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Friedenspreis 1990

Karl Dedecius

Der Stiftungsrat hat den polnischen Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber Karl Dedecius zum Träger des Preises gewählt. Die Verleihung fand während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 7. Oktober 1990, in der Paulskirche statt. Die Laudatio hielt Heinrich Olschowsky.

Begründung der Jury

Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahre 1990 Karl Dedecius. Er würdigt mit dieser Auszeichnung ein Lebenswerk, das dem Verstehen von Literatur und der Verständigung zwischen Völkern gewidmet ist.


Mit zahlreichen Übersetzungen aus slawischen Sprachen, mit Arbeiten zur Theorie des Übersetzens und mit der Gründung des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt hat Karl Dedecius dazu beigetragen, Sprach- und Verständigungsgrenzen zu überwinden und dem literarischen Leben neue Impulse zu geben. Er hat wesentliche Zeugnisse der Literatur unserer östlichen Nachbarn im Deutschen heimisch gemacht. Damit steht er in der Tradition großer deutscher Übersetzungen und Übersetzer.

Der Börsenverein ehrt in Karl Dedecius zugleich die Übersetzer als Anreger, Vermittler und Partner des literarischen Austauschs. Ohne ihre Arbeit sind Verstehen, Verständigung und Frieden unter den Völkern nicht möglich.

Preisverleihung

Karl Dedecius betritt mit dem Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und weiteren Ehrengästen die Paulskirche.

Reden

Dorothee Hess-Maier
Grußwort der Vorsteherin

Das Bemühen von Karl Dedecius, Wort, Geist und Grazie der polnischen Poesie deutschen Lesern nahezubringen, zielte stets, über den künstlerischen Eigenwert hinaus, auf Verständigung zwischen Menschen und Völkern. Mithin ist die kulturelle Leistung des Nachdichters, Herausgebers und Vermittlers Friedensarbeit – Friedensarbeit von hohem Rang.

Heinrich Olschowsky - Laudatio auf Karl Dedecius
Heinrich Olschowsky
Laudatio

Im Anfang war das Wort. Aber am Ende waren die Konsequenzen. Weil der Bibelübersetzer, der Ur-Übersetzer Hieronymus das wußte, mahnte er sich selbst und die anderen beständig: Respice finem. Bedenke das Ende; die Folgen, die Konsequenzen, wenn du schreibst, oder übersetzt, oder verlegst, oder redest, oder anders handelst.

Karl Dedecius - Dankesrede
Karl Dedecius
Dankesrede des Preisträgers

Chronik des Jahres 1990

+++ Das Jahr 1990 steht im Zeichen der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und der kurzen Phase einer eigenständigen, tatsächlich demokratischen DDR. Nachdem die ehemaligen alliierten Mächte durch Unterzeichnung des »Vertrags über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland« ihre Zustimmung geben und der Einigungsvertrag von der Volkskammer, Bundestag und Bundesrat verabschiedet wird, tritt am 3. Oktober die DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes bei. Tags darauf konstituiert sich der erste gesamtdeutsche Bundestag. +++


Bei den ersten freien gesamtdeutschen Wahlen seit 1932 wird die CDU / CSU im November stärkste Partei und bildet mit der FDP weiterhin eine Regierungskoalition. +++ Mit dem Austritt der slowenischen Kommunisten aus dem gesamt-jugoslawischen Bund der Kommunisten im Februar wird der Zerfallsprozess Jugoslawiens in Gang gesetzt. +++ Am 11. Februar wird in Südafrika Nelson Mandela nach über 27 Jahren aus der Haft entlassen. Im Juni wird dort die 1953 eingeführte Rassentrennung in öffentlichen und betrieblichen Einrichtungen beendet. +++ Die Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland wird im Juli mit einem 1:0-Sieg über Argentinien Fußballweltmeister. +++ Am 2. August marschieren irakische Truppen in Kuwait ein. Noch am selben Tag verurteilt der UN-Sicherheitsrat den Einmarsch und stellt im November dem Irak ein Ultimatum. Danach sind die UN-Mitglieder zum Einsatz aller »notwendigen Mittel« berechtigt, wenn die irakischen Truppen nicht bis zum 15. Januar 1991 den Rückzug aus Kuwait angetreten haben. +++ In der Sowjetunion wird im Oktober das Mehrparteiensystem eingeführt. Alle politischen Parteien sind gleichberechtigt. Im gleichen Monat gibt das Nobelpreiskomitee bekannt, dass Staatspräsident Michail Gorbatschow mit dem diesjährigen Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird. +++

Biographie Karl Dedecius

Karl Dedecius wurde am 20. Mai 1921 in Lodz als Sohn einer deutschstämmigen Familie geboren. Nach Gymnasium und Arbeitsdienst wurde er zum Kriegsdienst einberufen und geriet 1943 in Stalingrad in sowjetische Gefangenschaft, in der er, bevor er 1950 nach Deutschland zurückkehrte, sich selbst Russisch beibrachte und sich mit russischer Literatur beschäftigte.


Zurück in Deutschland übersiedelte er 1952 nach einer Tätigkeit als Redakteur am Deutschen Theater-Institut in Weimar in den Westen und arbeitete von 1953 – 1978, zuerst als Prokurist und später als Abteilungsleiter für Presse und Werbung, bei der Allianzversicherung in Frankfurt.
Zugleich begann Karl Dedecius in den 50er Jahren mit der Übersetzung von polnischer Literatur ins Deutsche. Seitdem übertrug er an die 100 Bücher, darunter Lyrik, Romane, Erzählungen und Aphorismen und machte polnische Schriftsteller wie Zbigniew Herbert, Stanislaw Jerzy Lec, Nobelpreisträger Czeslaw Milosz und Wislawa Szymborska in Deutschland bekannt.

1959 erschien die erste von ihm herausgegebene Anthologie „Lektion der Stille“. Daneben veröffentlichte er eigene Essays zu Literatur und Übersetzungstechnik. Als seine Hauptwerke gelten die 50-bändige „Polnische Bibliothek“ (1982-2000), sowie das siebenbändige „Panorama der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts (1996-2000).

1979 initiierte Karl Dedecius das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt, dessen Direktor er bis Ende 1997 war und das er zum Mittelpunkt der literarischen Polonistik in Deutschland machte. Er begründete das Jahrbuch „Ansichten“, die „Blaue Reihe“ und verstand es, Polen und Deutschland auf kultureller und institutioneller Ebene einander wieder näher zu bringen. Seit 2004 verleiht das Deutsche Polen-Institut in Zusammenarbeit mit der Robert-Bosch-Stiftung den mit je zweimal 10.000 Euro dotierten Karl-Dedecius-Preis für Übersetzer.

Karl Dedecius ist am 26. Februar 2016 in Frankfurt verstorben.

Auszeichnungen

2010 Deutscher Nationalpreis
2004 Kulturpreis Schlesien des Landes Niedersachsen
2002 Samuel-Bogumil-Linde-Preis


2002 Literaturpreis der polnischen Monatszeitschrift „Odra“
2000 Nossack-Akademie-Preis
2000 Nikolaus-Lenau-Preis
2000 Goetheplakette der Stadt Frankfurt am Main
1999 Viadrina-Preis
1998 Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen
1997 Andreas-Gryphius-Preis
1997 Samuel-Bogumil-Linde-Preis
1995 Großes Verdienstkreuz mit Stern der Republik Polen
1994 Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern
1992 Ehrenbürger der Stadt Lodz
1990 Hessischer Verdienstorden
1990 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
1989 Verdienstorden der Republik Polen, Komandoria-Klasse
1988 Preis der Polnischen Kulturstiftung
1986 Kulturpreis des Landes Hessen
1985 Großes Bundesverdienstkreuz
1985 Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis, Stuttgart
1981 Auszeichnung des Polnischen Autorenverbands
1978 Preis des Polnischen Autorenverbandes ZAiKS
1976 Godlewski-Preis der Polnischen Emigranten in Rapperswil/Schweiz
1976 Bundesverdienstkreuz am Bande
1974 L'ordre du »Mérite culturel« des polnischen Ministers für Kultur und Kunst
1970 Ehrendiplom des Polnischen Autorenverbandes ZAiKS
1968 Preis der Jurzykowski-Stiftung der Polnischen Emigranten in New York
1967 Übersetzerpreis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
1967 Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung

1965 Preis des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie

1965 Internationaler Übersetzerpreis des Polnischen PEN-Clubs

1962 Preis der Künstlergilde Esslingen

Bibliographie

Meine polnische Bibliothek. Literatur aus neun Jahrhunderten

Hrsg. v. Karl Dedecius, Insel Verlag, Berlin 2011, ISBN 9783458174998, Gebunden, 470 Seiten, 39.90 EUR

Polnische Gedichte des 20. Jahrhunderts

Hrsg. v. Karl Dedecius, Insel Verlag, Frankfurt am Main 2009, ISBN 9783458174073, Gebunden, 543 Seiten, 38.00 EUR

Poetik der Polen. Frankfurter Vorlesungen

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1992, ISBN 978-3-518-11690-6, Taschenbuch, 135 Seiten, 14.00 EUR

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