichte gelegentlich überanstrengt. Aus dem Schicksal eines wirklichen Kindes wird mythologisierte Pädagogik. Aber auch das hat seinen Sinn. Es geht darum, daß das Kind versteht, was ihm in der Erziehung widerfährt.
Igor Newerly berichtet im übrigen, daß Korczak den Kindern bei ihrer Entlassung aus dem Waisenhaus zu sagen pflegte: »Eines geben wir euch mit - die Sehnsucht nach einem besseren Leben, das es noch nicht gibt, das aber einmal kommen wird, wenn ihr ein Leben der Wahrheit und Gerechtigkeit geführt habt.« (I, XXII). Wer diese Sehnsucht nach dem besseren Leben, das es noch nicht gibt, nicht hat, der hat auch nicht die Kraft, der Wirklichkeit des schlechteren Lebens entgegenzutreten.
Auch der zweite Teil geht traurig aus. Hänschen gibt den Thron auf und arbeitet in einer Fabrik. »Traurig« ist das, weil er damit zugleich aufgibt, die Welt verändern zu wollen. Er ist - wie der alte Mann, den er auf der einsamen Insel trifft - »ein Reformator, der es nicht geschafft hat« (EI, 95).
Ist das Zufall? Hat auch Korczak resigniert? Kritiker haben einen melancholischen Zug in seinem Werk gefunden. Ich erkenne darin in erster Linie Ernst, Empfindsamkeit und Wirklichkeitssinn. Der Schatten der Trauer, den Korczaks Ende über sein Werk wirft, die sentimentalen Illustrationen von Jerzy Srokowski mögen das Ihre dazu beitragen, daß Korczaks Schriften keine Zuversicht verbreiten. Aber sie verbreiten auch keine Resignation! Im Gegenteil: Läge Berechnung diesem Mann nicht so fern, man müßte die aufkratzende Wirkung seines Werkes für kalkuliert halten.
Erstens schafft die literarische, die vorgestellte Einsamkeit (anders als die physische) Solidarität - für König Hänschen wie für Korczak selbst. (Unzählige Kinder haben dem Mann am Kreuz versichert, daß sie ihn nicht verlassen hätten!)
Sodann: Korczak könnte die Kinder auf dem Papier und in der Phantasie zum Sieg führen, sie dort »die Macht ergreifen« und die bessere Welt herstellen lassen, wie es heute viele Kinderbücher um einer augenblicklichen Lust willen tun. Die kleinen Leser applaudieren den Kinderbuchrebellen, und auch an König Hänschen finden sie gut, daß er seinen Ministern entgegentritt, daß er als Soldat Taten tut wie ein Erwachsener (»obwohl er noch ein kleiner Junge war ...«), daß er also mehr kann als sie selbst. Aber wenn er Dinge könnte, die sie nie und nimmer können könnten, dann würde das eintreten, was die Psychologen für die größte Quelle der Aggressivität halten: die Frustration. Korczaks Held erlaubt dem Kind zu denken: »Wäre ich dabeigewesen . ..« oder »Wäre König Hänschen jetzt bei mir . . .«, oder »Käme noch jener hinzu, dann würde es uns gemeinsam gelingen!« Freilich, leicht wird es nie sein. Aber jetzt weiß das Kind wenigstens, welche Fehler es nicht machen darf.
Wenn ich mich heute mit Jugendlichen unterhalte, beobachte ich vor allem, wie wenig eigene, selbstempfundene Probleme sie zu haben scheinen. Vielleicht war das immer so, aber heute fällt es besonders auf, weil sie gleichzeitig so heftig und beredt für die schwerverständlichen, kaum lösbaren Probleme sehr ferner Menschen eintreten. Ihre Vorliebe für die großen Ankläger kommt daher, daß diese ihnen das Gefühl von bedeutenden, noch ungetanen Aufgaben geben. - Aber wenn es nur Forderungen an andere sind und wenn der Preis nicht genannt wird, den sie selbst zahlen müssen, dann kann aus dem Aufgabenhunger leicht Haß und Zerstörungswut werden. König Hänschen zeigt Aufgaben für mich und dich und nennt zugleich den Weg und das Risiko. Der gute König ist der traurige König, und wer das Gute tut, wird in unserer Welt einstweilen einsamer sein als andere. Er wird jedoch - wie König Hänschen oder der traurige König oder Korczak selbst - von denen geliebt, die die bessere Welt wollen. Das Buch erklärt, warum nicht alles gleich gelingen kann. Es erklärt damit auch, warum es Politik geben muß - Politik, die der Ersatz für Gewalt ist.
B. An die Erwachsenen wendet sich Korczak
erstens mit einer Forderung - nach Achtung vor dem Kind und
zweitens einer Analyse - ihrer Liebe zum Kind.
Beide hängen eng miteinander zusammen und verteilen sich nicht säuberlich auf die beiden Bände der deutschen Ausgabe, wie es deren Titel zu behaupten scheinen. »Das Recht des Kindes auf Achtung« und »Wie man ein Kind lieben soll« - diese Sätze stehen gemeinsam über dem ganzen Werk, soweit dort nicht stehen müßte »Über die Einsamkeit des Menschen«[2].
Das Recht des Kindes auf Achtung
Wie können Erwachsene, die selbst nicht frei sind, Kinder zur Freiheit erziehen? Wie ist Selbstbestimmung möglich, bevor ein Selbst da ist (ein Selbst, das sich erst am Widerstand bildet, dem es unter Umständen erliegt)? Wie ist das Weitergeben von notwendiger Kultur, Erkenntnis, Ordnung, Humanität vereinbar mit ebenso notwendiger eigener Erfahrung, wie die Schutzfunktion des Erwachsenen mit dem Risiko offener Lernvorgänge?
Ich glaube, daß Korczak eine glücklichere Antwort auf diese Fragen gefunden hat als die meisten, die sich sonst mit ihnen geplagt haben: wo sie Liebe, Führung, Wachsenlassen / Partnerschaft, »pädagogischen Bezug«, Konfliktmodell / Emanzipation, Enkulturation, Sozialisation / negative, progressive, antiautoritäre Erziehung / Bildung, Behütung, Beratung fordern - Einsatz und Tätigkeit der Erwachsenen -, da fordert er ein Recht des Kindes, die Achtung seines Rechtes auf Achtung. Die anderen nehmen bewußt oder unbewußt Partei für das Kind oder für den Erwachsenen. Ihre Pädagogik trägt damit den Keim neuer Friedlosigkeit in sich. Sie gewähren dem Kind etwas oder bestreiten es ihm. Korczak gibt an, was das Kind<
Hartmut von Hentig
Laudatio
Von den Zöglingen seines Waisenhauses hat Korczak mit folgenden Worten Abschied genommen: »Das Eine geben wir euch mit — die Sehnsucht nach einem besseren Leben, das nicht ist, aber einst sein wird, nach einem Leben der Wahrheit und der Gerechtigkeit.«
Alicja Szlązak - Dankesrede
Alicja Szlązak
Vizepräsidentin der Gesellschaft der Kinderfreunde Warschau
Dankesrede
Tragisch und höchst seltsam zugleich pflegen die Schicksale der Menschen zu sein, die über das Durchschnittsmaß hinausgewachsen sind. Sie leuchten mit den Strahlen ihrer Gedanken über Generationen, sie weisen den Weg, warnen und wärmen uns mit der Glut der unauslöschlichen Gefühle ihres verstummten Herzens. Sie leben nicht mehr - und sind doch unter uns. Je mehr Zeit uns von ihrem Tod trennt, desto größer wird und wächst, allen Naturgesetzen zum Trotz, die Erinnerung an sie - als Legende.
Dr. Janusz Korczak, der Arzt, der Schriftsteller, vor allem aber der Pädagoge, gehört zu den Menschen, die auf Erden kein Grab haben. Vergeblich sucht man heute den Ort seiner sogenannten »ewigen Ruhe«, wo die Erinnerung an die Größe dieses Menschen, an die Mühsal seiner Arbeit, an die Güte seines Herzens in Blumen erblühen könnte, die ihm die Gesellschaft, Freunde, Kinder und seine pädagogischen Nachfolger darbrächten. Vergeblich sucht man heute seine Asche in den Erdschollen des Vernichtungslagers, in den zahlreichen Massengräbern der Namenlosen.
Doch kein Tod, auch nicht der grausigste, vermag den edlen Höhenflug der Gedanken und des Herzens zu vernichten, wenn sich diese selbstlos in den Dienst an den großen Werten der Menschheit gestellt und den Weg zum Fortschritt gewiesen haben.
So lebt Janusz Korczak, der gute Alte Doktor in der schönen Tradition polnischen pädagogischen Denkens und in der aktuellen Fürsorge- und Erziehungspraxis, er dauert fort und wirkt an hundert Stellen, die seinen Namen tragen, in Schulen, Kinderheimen, Krankenhäusern, Pfadfindergruppen und Straßen, auf polnischem Boden und außerhalb der Grenzen unseres Landes. Seine Gestalt wird verewigt vom Meißel der Bildhauer, sein Leben, seine tägliche Mühe von der Filmkunst, von der Dramatik, von einer umfangreichen Literatur, von der pädagogischen Publizistik. Lehrer und Erzieher bereichern die Grundthesen der Pädagogik Janusz Korczaks um neue, den sozialen Bedürfnissen von heute angepaßte Elemente und lernen aus seinem schriftstellerischen Nachlaß weiterhin, ehrlich zu beobachten, pädagogisch zu reflektieren, die kindliche Psyche feinfühlig nachzuempfinden, dem Kind mit Achtung und tiefem, herzlichem Verständnis zu begegnen, dem Kind, das nicht erst irgendwann in der Zukunft, sondern schon jetzt ein Mensch ist.
Das Leben, der Ort seiner Arbeit, die Gedanken banden Korczak an Warschau. Unter den wenigen Gebäuden dieser Stadt, die den Krieg überdauerten, stehen noch die beiden Häuser, in denen er lebte und wirkte, auf der Krochmalna-Straße und im Stadtteil Bielany; sie wachsen und werden schöner. Sie dienen wie früher verwaisten Kindern. In ihr Erziehungssystem sind als dauerhafte Bestandteile die Erfahrungen des Alten Doktors eingegangen, in ihnen arbeiten noch frühere Mitarbeiter aus der Vorkriegszeit. Entfallen ist die Sorge um die Existenz der Kinder, der Appell an das gute Herz von Philanthropen. Alle Kinderheime werden vom Staat unterhalten.
In seinen Aufzeichnungen über die letzten tragischen Tage schrieb Korczak: »... ich liebe die Warschauer Weichsel und empfinde fern von Warschau brennende Sehnsucht. Warschau ist mein, und ich bin sein. Ich sage noch mehr: ich bin Warschau. Mit ihm war ich froh und traurig, sein Wetter war mein Wetter, sein Regen und Schlamm die meinen. Mit ihm bin ich aufgewachsen.« Mit ihm ist er tragisch umgekommen und - wieder erstanden.
Von den Zöglingen seines Waisenhauses hat Korczak mit folgenden Worten Abschied genommen: »Das Eine geben wir euch mit — die Sehnsucht nach einem besseren Leben, das nicht ist, aber einst sein wird, nach einem Leben der Wahrheit und der Gerechtigkeit.«
Meine Damen und Herren, die posthume Verleihung des Friedenspreises an Janusz Korczak ist Ausdruck dieser Sehnsucht aller Menschen nach einem besseren Leben, einem schöneren Leben, in dem die Kinder der ganzen Welt, aller Rassen, Religionen und Nationen, heute und für immer frei gedeihen können, ohne zu wissen, was Hunger, Mord und Krieg bedeuten; nach einem Leben, in dem das Waisenkind in jedem Menschen einen Vater und eine Mutter finden kann, die sich freundlich seiner annehmen, ihm zuhören und ihm helfen.
Der Friedenspreis für Janusz Korczak ist eine Huldigung für den großen Pädagogen, der seine Pflicht gegenüber den ihm anvertrauten Kindern so verstanden hat, wie auf der ganzen Welt Väter und Mütter sie verstehen, für die das Kind der größte Schatz ist. Der Alte Doktor besiegelte die Wahrheiten seines Lebens mit dem freiwilligen Tod. Er hätte sein Leben retten können. Doch zog er vor, die Menschenwürde und das Vertrauen der Kinder zu seinem Erzieher zu retten. Hätte er denn diese Waisen verlassen können, die ahnungslos in den Tod gingen? Sein Entschluß war die natürliche Konsequenz der Grundsätze, nach denen er gelebt und die er seinen Zöglingen vermittelt hatte. Darin liegt die Größe dieses Menschen.
Janusz Korczaks Tod ist heute bereits zum Symbol für die Vernichtung Hunderttausender von Kindern und ihrer Nächsten geworden, die sie nicht verlassen wollten. In diesen Augusttagen vor dreißig Jahren zogen zweihundert Kinder aus Janusz Korczaks Waisenhaus hinter ihrer grünen Fahne in den Tod. (Die grüne Fahne, sagte der Alte Doktor, sollte die Fahne aller Kinder der ganzen Welt sein, denn Kinder lieben das Grüne, den Wald, die Felder, die Wiesen.) Mit den Kindern in den Tod gingen Korczaks Mitarbeiterin Stefania Wilczyńska und das gesamte übrige Personal des Waisenhauses. Denselben Weg in die Gaskammern gingen damals die Kinder und das Personal der Waisenhäuser und Internate von der Ogrodowa-, Twarda-, Wolność-, Dzielna- und Ceglana-Straße sowie aus dreißig anderen Fürsorgeheimen, insgesamt viertausend Kinder. Wie Korczak starben mit ihren Kindern die opferbereiten Betreuerinnen und Betreuer: Broniatowska, Dąbrowski, Goldkorn, Janowska, Martinówna, Szymański, Steinowa, Wiśniacka. Diese Namen hat die Geschichte verewigt. Aber die vielen tausend anderen namenlosen Kinder aus dem Warschauer Ghetto? Aber die vielen hunderttausend wehrlosen Kinder aus dem Gebiet von Zamosc, aus Lodz, Warschau und Lubawa, aus den Vernichtungslagern? Aber die Kriegsopfer? Polen verlor im Krieg sechs Millionen Staatsbürger, unter ihnen viele, viele Kinder. Kann die Hand eines Künstlers, kann menschliche Vorstellungskraft diese unermeßlichen Leiden erfassen und aus Stein oder Erz ein riesiges Denkmal für die Kriegsopfer der Kinder schaffen? Niemand wäre imstande, das zu tun.
Polen möchte das Andenken seiner Kinder ehren. Aus den Spenden der ganzen Nation wird ein lebendiges Denkmal entstehen, das nicht in die Vergangenheit, sondern offenen Auges in die Zukunft blicken soll. Denn die Kinder sind die Zukunft eines jeden Landes. Als Denkmal für die Leiden der Kinder entsteht in Warschau ein Kinder-Gesundheitszentrum. Es wird ein hochspezialisiertes Krankenhaus und eine Gruppe von Beratungsstellen umfassen. Das Zentrum wird nicht nur die medizinischen Fragen des Kindesalters aufgreifen, sondern auch die Probleme der Physiologie, Soziologie, Psychologie, Pädagogik und Rehabilitation des Kindes. Es wird auch als didaktisches Zentrum der internationalen Wissenschaft offenstehen. Am nächsten Internationalen Tag des Kindes (1. Juni) wird der Grundstein gelegt, und die Fertigstellung ist zum hundertsten Geburtstag des Alten Doktors geplant. Dieses Denkmal für die getöteten Kinder wird den lebenden Kindern dienen. Es steht unter dem Leitstern der Idee liebevoller Fürsorge für das Kind, für seine Gesundheit und seine volle physische und geistige Entwicklung - derselben Idee, der Janusz Korczak die Mühsal seines Lebens, seine Werke und die Würde seines Todes geweiht hat.
Meine Damen und Herren, im Namen des Korczak-Komitees bei der Gesellschaft der Kinderfreunde nehmen wir den Friedenspreis 1972 des Deutschen Buchhandels entgegen, um ihn für die von den Stiftern bestimmten Ziele zu verwenden.
Polnisch (Original)
Tragiczne, a zarazem przedziwne bywają losy ludzi, co wyrośli ponad przeciętną miarę. Świecą przez pokolenia promieniami myśli, wskazują drogę, grzeją żarem nie wygasłych uczuć dawno już zamilkłego serca. Nie żyją - a przecie są wśród nas. Im więcej lat dzieli nas od ich śmierci - tym pamięć o nich wbrew prawom natury olbrzymieje i rośnie - legendą.
Doktor Janusz Korczak, lekarz, pisarz, a przede wszystkim pedagog, znalazł się wśród ludzi, którzy nie mają grobu na ziemi. Próżno szukać dziś miejsca tzw. »wiecznego spoczynku«, gdzie pamięć o wielkości tego człowieka, o trudzie Jego życia i dobroci serca mogłaby zakwitnąć kwiatami, składanymi przez społeczeństwo, przyjaciół, dzieci i wychowawców - kontynuatorów Jego idei pedagogicznych. Próżno szukać dziś Jego prochów w grudach ziemi pozostałej po obozach zagłady, wśród wielu zbiorowych mogił bezimiennych.
Ale śmierć, najbardziej nawet okrutna - nie zdoła zabić szlachetnych wzlotów myśli i serca, oddanych bezinteresownie w służbę wartości ogólnoludzkich, znaczących drogę ku postępowi.
Tak więc Janusz Korczak, dobry Stary Doktor, żyje w pięknej tradycji polskiej myśli pedagogicznej i w aktualnej praktyce opiekuńczo-wychowawczej, trwa i oddziaływuje w setkach placówek Jego imienia: szkół, drużyn harcerskich, Domów Dziecka, szpitali, ulic - na polskiej ziemi i poza granicami kraju. Jego postać utrwalają dłuta rzeźbiarzy, a życie, trud codzienny - sztuka filmowa, dramaturgia i obszerna literatura -publicystyka pedagogiczna. Nauczyciele i wychowawcy, wzbogacając podstawowe tezy pedagogiki korczakowskiej o nowe elementy, na miarę dzisiejszych potrzeb społecznych, na spuściźnie pisarskiej Janusza Korczaka nadal uczą się rzetelnej obserwacji i refleksji pedagogicznej, subtelności w odczuwaniu dziecięcej psychiki, szacunku i głębokiego, życzliwego zrozumienia potrzeb dziecka, które - nie kiedyś w przyszłości, ale już - jest człovviekiem.
Życie, warsztat pracy i myśli związały Korczaka z Warszawą. Wśród nielicznyeh, ocalałych po wojnie w Warszawie, stoją nadal domy, w których żył i pracowałna Krochmalnej i na Bielanach - rozrastają się i pięknieją. Są - jak dawniej - domem dla dzieci osieroconych. W ich system wychowawczy wplotły się trwałe elementy doświadczeń Starego Doktora, pracują w nich jeszcze dawni Jego współpracownicy sprzed wojny. Odpadła im troska o byt dzieci, o dobre serce filantropów. Wszystkie Domy Dziecka utrzymuje Państwo.
W Pamiętniku z tragicznych dni ostatnich Korczak napisał: ». . . kocham Wisłę Warszawską i oderwany od Warszawy, odczuwam źrącą tęsknotę. Warszawa jest moją i ja jestem jej. Powiem więcej: jestem nią, razem z nią cieszyłem się i smuciłem, jej pogoda była moją pogodą, jej deszcz i błoto moim też. Z nią razem wzrastałem.« Razem z nią tragicznie ginął i odżył.
Wychowanków Domu Sierot żegnał Korczak słowami: »Dajemy wam jedno - tęsknotę za lepszym życiem, którego nie ma, ale kiedyś będzie, za życiem prawdy i sprawiedlimości. «
Panie i Panowie. Nagroda Pokoju przyznana pośmiertnie Januszowi Korczakowi - to też wyraz owej ogólnoludzkiej tęsknoty za lepszym życiem, za pięknym życiem, w którym dzieci całego świata, wszystkich ras, wyznań i narodowości - dziś i zawsze - rosnąć mogłyby swobodnie, nie wiedząc, co to głód, mord i wojna. W którym dziecko osierocane - w każdym człowieku może znaleźć ojca i matkę, co życzliwie się nad nim pochylą, by wysłuchać i pomóc.
Nagroda Pokoju dla Janusza Korczaka - to hołd złożony wielkiemu pedagogowi, który swe obowiązki wobee dziecka, powierzonego Jego opiece, pojmowal tak, jak zwyczajnie na całym świecie rozumie je ojciec i matka, dla których dziecko jest skarbem największym. Stary Doktor prawdy swego życia potwierdził dobrowolną śmicrcią. I zrobił to dla cudzych dzieci. Mógł ocalić swe życie. Wybrał ocalenie godności ludzkiej i dziecięcej ufności do swego wychowawcy. Czyż mógł opuścić te sieroty, idące na śmierć i nieświadome swego losu? Jego decyzja była naturalną konsekwencją zasad, według których żył i które chciał wpoić wychowawcom. W tym tkwi wielkość tego człowieka.
Zgon Janusza Korczaka jest już dziś symbolem zagłady setek tysięcy dzieci i tych bliskich, którzy nie chcieli ich opuścić. W tych dniach sierpniowych przed 30-tu laty dwie setki dzieci z Domu Sierot Korczaka maszerowały ku śmierci, niosąc swój zielony sztandar. (Zielony sztandar, mówił Stary Doktor, winien być sztandarem dzieci całego świata, bo dzieci lubią zieleń, las, pola, łąki.) Dzieciom towarzyszyła na śmierć współpracownica Korczaka Stefania Wilczyńska i cały pozostały personel Domu Sierot. Tę samą drogę do komór gazowych przemierzały wtedy dzieci z personelem sierocińców i internatów Ogrodowej, Twardej, Wolność, Dzielnej, Ceglanej i innych 30-tu placówek opieki zamkniętej - w liczbie 4000. Tak jak Janusz Korczak zginęli z dziećmi ofiarni ich opiekunowie: Broniatowska, Dąbrowski, Goldkorn, Janowska, Martinówna, Szymański, Steinowa, Wiśniacka. Tych - utrwaliła historia, a pozostałe tysiące bezimiennych dzieci getta warszawskiego? A setki tysięcy bezbronnych dzieci Zamojszczyzny i Łodzi, Warszawy i Lubawy, obozów śmierci, ofiar wojny? Polska straciła w wojnie G milionów swych obywateli, wśród nich - dzieci. Czy ręce artysty i ludzka wyobraźnia są w stanie ogarnąć ten bezmiar cierpień i wyryć w kamieniu, odlać w spiżu taki pomnik przeogromny dla utrwalenia dziecięcych ofiar wojny? Nikt nie byłby w stanie tego uczynić.
Polska pragnie uczcić pamięć swoich dzieci. Z ofiar całego narodu powstaje pomnik żywy, patrzący nie w przeszłość, a otwarty ku przyszłości. Bo dziecko to przyszłość każdego kraju. Pomnikiem męczeństwa dzieci stanie się w Warszawie Centrum Zdrowia Dziecka. Placówka ta obejmie wysokospecjalistyczny szpital z zespołem poradni. Centrum podejmie nie tylko sprawy medycyny wieku dziecięcego, ale i zagadnienia fizjologii, socjologii, psychologii, pedagogiki i rehabilitacji dziecka. Będzie też ośrodkiem dydaktycznym i naukowym otwar-tym dla nauki międzynarodowej. W najbliższy Międzynarodowy Dzień Dziecka (i czerwca) rozpoczyna się jego budowa, a planowane jej zakończenie zbiegnie się z setną rocznicą urodzin Starego Doktora. Ten pomnik zabitych dzieci służyć będzie dzieciom żywym. Dziełu temu przyświeca idea serdecznej troski o dziecko, o jego zdrowie i pełny rozwój fizyczny i umysłowy - ta sama idea, której Korczak poświęcił trud swego życia, swe utwory i godność śmierci.
Panie i Panowie. W imieniu Komitetu Korczakowskiego przy Towarzystwie Przyjaciół Dzieci przyjmujemy Nagrodę Pokoju Niemieckiego Księgarstwa 1972 r., prze-znaczając ją na cele, które przyświecają ofiarodawcom.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck und jede andere Art der Vervielfältigung als Ganzes oder in Teilen, die urheberrechtlich nicht gestattet ist, werden verfolgt. Anfragen zur Nutzung der Reden oder von Ausschnitten daraus richten Sie bitte an: m.schult@boev.de
Alicja Szlązak
Dankesrede der Vizepräsidentin der Gesellschaft der Kinderfreunde Warschau
Chronik des Jahres 1972
+++ Das Jahr 1972 beginnt mit dem »Radikalenerlass«, der ein Berufsverbot für mutmaßliche Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst vorsieht. Der Schriftsteller Heinrich Böll warnt vor einer Überreaktion des Staates und kritisiert die Berichterstattung in der Bild-Zeitung. Er gerät selbst in den Verdacht, ein »Sympathisant« der Terroristen zu sein. In Stockholm wird er im Dezember mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. +++ Im nordirischen Londonderry eröffnen Ende Januar britische Soldaten das Feuer auf katholische Bürgerrechtler, die an einer verbotenen Demonstration teilnehmen. Dabei werden 13 Zivilisten getötet. Die »Irisch-Republikanische Armee« (IRA) verstärkt seit diesem »Bloody Sunday« ihre Terroranschläge. +++
US-Präsident Nixon kündigt im Mai die Verminung der nordvietnamesischen Häfen an. Eine Woche darauf verübt die RAF einen tödlichen Bombenanschlag auf das US-Korps in Frankfurt. Ende Mai folgt ein Anschlag auf das Hauptquartier der US-Armee in Heidelberg, bei dem drei Soldaten sterben. +++ Andreas Baader, Holger Meins und Jan Carl Raspe werden am 1. Juni nach einem Schusswechsel mit der Polizei festgenommen, in den folgenden zwei Wochen verhaftet die Polizei auch Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. +++ Die Olympischen Spiele in München werden im September von einem Terroranschlag überschattet: Mitglieder der palästinensischen Organisation »Schwarzer September« überfallen die Unterkunft des israelischen Teams, töten zwei Menschen und nehmen die Sportler als Geiseln. Sie fordern die Freilassung von 200 palästinensischen Gefangenen in Israel. Bei der Befreiungsaktion sterben fünf Terroristen und alle neun Geiseln. Ende Oktober entführen arabische Terroristen eine Lufthansa-Maschine. Die an Bord befindlichen Passagiere werden gegen drei in München inhaftierte Attentäter ausgetauscht. In Israel kommt es daraufhin zu heftigen antideutschen Reaktionen. +++ Bundeskanzler Willy Brandt stellt Ende September die Vertrauensfrage. Bei den vorgezogenen Bundestagswahlen wird die SPD erstmals stimmstärkste Partei, Willy Brandt wird erneut Bundeskanzler einer SPD / FDP-Koalition. +++
Biographie Janusz Korczak
Janusz Korczak wird am 22. Juli 1878 in Warschau als Henryk Goldszmit geboren. Schon früh beginnt er, Erzählungen zu schreiben. Er studiert Medizin, lässt sich als Arzt nieder und beginnt mit anfangs großem Erfolg Kinderbücher wie Kinder der Straße, König Hänschen i. oder Firlefanz und Flitter zu schreiben.
Bereits 1911 gibt er seine Praxis auf, um elternlose Kinder medizinisch zu versorgen und übernimmt schließlich die Leitung eines jüdischen Waisenhauses in Warschau. Nach dem Ersten Weltkrieg, den er als Militärarzt an der Front erlebt, gründet er ein Heim für verwahrloste und verwaiste Kinder mit dem Namen »Unser Haus«, in dem er ein eigenes Erziehungssystem mit Kinderparlament und Gemeinschaftserziehung verwirklicht.
Mit seinen jüdischen Waisenkindern muss er im Oktober 1940 ins Warschauer Ghetto umsiedeln. Ab dem 22. Juli 1942 führt die SS die »Aktion zur Beschäftigung nichtarbeitender Ghetto-Juden« durch. In diesem Zusammenhang werden auch die Waisenkinder ›evakuiert‹.
Korczak selbst hätte als Arzt weiterarbeiten können, doch er schließt sich seinen 200 jüdischen Kindern an. In Treblinka angekommen werden er und seine Kinder an einem unbekannten Tag im Jahr 1942 vergast.
Die Steine weinten... über Leben und Tod des Janusz Korczak
Bibliographie
Janusz Korczak: Sämtliche Werke in 16 Bänden
Ediert von Friedhelm Beiner und Erich Dauzenroth, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1996-2010.